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Brief vom 7. März 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1102.


[066]
Paris den 7 Mertz 1720 (N. 70).
Hertzallerliebe Louise, ich habe Eüch schon vergangen sontag bericht, wie daß ich Ewere zwey liebe schreiben vom 17 undt 20, no 14 undt 15, selbigen abendt zu recht entpfangen, will heütte auff daß frischte undt alste andtwordten; den ich habe noch eines vom 13, no 13, so ich vergangen sontag nicht habe beantwortten können; will bey dem frischten ahnfangen, die reditten[1] zu verhindern. Darumb fange ich bey daß vom 20, no 15, ahn. Ob ich heütte noch eines von Eüch bekommen werde, stehet bey den göttern, wie die teütsche comedianten alß pflegen zu sagen. Daß ist gar billig, liebe Louisse, daß Ihr Ewer schonburgische … außführt; daran ist mehr gelegen, alß mir einen langen brieff zu schreiben, noch exact auff die meinigen zu andtwortten, die ordinari nur exacte andtwortten auff die Ewerigen sein. Wen ich nur [weiß], daß Ihr gesundt seydt undt zufrieden lebt, bin ich schon mitt Ewern lieben brieff zufrieden. Auff waß ich von dem armen Humberg s.[2] gesagt, der man hatte gar viel verstandt; ein klein, blundt, mager mäntgen[3], schrieb über die maßen woll. Es ist kein wunder, daß Eüch sein nahme nicht woll bekandt ist. Ihr origine ist von Saxsen, aber Humberg vatter ist mitt sein[e]r gantzen famillien in Indien gezogen undt er selber, der Humberg, war zu Batavia gebohren. Sein vatter hatt ihn gleich Teütsch lehrnen laßen. Er konte gar viel sprachen, Teütsch, die sprache von Batavia, Latein, Frantzösch, Holländisch, Spanisch; ich glaube, daß er auch Grichisch wuste, wahr gar ein gelehrter man; woll schadt, daß er gestorben; wuste die chimy perfect undt mitt allen metallen umbzugehen. Mitt allen seinen künsten war er nicht serieux, sondern lustig undt possirlich, daß beste mänchen von der welt. Ich habe ihn von hertzen regretirt; den er hatt mich offt recht divertirt mitt seinen verzehlungen, hatte meinen sohn, seinen herrn, woll von hertzen lieb; es war ein perfecter philosophe. Wie solte man ein mittel finden, daß die mäner nicht auff der gaßen pißen solten? Es ist mehr zu verwundern, daß nicht gantze ströhm mitt pis fließen, wegen der unerhörte menge [067] leütte, so zu Paris sein[4]. Zu Heydelberg seindt nicht so viel leütte, alß in einem faub[o]urg von Paris, undt die lufft zu Heydelberg ist über die maßen gutt. Die zwey bergen, der Königes-stuhl undt Heyllige-berg, hindern den zu kalten nordtwindt undt heyßen mittag; daß macht eine gar temperirte lufft, so gar gesundt ist. Daß unbeständige Aprillen-wetter haben [wir] hir auch gehabt; nun ist es schön, sanfft undt ein recht frühlings-wetter. Man geniest es aber gar wenig zu Paris. Dieß jahr werde ich die schönne f[r]ühlings-zeit wenig genießen; den der hertzog von Lotteringen undt mein dochter sollen nach Quassimodo herkommen, werde also nur nach St Clou denselben tag, alß sie wider vereyßen. Aber es geht bey ihnen, wie daß sprichwordt sagt: Man solle keinem großen herrn die reiß abschlagen; sie geht so baldt zurück, alß vor sich. Ich halte ihre reiße hieher noch nicht vor sicher. Der hertzog hatt mitteßer bey sich, so lieber daß geldt in