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Brief vom 4. August 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1145.


[222]
St Clou, sontag, den 4 Augusti 1720 (N. 15).
Hertzallerliebe Louise, gestern fuhr ich nach Paris, alwo ich mitt Ewer liebes schreiben vom 23 Julli, no 57, erfreüet wurde. Alles ist, gott lob, ruhig undt still; wens nur so bleibt! Abendts ging ich in die ittalliensche commedie. Sie spilten gar woll; ich konte aber nicht von hertzen lachen, den ich bin mitt gar zu trawerigen gedancken überheüfft, umb recht von hertzen zu lachen können. Heütte will ich auff Ewere alte schreiben, liebe Louise, andtwortten, undt daß neüe vor die ander post, wo mir gott leben undt gesundtheit verleydt, versparen; fange also bey dem vom 20 Julli, no 56, ahn. Ich sehe aber auß allen beyden letzten, daß mein brieff von 7, no 7, sich nicht wider findt; kan nicht begreiffen, wo er geblieben muß sein. Der verlust ist zwar gering, doch verdrießlich, daß die brieffe verlohren werden. Aber alles ist verdrießlich in jetzigen zeitten undt recht langweillig; daß wetter ist es auch, den da ist so ein feüchter, dicker nebel, daß man Paris nicht sehen [kann], kaum le bois de Bologne; es ist dunckel undt betrübt wetter, wie alle leütte sein; der nebel ist mehr kalt, alß warm. Aber hiemitt genung vom wetter gesprochen. Von Laws will ich auch nichts sagen; alle dieße sachen [machen] mich zu ungethultig. Ich zweyffel sehr, daß des königs kasten voll sein; meins sohns seine seindts gar gewiß [nicht], aber woll, aber woll monsieur le duc seine undt es ist nicht außzusprechen, waß [er] ahn güttern undt juwellen gekaufft hatt seyder 2 jahren her. Ich weiß nicht, liebe Louise, waß Arelat[1] ist, daß man sagt, daß mein sohn ein königreich vor sich kauffen solte; da denckt er gar gewiß nicht [an]; auch gibt ihm seine regence zu viel desgout, umb ohne noht ahn weittere regirung zu gedencken; könte woll sagen, wie in [223] 2 commedien von Corneille stehet. Daß erste, so ich cittiren will, ist von Heraclius[2], wo Phocas sagt:
Crispe, il n’est que trop vray, la plus belle couronne
Na qu’un faux brillant dont lesclat l’environne;
Et celuy dont le ciel pour un sceptre fait choix,
Jusques a ce qu’il le porte, en ignore le poids.
Mille et mille douceurs y semblent attachées,
Qui ne sont qu’un amas d’amertume[s] cachées[3].
Daß ander passage, so ich cittiren will auff diß sujet, ist von der commedie von Cinna[4], wo Auguste sagt:
Enfin tout ce qu’adore dans ma hautte fortune
D’un courtisant flatteur la presence importune,
N’est que de ces beautés dont l’esclat éblouit,
Et qu’on cesse daimer, si tost qu’on en jouit.
L’ambition desplait quand elle est assouvie,
D’une contraire ardeur son ardeur est suivie;
Et comme nostre esprit, jusques a[u] dernier soupir,
Tousjours vers quelque objet pousse quelque désir,
Il se ramène en soy, n’ayant plus ou ce prendre,
Et, monté zur le faiste, il aspire a desendre,
J’ay souhaité l’empire, et j’y suis parvenu;
Mais, en le souhaittant, je ne l’ay pas connu:
Dans sa possession j’ay trouves pour tout charmes
D’effroyables soucis, d’etternelles allarmes,
Mille ennemis secrets, la mort a tout propos,
Point de plaisir sans trouble, et jamais de respos[5].
