Seitenbanner

Brief vom 7. April 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1111.


[106]
Paris den 7 April 1720 (N. 82).
Hertzallerliebe Louise, ich habe noch zwey von Ewer[e]n lieben schreiben zu beantwortten, daß von 2 undt 5 Mertz, no 18 undt no 19; den alle frische habe ich die andere posten schon beantwortet. Ich schreibe Eüch heütte mitt recht betrübten hertzen; den ich erwarte, daß man mir heütte meiner freündin todt sagen kompt. Sie war gestern abendts gantz ohne hoffnung; ist mir woll von grundt der seelen leydt, war ein gutt, auffrichtig, ehrlich mensch, gar nicht pfäffisch, sondern recht raisonabel in ihrer gottsforcht. Es war mir also ein rechter trost, mitt ihr zu reden. Man findt wenig von dem schlag, war auch eine freüllen von guttem hauß, die zu leben wuste. Ich thue einen rechten verlust ahn ihr; sie war allezeit lustig undt von guttem humor, verstundt. … Sie hieß mitt [107] ihrem tauffnahmen Marthe, alßo hieß ich sie allezeit Marton. Daß gantze closter ist wie verzweiffelt von betrübtnuß; den die arme Marton ist sehr beliebt von ihrem gantzem closter undt meritirt es auch. Ich zweyffle nicht, daß sie der allmachtige in die ewige seeligkeit wirdt nehmen, will also weitter nichts von dießer betrübten sach sagen, komme auff Ewer liebe schreiben. Mein enckel, der duc de Chartre[s], ist, gott seye danck, frisch undt gesundt nun, wie auch seine 3 schwesterger; sie seindt alle abendt in meiner cammer. Die 3 medger werden heütte mitt mir zu mittag eßen, welches ihnen alß[1] eine große freüde, mir aber gar eine mitte[l]mäßige lust. Da kompt man mir sagen, daß meine gutte freündin noch nicht todt ist, aber doch nicht davon kommen kan; jamert mich woll von hertzen. Komme wider auff Ewere schreiben, liebe Louise, undt dancke Eüch gar sehr vor alle gutte wünsche, so Ihr unßerm duc de Chartre[s] gethan. Es ist gar gewiß, das dießer bub mir mehr ahm hertzen liegt, alß seine 5 schwestern. Mein sohn ist mir über alles undt bin gar nicht von denen müttern, so ihre enckel lieber, alß ihre leibliche kinder, haben; meine 2 kindern liebe ich über alles. Dieß jahr werde ich leyder meine dochter nicht zu sehen bekommen. Daß arme mensch ist schwanger worden, welches mich sehr in sorgen setzt; den der balbirer, so so gar gelehrt undt geschickt war undt ihr zu ihren 14 kindern zur hebame gedint undt ihr daß letzte kindtbett, da sie ein todt kindt im leib hatte, daß leben errett, ist seyder dem gestorben. Sie hatt zwar seinen sohn bey sich, so hir im l’hostel Dieu, so ein spittal ist, sein handtwerck woll gelehrnt hatt; er hatt aber die lange experientz nicht vom vatter undt zu Paris seindt keine gutte accoucheur[s] mehr. Man ist schir gezwungen, die hebamen wider zu nehmen; daß macht mich recht bang vor mein dochter. Ich habe noch hoffnung, daß, weillen sie so viel kinder, nemblich 14, [gehabt hat], daß es vielleicht ist, daß ihre zeit sich deregliren will. Bey mir hatte es frühe ahngefangen, sich zu deregliren, nehmblich alß ich 36 jahr alt war, ist aber erst 10 jahr hernach gantz außgeblieben ohne die geringste ungemächlichkeit, noch kranckheit. Mein sohn ist der beste mensch von der welt. Madame du Maine hatt ihn vorgestern besucht, hatt sie woll undt hofflich entpfangen[2]. Gestern, da ich madame la princesse [108] besucht, so zur ader gelaßen