sack stecken, alß zugeben, daß es der hertzog ahn reißen ahnwendt, nehmblich die metres undt ihr hannerey[5]. Ich glaube nicht, daß man sein leben mehr von betrug, stehlen undt morden gehört hatt, alß in dießen zeitten. Vor 6 tagen ist ein abscheülliger mort geschehen. Ein cammerdinner von einem enseigne[6] von deß königs leibquarde ist undt mir gar woll bekandt ist, den seine mutter ist meine erste cammerfraw geweßen; ihr schwester ist ahn ihrem platz. Dießer officir heist Busca; sein vatter, so leuttenampt in den garden du corps wahre, hatt ihm seine brigade cedirt, ehe der könig s. gestorben. Dießer Busca lebt mitt seiner schwester, so gar ein tugendtsam mensch ist undt sich nie hatt heürahten wollen; helt ihrem bruder hauß, ist ein mensch schon von über die 50 jahren. Dieße zwey arme leütte hatten 100/m francken zusamen gesamblet, in der banque waß zu gewinen. Dießes gelt gaben sie einem cammerdiener auff die banque zu tragen umb 11 morgendts vor 8 tagen. Der kerl kam nicht wieder; Busca informirte sich überall, wo sein cammerdiner mitt dießem gelt mögte hingekommen sein, konte nicht von ihm vernehmen. Sontag geht ein geschrey, daß man in der Seine bey dem Pont-Royal samete[7] rotte hoßen gefunden, worinen eines [068] menschen schenckel; nicht weitt davon wurde ein kopff gefunden, dem man daß gesicht so defigurirt hatte, daß nichts dran zu kenen war, den man hatte ihm die lefftzen verschnitten. Man hatt noch weitter zwey arm gefunden; aber den körper nicht. Ein balbirer, so dießen cammerdiner alß rassirt hatte, sagte, daß, wen er den kopff sehen würde, wolte er woll sagen, ob es dießer cammerdinner seye oder nicht; den er hette, alß er ihn rassirt, gefunden, daß er, alß wie er ein kindt geweßen, den kopff entzwey geschlagen hette gehabt, daß er die narven ahm kopff behalten, hette auch forn ahm kopff ein gewecks gehabt, so ihm wehe gethan, wen man dran gerührt, also alß[8] sehr recomandirt, wen er ihn rassirt, nicht dran zu rühren. Dießes alles hatt man ahn dem todten kopff gefunden, also nicht zu zweyffelen, daß es der arme kamerdinner von monsieur de Busca geweßen, welchen man ermordt, umb ihm die billiet de banque zu stehlen. Sie[9] gutte leütte jammern mich von hertzen; den 100/m francken ist kein geringer verlust. Aber eine poßirlich sach, so vor zwey tagen geschehen, muß ich Eüch doch nach dießer tragiquen avanture verzehlen. Ein man hatte vor 14/m livre billiet de bangue in ein porte-lettre im sack; er fühlt in ein[e]r preß, daß ihm ein filou sein porte-lettre auß dem sack [zieht]; er nimbt den kerl in acht, folgt ihm nach; der merckt, daß der, den er bestollen, folgt, fengt ahn, zu lauffen undt salvirt sich in ein enck passage. Der ander aber, so auch woll lauffen konte, folgt ihm nach, ertapt ihn bey dem arm und sagt: Coquin, rend moy mon porte-lettre que du[10] vient de me prendre! ou bien je te feray pendre. Dem dieb wurdt angst undt bange, greifft im sack undt gibt dem man ein porte-lettre; der geht vergnügt wider nach hauß. Andern tags, alß er etwaß zu zahlen hatt, nimbt er daß, bewunde[11] es aber dicker, alß daß seine geweßen. Wie er es bey dem licht besicht, findt es sich, daß sich der dieb betrogen undt ahnstatt daß porte-lettre von 