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Brief vom 20. Juni 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1132.


[179]
St Clou, donn[e]rstag, den 20 Juni 1720 (N. 2).
Hertzallerliebe Louise, heütte hoffe ich Eüch eine exacte andtwordt auff Ewer liebes schreiben vom 7 Juni, no 45, von Geißenheim [geben zu können]; bin froh, zu sehen, daß Ewere reiße nach Geißenheim unßere corespondentz nicht gebrochen hatt, weillen Ihr mein schreiben so richtig vom 26 May, no 96, so woll entpfangen. Aber ich glaube, mein brieff war vom 25, den ich schreibe Eüch nie freytags; so bin ich doch eine bestie, den es war doch ein sontag, den 26. Ihr hettet ursach, bang vor mich zu sein, wen Ihr eine andere handt, alß die meine, sehen soltet, liebe Louise, den es gewiß ein zeichen were, daß ich todt-kranck sein müste. Nun bin ich, gott seye danck, wieder gantz woll. Ich werde daß schreiben nicht müde, den ich kan sonsten nichts thun. Arbeytten ist [180] mir ohnmöglich undt ich kan kein augenblick sein, ohne waß zu thun; den nichts zu thun, macht mich melancolisch, muß endtweder leßen oder schreiben, sonsten kan ich nichts thun. Ich leße aber nicht so viel, alß ich schreibe; den ich habe nicht zeit genung zu leßen, den im schreiben kan man noch eher mitt den leütten reden, alß im leßen, undt daß muß ich immer thun. Also muß es Eüch nicht wundern, liebe Louise, wen ich offt überzwerg schreibe undt viel fehler in meinen brieffen sein, den es ist nicht außzusprechen, wie offt ich interompirt werde. Gestern habe ein brieff von unßer printzes von Modene bekommen vom 5 dießes monts von Genua. Sie sagt mir kein wordt, wie es ihr dort geht undt ob sie nun bey ihren eygen leütten ist, oder nicht. Wie wehre es möglich, liebe Louise, daß sie ihren herrn lieben könte, den sie ihr leben nicht gesehen noch gesprochen hatt? Ich sage noch mehr, ich glaube nicht, daß sie ihn ihr leben lieben wirdt. Er solle gar nicht ahngenehm undt gar bludt-serieux [sein] undt einen dollen kopff haben; der ihrige ist auch weder complaissant, noch accort[1]. Es mögte[n] woll offt starcke strittigkeitten kommen; wen ichs vernehmen solte, würde es mich gar nicht wunder nehmen; die zeit wirdt lehren, waß drauß werden wirdt. Wer raisonable ist, kan sich mitt der zeit in alles schicken lehren[2], ich sage, wer raisonabel ist; aber wer es nicht ist, der hatt zu leyden. Ich gestehe, daß ich nichts guts ahm ehestandt finde, wie man es auch wenden undt threhen mag. Were ich mein eygener herr geblieben, hette ich mich eben so wenig geheüraht, alß Ihr, liebe Louise! Daß man sich daß erste mahl heüraht, wen die eltern es haben [wollen] undt der gehorsam einem dazu obligirt, daß ist leicht zu begreiffen; aber waß ich mein leben nicht habe begreiffen können, ist, wie eine witwe sich resolviren [kann], wieder zu heürahten. Den entwetter ist sie im ersten heüraht glücklich geweßen oder nicht, hatt sie einen man gehabt, so sie hatt lieben können oder nicht. Hatt sie ihn geliebt, wie ist es möglich, daß man einen andern in deßen platz setzen kan, mitt ihm zu leben, zu eßen, zu drincken undt zu schlaffen? Daß kompt mir abscheülich vor. Hatt man aber einen man gehabt, so einen gequählt hatt undt übel mitt einem gelebt, wie kan mans wagen, wider in ein solch unglück zu fallen? Also [181] wie man es auch wenden undt threhen mag, kan ich nicht begreiffen, wie man sich ohne den bloßen gehorsam der ältern heürahten kan. Ich zweyffle sehr, liebe Louise, daß unßere hertzogin von Hannover ursach haben wirdt, gar content von dießer encklin [zu sein]. Wir werden baldt hören, ob ich mich betriege, oder nicht. Es wirdt unßer hertzogin von Hannover nicht leydt thun können, dieß ihr unbekante enckellin zu quittiren, weillen es ist, ihr hertzliebe dochter, die keyßerin[3], wider zu sehen undt nach ihr ihre so viel geliebte fraw schwester wider zu sehen, die sie in 26 jahren nicht gesehen hatt; daß ist ahngenehmer, alß bey einer gritlichen enckelen zu hocken, denen man nichts wirdt zu recht thun können. Daß kan nicht möglich sein, daß die hertzogin von Hannover