hatte, batte mich madame la princesse, gutt zu finden, daß sie mich auch besuchen mögte. Ich andtwortete, daß, weillen mein sohn sie gesehen, den sie so groblich beleydiget, undt ihr verziehen, könte ich sie auch woll wieder sehen; wirdt also erster tagen ahngestochen kommen. Ich darffs nicht abschlagen, aber es ist mir woll keine ahngenehme vissitte, daß weiß gott. Es ist aber sein h. wille, daß ich in meinem leben mehr unahnge[neh]mes, alß ahngenehmes, haben, muß mich also woll drin ergeben undt gedult nehmen. Mein sohn würde sich sehr betriegen, wen er sich auff einiger danckbarkeit verlaßen wolte. Denen er ahm meisten guts gethan undt sie mitt gutt, gelt undt ehren überheüfft, die seindt die ärgsten gegen ihm. Die Frantzoßen können woll plauttern von der danckbarkeit, aber nichts ist rarer, alß sie pra[c]ticiren sehen. Alles, waß gütte undt douceur ist, halten sie vor schwachheit undt meinen, sie müsten über sie her[r]schen undt ihnen alles, waß sie wollen, baton haut[3] thun machen. Geht daß nicht ahn, werden sie böß undt conspiriren gegen ihre regenten; es ist ein unbandig volck. Der popel ist beßer undt raisonabler, alß die leütte von gebuhrt; die meinen alle, es geschehe ihnen daß groste unrecht von der welt, wen man ihnen nicht alles regieren lest. Ministre[s] seindt auch alle gar schlime leütte hir. Ich zweyffle ahn der zeittung, daß mein vetter, der printz von Heßen, könig worden, weillen I. L. der landtgraff noch kein part davon geben; der müste es ja ahm ersten wißen. Sich selbst zu hencken, seindt, deücht mir, englische undt keine teü[t]sche rnoden. Nichts ist abscheülicher, alß hungersnoht; ich habe es einmahl hir erlebt, wolte, glaube ich, lieber sterben, alß es wider sehen; es graust mir noch, wen ich nur dran gedencke[4]. Ich kan nicht begreiffen, waß der weiße [109] sandt sein muß, so ein berg in Sacksen bey Wittemberg außwirfft; es muß ein[e] ardt mana sein[5]. Gottes gnadt undt gütte erweist sich in alles. Ihr habt mir, liebe Louisse, den jetzigen churfürst zu Pfaltz alß wie einen so gar gutten herrn beschrieben; daß erweist er aber gar nicht ahn seine unterthanen undt von dem gantzen neüburgischen hauß erweist er sich ahm graußambsten gegen ihnen. Sein her[r] vatter undt herr bruder haben mitt größerer[6] samfftmuht regirt, alß dießer churfürst. Man thut nicht allezeit, waß man threüet[7], Daß hurenleben nimbt offt ein schlim endt. Es ist aber erbarmblich, wen ein mensch in dem standt stirbt undt sehr vor ihre seeligkeit zu förchten. Hir haben wir auch eine gallante historie, so übel vor die liebhaber abgeloffen. Ein junger comte de Fiene[8], so ein hübscher, woll geschaffener mensch von 18 jahren ist, hatt sich in eine junge seildantzerin verliebt undt hatt mitt ihr durchgehen wollen. Seine mutter ist deß marquis Destampes[9] schwester, so capitaine des gardes von mein sohn ist. Sie seindt lang sehr in sorgen geweßen, wo der junge mensch hin kommen; endtlich hatt man erfahren, daß er zu Brüssel. Einer begegnet ihn zu Brussel, der sagte zu ihm: Qu’e[s]t ce que vous faittes icy, Monsieur le comte de Fiene? Der andtworttete: Gardes vous bien de mander a ma mere ou grand mere, que je suis icy! Elle[s] ne savent, ou je suis, et je ne veux pas, qu’il[10] le sachent. Dießer hatt woll gedacht, daß es nicht viel deücht[11], hatt sich