14/m livre hatte er eines, so er auch gestohlen hatte, gegeben, worinen vor millionen zettel wahren. Im durchsuchen findt dießer man, so gar ein ehrlicher man war, daß dieß porte-lettre einem seiner freünden zugehört. Er geht lustig zu ihm undt sagt in lachen: Que donneries vous bien pour ravoir vostre porte-lettre, qu’on vous a volles. Der, so gritlich war über seiner [069] verlust, sagte: Eh, mon amis, quel plaisir prenes vous a me plaissanter? La perte que j’ay faitte est trop grande pour en pouvoir rire. Der freündt sagte: Non, je ne plaissante pas. Si vous me voulles rendre mes billiets de 14 mille franc, je vous rends vos billiets que voiçy. Der kauff war geschwindt gemacht. Ich finde possirlich, daß sich der dieb ungefehr selber bestollen hatt. Alle tag hört man dergleichen historger, doch mehr tragiquen, alß possirlich. Vor drey tagen war eine fraw au palais[12]; wie ihr advocat ihr sagte, daß sie ihren proces verlohren, fiel sie dahin undt war maußtodt. Der flucher undt morder des burgers-sohn von Franckfort wirdt mitt der zeit sein verdinten lohn bekommen; so sachen lest unßer herrgott nicht ungestrafft. Graff von der Buckeburg ist wider gesundt. Es ist aber ein graff Apresmont[13], deß graffen von Reckheim sohn, vor etlich tagen hir gestorben undt monsieur Sum, so polnischer envoye war[14]; die haben mich recht gejammert. Der arme monsieur Sum hatte vorm jahr seinen sohn undt zwey dochter herkommen laßen, die seindt woll zu bedauern. Der arme man kam gar fleißig zu mir, beklage also die gutte leütte von hertzen. Es ist woll gar naturlich, seine kinder zu lieben, wen sie es merittiren, wie der graff von Bückeburg, so sich gar woll hir helt; höre nicht, daß er in böße geselschafft gehet, wo allein die gefahr hir bestehet. Ich cidire[15] mein leben niemandts, wen man mir waß sagt; also werde ich Eüch gar nicht verrahten, waß Ihr mir von der regierenden keyßerin geschriben. Monsieur Le Fevre habe ich vor 2 tagen gesehen. Alle tag finden sich neüe difficultetten. Monsieur Le Roy, mein advocat, meint doch, daß er alles zu ein gutt endt führen wirdt. Von chevalier Watter wirdt nicht mehr gesprochen; [070] er ist nach Engellandt. Hiemitt ist Ewer letzter brieff vollig beantwordtet; mache eine pausse. Dießen abendt, wen ich von der großhertzogin werde komen sein, will ich dießen brieff außschreiben.
Donnerstag, den 7 Mertz, umb 3 uhr nachmittags.
Ich bin heütte gar spätt ahn taffel; den ich habe ahn meine toillette abscheülich zu thun gehabt. Daß kleine meüßgen, der secretarius von Churpfaltz, hatt mir ein brieff von I. L. gebracht, welchen ich abcopiren laße undt Eüch hirbey schicken werde, weillen viel vor Eüch, liebe Louise, drinnen ist. Ich habe auch lange epistellen von dem hertzogen von Württenberg[16] bek[omm]en, daß hatt mich lang auffgehalten; habe gehofft, nach dem eßen zu kommen undt zu schreiben können; allein da kompt man mir sagen, daß die kutschen kommen sein, muß also noch eine pausse machen undt zur großhertzogin.
Donnerstag, den 7 Mertz, umb halb 6 abendts.
Da komme ich eben von der großhertzogin undt werde auff Ewer liebs schreiben vom 13, no 13, [antworten]. Aber da kompt mein sohn, muß noch eine pausse machen.
Umb halb 7 abendts.