[224] Daß ist woll eine wahre beschreibung vor[6] denen, so regieren müßen; daß habe ich all mein leben in prose gesehen; aber wie ich kein poetin bin, hette ich es nicht in so schönnen vers setzen können, wie Corneille gethan; auch hatt mich die ambition mein leben nicht getrieben. Ich rede modest von mich selber, liebe Louise, weillen ich mich selber ahm besten kene. Gutten raht geben wollen, da gehört nicht allein mehr vernunfft undt verstandt zu, alß ich leyder habe, sondern es gehört auch noch dazu wißenschafft, die ich gantz undt gar nicht [besitze]. Der gutte willen thut nichts dazu undt ich habe leyder nur zu viel erlebt in dießem landt, waß ignoranter weiber raht übels stifften kan, werden[7] also mein leben nicht unterfangen, meinem sohn waß in seiner regence zu rahten, undt man kan mitt warheit versichern, daß mein raht nicht gefolgt wirdt, den ich gebe mein leben keinen[8]. Meint Ihr den, liebe Louise, daß ich mein leben weder psalmen noch lutherisch lieder singe? Ich kan noch viel außwendig undt singe sie offt, finde es tröstlich[9]. Ich muß Eüch doch verzehlen, waß mir einmahl mitt meinem singen begegnet ist vor mehr, alß 25 jahren. [225] Ich wuste nicht, daß monsieur Rousseau, so die orangerie gemahlt hatt, reformirt wahr. Er wahr auff einem eschaffaut[10] oben; ich meinte, ich wehre gantz allein in der gallerie, [sang] gantz lautt den 6 psalm: In deinen großen zorn, darin ich bin verlohren, ach, herr gott, straff mich nicht undt deinen grim der gleichen laß widerumb erweichen undt mich in dem nicht richt! Ich hatt kaum daß erste gesetz außgesungen, so höre ich in aller eyll jemandts vom eschafaut herunder lauffen undt mir zu füßen fahlen[11]; es war Rousseau selber. Ich dachte, der man were närisch worden, sagte: Bon dieu, monsieur Rousseau, qu’aves-vous[12]? Er sagte: Est-il possible, madame, que vous [vous] resouvenies[13] encore de nos psaumes et [que vous] les chantiés[14]? Le bon dieu vous bénisse et vous maintien[n]e dans ces bon[s] sentiements[15]! hatte die threnen in den augen. Etlich tag hernach ging er durch, weiß nicht, wo er hin ist. Aber wo er auch sein mag, wünsche ich ihm viel glück undt vergnügen; er ist ein ex[c]ellenter mahler en fresq[16], sehr estimirt. Ich habe nie erfahren können, wo er hin kommen ist[17]. Mir mißfelt die melodey von Ich hab mein sach gott [226] heimgestelt[18] gar nicht; [sie ist nicht] heßlich, die wortte bringens mitt; den solten solche große moralliteten in bouréen[19] oder menuet gesungen [werden], daß lauttete ja nicht woll. Vou den gräffinen von Zoettern höre noch sehe ich nichts mehr, weiß nicht, wo sie hin kommen sein; will mich deßwegen erkundigen undt es Eüch, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet, bis donnerstag berichten. Daß Ihr sagt, daß Ihr auch nicht schön seydt, hirauff kan ich sagen, wie Jodelet sagt: Si nous estions artissans de nousmesme[s],On ne verroit partout que des beautés extrêm[es][20]. Die jüngste hatt nichts sonderliches, aber die älste ist es in allen stücken. Ich fürcht[e], es wirdt endtlich ein schlim endt mitt der älsten ihrem hirnkasten werden; den man sicht [es] ihr schon ahn den augen ahn, so greülich esgarirt[21] sein. Es seindt wenig antiquen medaillen, so ich nicht schon habe[22]; den ich habe deren gar nahe bey neünhundert; habe nur mitt 260 ahngefangen, so ich von madame Verüe[23] gekaufft, so sie dem damahligen hertzog von Savoyen gestollen. Ich schriebe es gleich ahn die jetzige königin von Sardaignen undt offrirte, sie dem könig wider zu schicken, aber die kist war schon verstümpelt, hatte die meisten verkaufft. Die königin schriebe, sie were hertzlich fro, daß [ich] die wenige doch bekommen hette, solte sie behalten. Ich habe sie gar wollfeill, nur nach dem gewicht, undt es wahren doch gar rare drunten[24]. Aber es ist schon über 11 uhr, ich muß mich ahnziehen, in kirch gehen, hernach ahn taffel; meine 3 enckelen werden kommen, mitt mir eßen. Nach dem eßen werde ich außschreiben, liebe Louisse! [227]
Sontag umb 3 uhr nachmittags undt ein viertel nachmittags.
Ich habe 3 viertelstundt nach dem eßen außgeruhet; den man sagt, es seye gar ungesundt, nach dem eßen zu geschwindt zu schreiben, undt man will, daß seyderdem ich alt geworden, daß ich nach der gesundtheit leben solle. Aber ich bin so persuadirt, daß unßer stunden, liebe Louise, gezehlt sein, daß man sie unmöglich übergehen kan, daß man zwar alles folgen muß, waß die vernunfft eingibt zu unßeren conservation, aber waß geschehen solle, geschicht doch[25]. Daß glaube [ich] vestiglich, liebe Louise, undt darauff leb undt sterb ich, ohne kein wordt davon zu sagen; den die manir hir ist, daß ein jeder glaubt, waß er will, aber kein wort davon sagt, liebe Louisse, undt daß ist leicht zu thun. Aber da leütt man in kirch; nach dem salut werde ich fortschreiben. Da komme ich auß der kirch. Ich bin Eüch sehr verobligirt, liebe Louise, mir antiquen medaillen zu suchen wollen. Aber, liebe Louisse, ich glaube nicht, daß in den 900, so ich habe, die, so mir fehlen, leicht zu finden sein. Da kompt noch mein calesch, ich werde ein tour thun, frische lufft zu schöpffen. Es wirdt kurtz hergehen; den ich glaube, es wirdt baldt regnen, werde also meine promenaden kurtz machen undt sagen, wie ich that, wie ich noch ein kindt war: Adieu! Ich nimb einen abtritt, baldt widerkomen.