ihre fraw dochter[4], hertzogin von Modene, lieber gehabt hatt, alß die keyßerin; die hatt mehr verstandt in ihrem kleinen finger, alß die hertzogin von Moden[e] in leib undt seele. Monsieur le duc ist gar heßlich undt unahngenehm dabey; sein abscheülicher geitz macht ihn unahngenehm, es ist eine rechte schandt. Die abtißin von Chelle[s] findt sich gar glücklich in ihrem standt, undt wen monsieur le duc so schön were, alß er wüst undt heßlich, würde sie doch ihr closter nicht vor ihn quittiren wollen[5]. Wen man etwaß in die hollandische zeittung setzen will, setzt mans auff, thut einen thaller ins paquet undt setzt nur auff daß paquet: au gazettier d’Hollande, so findt man die post hernach gar gewiß in der zeittung, so doll es auch sein mag. Ich habe heütte gleich nach dem eßen durch Ewern secretarius die zeittung [empfangen]; er schickt mir sie gar ordentlich, dankt ihm doch davor! Wen man lang in kein hauß geweßen, muß viel reparation geschehen. Zu St Clou glück habe ich mich resolvirt, alle jahr den gantzen frühling undt sommer hir zuzubringen; sonsten wer alles hir zu schanden gangen, den Terra[6] hatt keinen nagel dran zu recht laßen machen seyder [182] Monsieur s. todt. Die schönne gall[e]rie fielle ein, die cascade ging zu grundt, die balustraden wahren umbgefahlen, suma, alles ging zu schanden. Aber seyder ich hir bin undt Terrat gestorben, hatt man alles wider zu recht gemacht wie neü. Die cascade ist schönner, alß nie. Ich meinte, Geissenheim were Ewer eygen undt nicht von den schonburgischen güttern. Waß seindt daß vor pferdt die radtpferdt? Da hab ich mein leben nicht von gehört, liebe Louise! Schwanger sein, wie die gräffin Degenfelt ist, macht sie nicht gar reißfertig. Wen die gräffin von Degenfelt ihren man nicht so hertzlich lieb hette, alß sie ihn hatt, solte ich woll meinen, daß ihre separation mitt ihrer schwester sie betrüben solte; aber wie in dem prologue von Pourcauniac stehet: Quand deux coeur saiment bien, tout le reste, tout le reste n’est rien[7]. Zudem so will ich auch hoffen, daß sie ein gutt naturel genung hatt, umb Eüch gern wider zu sehen, dern sie so viel obligationen hatt. Die königliche paläst seindt nicht allezeit die örter, wo man ahm vergnügsten ist; aber ich muß gestehen, daß, wer ahn einem hoffleben gewohnt ist, kan sich ahn kein privat undt bürgerlich leben gewohnen. So geht mirs nun, liebe Louise, ich muß es gestehen. Ich habe einmahl einen heßlichen undt hinckenden graff Berlips hir gesehen; ich weiß aber nicht, ob es deßen gemahlin ist, so Ihr nun zu Franckforth habt. Ich meinte aber, seine mutter wehre lengst todt; die muß auch die jungste nun nicht sein. Es ist mir gar nicht wunderlich vorkommen, daß ihr man gestorben; er sahe nicht gesundt auß. Ich wolte, liebe Louise, daß Ewer teü[t]sche kinder schon bey Eüch wehren; den daß wirdt Eüch amussiren undt verenderung geben undt ein lustigeres leben machen, alß Ihr, liebe Louise, ordinari führt. Waß ist es vor eine gräffin von Wittgenstein zu Franckforth? Ist es unßers Westerwallers [schwester][8], den ich alß mein keyßer geheyßen? Ich weiß nicht, wer nun ertzbischoff zu Würtzburg, werde es noch nachsuchen, ehe ich nach bett gehe. Mein gott, wie könt Ihr Eüch mitt so arbeydtsleütte behelffen, insonderheit mitt zimerleütten! Ich kan nicht dawern, wo man starck [183] klopfft, [da] könte ich ein landt verlaßen; ich kans nicht außstehen. Auffzuraumen, daß geht woll hin; Ewer hauß wirdt den werden, wie man in ein[e]r commedie singt, sein la beauté, la rarété, la curiosité. Apropo von commedie, ich habe mein leben nicht beßer spiellen sehen, alß Baron[9] gestern gespilt hatt. Le Cid[10] hatt mich recht divertirt, ich muß gestehen. Er geht in sein 70 jahr, undt wen er spilt, solte man ihm keine 40 geben. Glückseelige gutte nacht, liebe Louisse! Seydt versichert, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 20. Juni 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 179–183
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1132.html
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