Da geht mein sohn wieder weg; nichts wirdt mich nun verhindern, fortzuschreiben. Ich muß mich aber eyllen; den ich habe noch durch einen courier einen großen brieff ahn mein dochter [zu] schreiben. Sie will mich hoffen machen, daß sie gleich nach Quassimodo kommen werden; ich werde es aber erst glauben, wen ich es sehen werde[17]. Von der printzes von Modene beylager, schon nahe bey 4 wochen geschehen undt vorhey, werdet Ihr auß meinen nachfolgende schreiben ersehen haben, wie auch, daß sie seyder dem auff den todt gelegen ahn den röhtlen, sowoll alß ihr bruder undt 2 schwestern, die abdißen von Chelle[s] undt auch mademoiselle de Mon[t]pensier; die kranckheitten haben allein die reiße auffgehalten. [071] Ich hoffe, daß sie biß montag verreißen wirdt[18]. Der kleine duc de la Trimouille[19] ist nicht gestorben. Ich gestehe, ich hette es seinem oncle beßer gegönt; den dießer bub ist gar ein mutwill[i]g kindt, aber sein oncle ist ein rechter gutter, ehrlicher mensch. In blondt gleicht er seiner fraw mutter sehr; drumb ist er mir lieb. Der cardinal de la Trimouille[20] war nicht von der selbige[n] branche, wovon die unßern. Er war Narmoutie[21], deß duc de Narmutie undt der printzes Des Ursin[s] ihr bruder; also hatt der prince de Talmont[22] nichts von dem cardinal erben konnen. Were aber der kleine neveu gestorben, wehre[23] er gar reich geworden sein. Ich, wie ich gehört, daß der kleine neveu kranck war, hatte ich, im fall daß kindt sterben solte, schon vor seinem oncle die charge außgebetten. Gott verzey mirs! Ich habe nicht fro sein können, daß das kindt courirt ist worden. Man spricht sehr von dem frieden mitt Spanien undt auch von dem generalfrieden. Wie mir daß kleine secretärgen versichert, so wirdt der kriegsstreydt wegen der religion zu Heydelberg gantz beygelegt werden undt die reformirten Pfaltzer die H.-geist-kirch wider bekommen. Ich hatte gehofft, daß ich Ewer liebes schreiben dießen abendts gantz beantwortten würde, wie ich es gesagt, alß mein sohn weggangen; aber es seindt mir doch verhindernüßen kommen, nehmblich daß kleine printzgen von Durlach, undt 8 uhr ist schon lengst geschlagen, muß also enden undt ahn mein dochter durch ihren courir schreiben; werde also vor dießmahl nichts mehr sagen, alß wie daß ich Eüch [072] allezeit von hertzen lieb behalte.
Copie von Churpfaltz schreiben[24].
Ich kan Ewr: Liebden nicht genug dancken vor das gnädige Mitleyden, so Dieselbe zu bezeugen geruhen wollen vor den betrübten Todt-Fall Ihro Majest: der Kayserin, meiner hertzliebsten Frau Schwester. Dem göttlichen Willen läßt sich nicht wiederstreben und muß man alles mit demüthigen Hertzen annehmen, wanns der göttlichen Allmacht anzuordnen belieben will, und will mich umb so viel ehender gerne trösten, wann ich bey Ewr: L. dieselbe Gnad und Gewogenheit wieder hoffen darff, so Ich bey meiner Kayserin bey dem betrübten Todt-Fall verlohren habe. Was Ewr: L. mir sonsten wegen der Raugräffin befehlen wollen, hab Ich alsobald zu vollziehen nicht unterlaßen und der Pfältzischen Hoff-Cammer ernstlich anbefohlen, die gemeßene Verfügung zu thun, damit bemeldte Raugräffin contentiret werde. Ewr: L. ist aber selbsten sattsam bekandt, daß die Cammern nicht allzeit mit Geld versehen, derowegen allezeit etwas langsam mit denen Zahlungen zu seyn pfleget. Ich zweiffle aber nicht, daß in Ansehung Dero hohen recommendation man auf das bäldeste dieselbe zu vergnügen beflißen seyn wird. Eben als Ich diese Zeilen zu Papier zu bringen begriffen, empfange Ich Dero wertheste Hand und Antwort Zeilen vom 15. dieses, aus welchem[25] zu meiner höchsten consolation vernehme, wie gnädig Ewr: L. sich Dero werthesten Vaterlands und des Churhaußes Interesse sich anzunehmen mit so gnädigen expressionen zu declariren belieben wollen, zweiffle also gar nicht, daß diese Sache unter Dero gnädigen protection zu so lang erwünschtem effect gelangen werde. Ewr: L. belieben, noch förderhin Dero mir trostreicheste Gnad zu continuiren vor denjenigen, so Zeit Lebens verbleiben wird
Ewr: Liebden demüthigst gehorsambst getreuester
Vetter und Diener beständigst biß in meinen Todt
Carll Philipp Pf. m. p.
Heydelberg d. 27. Febr: 1720.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 7. März 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 66–72
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1102.html
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Tintenfass