Sontag, den 4 Aug[usti], umb 3/4 auff 8 abendt.
Ich hatt nur ein tour im gartten gethan, wolte gleich wider herauff, umb zu schreiben; aber in dem mail[26] haben wir madame de St Piere[27] mitt ihres sohns fraw gefunden; die hatten violons undt hautbois undt violons undt ein bal. Meine enckelen haben den bal gern gesehen, hab also auß complaisance vor meine enckellen still halten müßen, daß hatt mich so lang auffgehalten; den ich frag kein haar darnach, habe mein tag daß frantzosche dantzen nicht geliebt, weder selber zu dantzen oder dantzen zu sehen[28]. Aber ich dancke Eüch gar sehr, liebe Louisse, umb wider auff Ewer liebes schreiben zu kommen, so dancke ich Eüch von hertzen, liebe Louisse, vor die offre, so Ihr mir thut, mir die antiquen medaillen [228] zu suchen, so ich nicht habe; aber, Louisse, ich werde nichts kauffen, noch nirgendts her kommen laßen, biß daß das gelt wieder in beßerer ordenung sein wirdt. Die von Schonborn[29], so ich hir gesehen, wahren zwey brüder; der älste war wie ein abbé gekleydt, war woll geschaffen, hatte aber kein hübsch gesicht; der jüngste war wie ein cavallier gekleydt, hatt[e] eine lange hübsche blonde peruque undt ein …, hatten beyde verstandt, aber von gar differenten humor. Der elste war nicht melancolisch, aber sehr serieux, der jüngste war allezeit lustig undt lachte von hertzen, seüfftzte nur, wen er gedachte, daß er ein prister werden muste; daß stundt ihm gar nicht ahn. Ich glaube, daß dießer dick muß geworden sein; den so jung, alß er auch noch war, war er doch schon dick. Ich wünsche ihnen beyden alles glück undt guts. Soltet Ihr sie zu sehen bekommen undt sie sich meiner noch erinern, so grüst sie doch von meinetwegen! Sie war[en] große freünde von meiner gutten freündin, madame de Beuveron[30], so ich nur alß Theobon[31] geheyß[en], weill sie so geheyßen, wie sie noch unverheüraht undt hofffreüllen von unßerer gutten königin s. war. Sie wahren gar offt bey ihr, wie sie Eüch werden verzehlen können, wen Ihr sie sehen werdet. Nach unßer[e]s graffen von der Buckeburg rechnung wirdt er gestern oder heütte auffs allerspätst zu Londen sein. Er wirdt baldt nach Hannover gehen. Der Pirmonter sawerbrunen solle dem könig in Englandt überauß woll bekommen. Aber wie kan man judiciren, ob ein sawerbrunen woll bekompt, oder nicht, wen man den sauerbrunen in volkommener gesundtheit drinckt? Merianss[32] ku[p]fferstück finde ich gar schön; mich deücht aber, daß seine landtschafften ahm besten sein. Ich habe gar viel kupfferstück von seiner handt, alle heüßer von Flandern, von Teütschlandt undt von Franckreich, so er in kupffer gestochen hatt, wie auch die gantze Schweitz. Ich habe mehr, alß 9 bogen, von ihm; ich habe [229] auch seine teü[t]sche Bibel[33] undt die 4 monarchien. Von seinem verniß[34] hatte ich nie gehört. Der fürstin von Ussingen schreiben hab ich gleich ahn madame Dangeau geschickt. Mein page hatte nicht weitt zu gehen, es ihr [zu] schicken; den sie logirt jetzt zu Meudon, so nur ein viertelstundt von hir ist. Die fürstin von Ussingen ist Eüch doch eine ahngenehme geselschafft, bin deßwegen froh, daß sie zu Franckfort ist. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet; es ist aber zu spät, umb daß andere ahnzufangen; den ich habe noch ahn mein dochter zu schreiben, ehe ich schlaffen gehe, sage derowegen vor dießmahl nichts mehr, alß daß ich Eüch von hertzen lieb habe undt allezeit behalten werde, liebe Louise!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 4. August 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 222–229
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1145.html
Änderungsstand:
Tintenfass