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Brief vom 1. Juni 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1127.


[163]
St Clou den 1 Juni 1720.
Hertzallerliebe Louise, morgen werden meine enckeln herkommen, mitt mir zu mittag zu eßen; die rassen mir ordinarie den kopff so voll, daß ich mühe zu schreiben habe. Dazu muß man auch in kirch undt wo daß wetter es erlaubt, werde ich ein wenig im gartten spatziren fahren, habe hoch von nohten, in die lufft zu fahren; den ich bin in rechten ängsten, sorgen undt betrübt wegen meines sohns. Mein sohns gemahlin, so gestern herkommen, hatt mich schir gantz ungedultig gemacht; sie ist lustig, lacht undt dreibt poßen, alß wen mein sohn in keiner gefahr wer, undt daß böße weib weiß es nur zu woll, in welcher abscheülichen gefahr er lebt. Ich habe mich zwingen müßen, umb nichts zu sagen, daß ich schir gebärst were. Dießes alles zusammen setzt mich in einer trawerigkeit, die ich Eüch, liebe Louisen, nicht beschreiben kan, undt macht einem daß leben erschrecklich müde, wie Ihr leicht werdet begreiffen können. Man hört undt sicht nichts, alß falschheit undt betrug; daß macht daß leben greülich müde undt sawer. Daß macht mich schir die Pfaltzer glücklich finden, so in Missisipi gehen undt auß Europa weg kommen. Aber ich werde meines lamantirens selber müde; last unß von waß anderst reden! Ich komme auff Ewer liebes schreiben vom 18 May, no 40. Es ist lang, daß ich mich nicht berühmen kan, einen gutten tag gehabt zu haben. Da kumpt der kleine pfaltzische secretarie, der von Grevenbrock, herrein undt bringt mir eine copie von der ordre, so Churpfaltz nach Heydelberg Ewertwegen geschickt. Ich habe dieße copie genohmen undt schicke sie Eüch hirbey[1], liebe Louise! Mich deücht, daß unßere [164] corespondentz jetzt zimblich woll geht. Meine gesundtheit ist auch all gutt, aber meine schenckel seindt noch gar schwach undt der apetit schlecht. Ich bin fro, daß ich die erste geweßen, von welcher Ihr, liebe Louise, die gutte zeittung erfahren, daß der printz undt unßere liebe printzes von Wallis wider bey dem könig, ihren herrn vattern, in gnaden sein. Gott gebe nur, daß es bestandt haben mag! Aber, unter unß gerett, ich forchte alß noch den hinckenden bott[2]. Gott bewahre unß doch davor! Aber der printz undt die printzes haben mitt schlimmen bernheüttern zu thun, die zu förchten sein. Aber ich bin heütte bey Chauseray[3] geweßen, habe mich gantz müde gangen. Ich werde morgen außschreiben, jetzt aber nach bett gehen; den mein ey, in waßer gesch[l]agenes ey, ist schon geschluckt. Gutte nacht, hertzallerliebe Louisse, biß morgen zu gutter zeit!
Sontag, den 2 Juni, umb halb 7 morgendts.
Ich dachte gestern abendts, heütte früher auffzustehen, Eüch einen gutten morgen zu geben, weillen ich 3 viertel auff 10 in meinem bett gezehlt hatte; aber ich habe mich ein wenig verschlaffen, wie Ihr woll secht. Es ist doch noch früh genung, umb Eüch einen gutten morgen zu wünschen, liebe Louise! Ob mir die zeit zwar sehr spät deücht zu sein, so schlafft doch noch alles hir im hauße, waß weibsleütte sein. Ich komme aber jetzt auff Ewer liebes schreiben, wo ich gestern abendts geblieben war, nehmblich ahn unßere printzes von Wallis. Es ist gewiß, daß so sachen zwischen eltern undt kindern recht attandriren undt die threnen in den augen kommen machen; es ist mir auch widerfahren, alß ich es geleßen. Bestandt hirin ist mehr zu wünschen, alß zu hoffen. Unter unß gerett, es gefehlt mir nicht, daß der könig nach einen so abscheülichen haß, wie der war, so er gegen seinen königlichen kindern bezeüget, auff einmahl wieder mitt ihnen umbgangen, alß wen nichts geweßen were. Unter unß gerett, daß kompt mir zu falsch vor, undt wo falschheit steckt, da ist auff nichts zu bawen; auffrichtigkeit allein kan einen gutten frieden stifften; daß ist meine meinung. Durch die lange experientz, wen man so lang gelebt hatt, alß ich, wirdt man mißtreüisch; den man lernt die welt kenen. [165] Mylord Stair[s] hatt mir verzehlt, wie große freüde dieße vereinigung in Londen gebracht hatt. Ich bin gewiß, daß die königin in Preusen auch hertzlich froh wirdt sein. Printzes Anne ist, gott lob, außer gefahr; ich förchte aber sehr, daß mitt dem neüen licht unßer[e] liebe printzes von Wallis neüe sorgen undt inquietuden überkommen wirdt; den es ist gar gemein, daß die kinderblattern daß geblüdt folgen, also fürchte ich, daß die zwey kleine princessinen dieße heßliche kranckheit auch bekommen werden. Gott gebe, daß ich mich betrige! Waß printz Friderich ahnbelangt, so ist mir bitter bang, daß auß seinen gichtern endtlich die rechte schwer-noht werden wirdt, welches etwaß abscheüliches ist in meinen sin; beklage die printzes, sein fraw mutter, woll von hertzen drüber. Gott gebe, daß es waß anderst sein mag undt der artige printz, von welchen ich viel guts sagen höre, vollig geneßen möge! Madame la princesse ist gantz wider woll, kam vergangenen mitwog au Palais-Royal zu mir. Daß kleine secretargen von Churpfaltz, der Gröbenbruck, sagte gestern, der keyßer hette gar einen scharpffen brieff ahn Churpfaltz geschrieben wegen der Reformirten, wie man sie nicht plagen solte undt ihnen ihren cathegismuß wieder trucken, allein allen die 80 frag[4] außlaßen[5]. Daß finde ich raisonabel, sie war zu starck undt konte nichts friedtliches in den Christenreligionen stiefften, worauff doch allezeit zu sehen ist Wen, wie man sagt, nun mehr Juden, alß Christen, zu Manheim wohnen, kan es leicht geschehen sein, daß der kirchenraht in ein Juden-hauß ist logirt worden. Heydelberg solle salvirt sein undt die residentz bleiben[6], also wirdt der kirchenraht wieder nach Heydelberg fahren[7]. Die reiße ist kurtz, kan leichter geschehen, alß die vom Missisipi widerkommen mögen. Mein gott, wie törich[t] seindt doch die menschen in der welt, so wenig zeit drin zu leben haben undt sich doch immer plagen wollen undt keine ruhe suchen [166] wollen[8]! Daß muß eine fürsehung gottes sein, damitt wir unß nicht zu sehr ahn dieße welt attachiren mögen undt zu große mühe haben, zu sterben. Hiemitt ist Ewer schreiben vollig beantwortet. Erfahre ich dießen nachmittag waß neües, werde ich es noch hir zusetzen; erfahre ich aber nichts, so müst Ihr Eüch, liebe Louisse, nur contentiren, daß ich Eüch versichere, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 1. Juni 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 163–166
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1127.html
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