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St Clou den 30 May 1720 (N. 96).
Hertzallerliebe Louisse, ich weiß nicht, ob ich heütte waß von Eüch bekommen werde, aber ich will doch auff Ewer liebes schreiben von 14, no 39, andtwortten. Daß waßer von chicoré[e] ist mir gar übel bekommen, hatt mir eine starcke ind[i]gestion geben undt allen lust vom eßen undt drincken benohmen, wozu ich nicht wider kommen bin. Gott weiß, wie lang es wehren wirdt. Mein magen ist doch wider beßer undt fühle daß schwere drucken nicht mehr zu sehr. Mein docktor, der durch die hießige frantzösche exempel nicht begreiffen kan, wie ein weibsmensch, in welchem alter sie auch sein mag, doch rafraichissement im frühling nicht von nöhten hatt, hatt mich auff frantzösch tractirt. Mein altes teütsches temperament, so mehr hitz, alß kälte, von nöhten, schickt sich gar nicht. Ich glaube, daß, wen ich den tritten tag continuirt hette, dieß eau de chicoré[e] zu nehmen, würde ich mir den magen durchauß verdorben haben. Ich hatte es woll vorhergesagt, man hatt mir aber nicht glauben wollen; meinen alle, sie verstünden die sachen beßer, alß ich. Ich bin noch matt undt befinde mich gar nicht leicht, habe auch wehe in der lincken seytten, welches mein miltz woll thun mag. Es ist kein wunder, wen mein armes miltz geblähet ist; den ich eine betrübte woch geführt, welches Eüch kein wunder nehmen wirdt, wen ich Eüch sagen werde, liebe Louisse, daß ich unbekante brieffe bekommen, worinen gestanden, daß ich nichts zu fürchten hette, aberdaß mein sohn ein muster[1] wehre, welches man außrotten wolle durch feüer oder schwerdt.Ich kan[2] Eüch leicht gedencken, wie mir hirbey zu muhte geweßen. Ob zwar die sachen nun ein wenig calmirt sein, nachdem mein sohn den Laws von seiner charge de controlleur general abgesetzt hatt[3], so kan ich mich doch [161] nicht gantz wider erhollen undt bin von hertzen melancolisch undt in sorgen. Gott wolle unß beystehen! Wir habens hoch von nöhten. Meinen geburtstag habe ich vorgestern zwar gesundt ahngefangen, aber gar nicht vergnügt noch lustig. Daß beste, so ich drinen gehabt, war, daß ich bin im gartten spatziren gefahren; es war daß schönste undt ahngenehmbste wetter von der welt. Gevatterschafften seindt mehr verdrießlich undt ambaras[s]ant, alß ahngenehm. Hir ist es gemachlicher; den man gibt nichts ahn den patten, sonder nur etliche pistollen auff die wiege. Zu meiner zeit, wie ich noch in Teütschlandt war, gab man von den großen augsburgischen boccallen[4]; daß pressent war ordinarie in silbergeschir. Ich sehe woll durch waß Ihr mir schreibt undt die fürstin von Ussingen Eüch, liebe Louise, ins ohr gesagt, daß ichs nicht allein bin, so ungern gevatterschafften hatt. Es seindt viel leütte, so die opin[i]on haben, daß ihre patten sterben müßen, wen man sie kinder heben macht. Man verzehlt hir im landt eben so eine art von historie, wie die, so Ihr mir von dem officir von Giessen verzehlt. Man sagt, ein man were in ein wirdtshauß zu Pontoise kommen alß ein reißender undt hette gefragt:
Que dit on de la recolte?So hette der würdt[5] geantwortet:
Les aparances sont admirable[s].
Ouy,[6] hett der man geantwortet:
tout cela sera admirable aussi, mais il y aura une mortalité si affreusse, que peu de gens en jouiront, hette drauff zum würdt gesagt:
Je vois, que vous en douttes, mais cela sera aussi vray, qu’il est vray a pressent, que vostre famme est tombes morte tout a l’heure sur le degré.Der würdt ging auff die stiege undt fandt sein fraw, so sich todt gefallen. Der prophet sagte, er müste den andern tag frühe weg, legte sich, nachdem er geßen, zu bette. Den andern morgen ging der würdt in deß mans kammer, fandt aber niemandts mehr in der cammer undt ahn seine statt lag auff dem bett ein groß crützefix. [162] Hirauß secht Ihr, liebe Louise, wie man in allen ortten leügt undt historien macht. Ich laße mir sie allezeit alle verzehlen, den daß divertirt mich. Die arme Suzon, meiner ammen dochter, so man hir nach ihrem man madame Leclair heist, ist gar kranck geweßen, seindt noch nicht wider woll, beyde auff den todt gelegen. So geht es in der welt; nach der großen freüden, so sie gehabt, daß ihr enckel einem marquis ist versprochen worden[7], wie ich glaube, daß ich Eüch, liebe Louisse, schon geschrieben haben[8], so werden die beyde großeltern sterbens-kranck. Es seindt viel krancken; in dem closter hir, wo ich heütte nachmittag hin gesolt, haben die kinderblattern bey den pensionairen wider ahngefangen, werde also nicht hin. Printzes Anne ist von ihren blattern, gott lob, salvirt. Gott gebe nur, daß nach dem neüen licht es nicht dem geblüdt folgen undt die zwey kleinen es nicht auch bekommen mögen! Printz Friderich ist viel beßer wider. Gott bewahre I. L. die printzes von Wallis, ihren printzen zu verliehren! Ich glaube, sie kämme von sinnen; den sie hatt mir geschrieben, daß, so sehr sie auch ihre 3 printzessinen liebte, so hette sie doch ihren herrn sohn noch viel lieber. Also were es etwaß abscheüliches, wovor gott der allmächtige gnädig beheütten[9] undt bewahren wolle! Der kleine pfaltzische secretarius ist mir vorgestern sagen kommen, daß Churpfaltz so ernstliche befehl vor Ewere bezahlung ertheilt, daß Ihr gar gewiß bezahlt solt werden. Ich kan es aber nicht glauben, biß ich es von Eüch selber vernehmen werde; erwarte mitt verlangen, biß Ihr mir dieße gutte zeittung bericht. Mein dochter hatt mir durch die gesterige post ein memoire geschickt, daß 75 famillen auß der Pfaltz nach Orleans gehen, umb ins Missisipi zu reißen. Der hertzog von Lotteringen hatt sie durch Lotteringen gehen sehen. Ihr werdt alle ihre tagreißen hirbey finden; die threnen seindt mir drüber in den augen kommen. Ich fürchte, daß unßer herrgott den churfürsten hart straffen wirdt. Wen die straffe nur auff die verflüchte pfaffen konte fallen, were es gutt; aber ich fürchte, der churfürst es selber wirdt bezahlen. Gott gebe, daß ich mich betriege! Aber ich bins woll gewiß undt habe diß betrübte exemple schon erlebt. Aber still hirvon! Last unß von waß anderst reden! Von der printzes von Sultzbach ihrem bößen kindtbett werde ich [163] nichts mehr sagen. Da bringt man mir eines von Ewern lieben[10] brieff von 18, no 40; den werde ich wie ordinarie beantwordten, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet. Hiemitt ist Ewer erstes schreiben vollig beantwortet, liebe Louise! Seyder heütte morgen habe ich gar nichts neües erfahren, muß also wider willen schließen undt vor dießmahl nichts mehr sagen, alß Eüch zu versichern, liebe Louise, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.