gleich informirt undt erfahren, daß er seiner seildantzerin zu Brussel erwahrt[12], umb mitt ihr nach Hollandt undt Englandt zu reißen. Der hatt es gleich hergeschrieben. Mein sohn hatt die seilldantzerin auff den frontieren arestiren laßen, den jungen Fiene nach Aire in die citadel gefangen setzen laßen. Also hatt dieße lieb ein schlecht endt genohmen. Hir hört man von nichts, alß stehlen undt assasiniren. Wir haben hir gar ein heßlich wetter; es regnet seyder 4 tagen continuirlich, es solle aber gar ein gutt wetter vor die früchte sein. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben no 19 vollig beantwort, komme auff daß, so mir noch überig stehet vom no 18; hernach habe ich keines mehr zu beantworten. Kompt mir eines dießen nachmittag, werd[e] ich es vor donnerstag versparen, wo mir gott leben undt gesundtheit [verleiht], [110] welches ich mehr, alß nie, sage, seyder ich die arme Marton vor 8 tagen so frisch undt gesundt gesehen hatte undt nun so nahe bey dem todt weiß. Von den rottlen werde ich nichts mehr sagen, daß ist gantz vorbey. Die printzes von Modene wirdt nun nicht weit von Lion[13] sein. Gestern kam ein marqui[s] de de Rangoni her, so sich hir alß envoyes auffhalten wirdt; der hatte dieße printzes frisch undt gesundt zu La Charité ahngetroffen. Mein enckel, der duc de Chartre[s], ist nicht starcker geworden von seinen rohtlen, aber sehr gewacksen. Aber, liebe Louise, nun ist es zeit, daß ich mich ahnthun gehe. Ich werde zum könig, von dar au[x] Feüillant[s], wo ich die meß hören werde; von dar werde ich wider her zu mittag eßen, nach dem eßen dießen brieff außschreiben.
Umb ein viertel auff 7.
Da kommen wir von der stinckensten undt wüsten, schmutzigsten kirch von der welt hir in unßerer nachbarschafft, nehmblich Les quinsevinct[14]. Mein leben werde ich nicht mehr in dem salut; es ist nicht außzustehen. Gleich nach dem eßen ist mein sohn kommen, mitt dem habe ich eine gutte stundt geblauttert. Hernach habe ich einen brieff geleßen, so man mir von der printzes von Wallis gebracht, undt 2 von Eüch, liebe Louise, vom 24 undt 26, no 24 undt 25. Ich will Eüch auff daß frischte andtwortten; bleibt mir noch zeit überig, werde ich noch zeit überigen[15], so ich heütte morgen ahngefangen. Es ist, wie Ihr secht, liebe Louise, gantz apropo kommen, daß Ewer frischtes schreiben klein ist; sonsten hette ich es heütte nicht beantworten können. Aber die ursach ist mir gar leydt, warumb Ewer brieff, liebe Louise, kurtz geworden, nehmblich weillen Ihr so große kopffschmertzen habt, weillen es nur der schnupen ist, welches ich hoffe, Eüch woll bekommen wirdt undt eine größere kranckheit verhindern[16]. Wir haben auch eine zeit her frost undt schnee hir gehabt. Aber nun seyder 5 oder 6 tagen thut es nichts, alß regnen, welches man ein gar gutt wetter heist. Ich glaube aber nicht, daß es gesundt ist. Die gar zu große hitze gibt eben so woll husten undt schnupen, alß die kälte. Warme stuben habe ich mein leben nicht vertragen kön[n]en. Wen man mir [111] meine pressentz zu Heydelberg zu warm einhitzte, machte ich alle fenster auff; den ich konte es nicht außstehen. Hir habe ich daß nicht zu förchten; doch ist ein oven in unßere capel hir. Wir haben daß von I. G. dem churfürsten s., unßern herr vatter, die [warmen] stuben nicht leyden zu können; den I. G. hilten allezeit die [warmen] stuben vor gar ungesundt gehalten undt[17] nicht leyden können. Zu meiner zeit brente man zu Hannover in den caminen mehr torff, alß holtz; ich weiß nicht, obs noch so ist; bericht michs! Meinen 3ten husten habe ich baldt courirt, habe 3 tag nach einander morgen[s] umb 6, wie ich auffgestanden, eine gutte maß waßer gedruncken. Daß hatt mich in 4 tagen perfect courirt, befinde mich nun, gott seye danck, [ganz wol], bin aber betrübt undt sehr in sorgen vor meine freündin, wie ich Eüch, liebe Louisse, schon gesagt. Man hatt ihr ein remedium [gegeben], von welchem man viel hofft; ich fürchte aber gar sehr, böße zeittung morgen zu bekommen, welches mir nicht woll zu paß kommen solte; den monsieur Teray macht mir morgen undt übermorgen meinen grünen safft nehmen, wo ich glaube, daß freüden gesunder wehren, alß threnen undt betrübtnuß. Wen mir gott biß donnerstag abendts daß leben verleyet, werde ich Eüch berichten, wie es abgangen. Ich sage biß donnerstag abendts; den morgendts werde ich nach Chelle[s] fahren undt mitt mein enckel zu mittag eßen, werde erst abendts schreiben können, wen ich wider werde komen sein. Man will Eüch gewiß wider zwey von meinen schreiben auff einmahl [geben], wie man mir die Ewerige nun ein zeit her gibt. Daß keine auß Englandt kommen, da seindt die sturmwinde schuldtig; aber die, die keinen sturm außzustehen haben, die konten woll richtiger gehen, wens die herrn von der post wolten. Wen mein dochter nicht in dem verdacht were, zum 15ten mahl schwanger zu sein, so käme sie gewiß in dießer zeit her; aber so ist es nicht möglich. Deß hertzogs proces wirdt, glaube ich, verglichen werden. Vor Ewere gutte wünsche dancke ich gar sehr, liebe Louisse! Viel satisfaction bin ich nicht gewohnt; wehre mir etwaß neües, wen es geschehen solte. Man hört von nicht mehr so viel von kranckheitten undt schlagflüßen, alß von morder. Heütte hatt man noch etwaß abscheüliches auff dem Pont-Royal gefunden, einen bauch, hindern undt 2 schenckel; [112] die bein, der kopff, die brust undt magen undt rüken fehlten ahn dem leib, solle ein abscheülich spectacle sein. Vor ein par mont wahren die schleünige todt sehr a la mode; aber seyder dem hört man nichts mehr davon. Ich habe auch sagen hören, daß kein exempel seye, daß leütte den schlag bekomen, so den schnupen gehabt, daß den tag, wo man senfft in speist, sicher vor den schlag ist. Alle leütte, so so plötzlich sterben, jammern mich; allein wen ich die wahl von sterben hette, wolte ich gern plotzlich sterben undt nicht in einem bett kranck sein undt geplagt werden. Könt Ihr glauben, liebe Louisse, daß ich Eüch ohne threnen würde sterben wißen, so müst Ihr ahn meiner freündtschafft zweyfflen, liebe Louisse, undt daß offendirt mich recht; müst mich den vor eine lüg[n]erin halten, den ich Eüch ja alle post zweymahl die woch versichere, daß ich Eüch lieb habe. Hiemitt ist Ewer liebes letztes schreiben vom 26 gantz beantwortet, bleibt mir nur überig, zu versichern, daß unahngesehen Ewers unglauben ich Eüch doch von hertzen lieb habe undt behalte, liebe Louisse!
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 7. April 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 106–112
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1111.html
Änderungsstand:
Tintenfass