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Brief vom 19. September 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1158.


[279]
St Clou den 19 September 1720 (N. 28).
Hertzallerliebe Louise, vergangenen sontag habe ich Ewer liebes schreiben vom 3 dießes mon[t]s, no 69, zu recht entpfangen; aber wie Ihr schon wißen werdt, so geht die post nicht mehr montag [280] morgendts, sondern sontag morgendts; also muß ich, wie ich Eüch schon gesagt, liebe Louise, deß sambstags abendts mein paquet vor Eüch nach Paris schicken. Die freytag-post aber ist wider eingesetzt worden, wie sie war; drumb schreibe ich wider den donnerstag, wie Ihr segt, liebe Louise! Ich entpfange gar offt von den verfluchten anonimen schreiben[1]; den ich vorgestern, noch vorgestern entpfinge. Machte mich doch in aller ungedult zu lachen; den man gab mir gantz ernstlich den raht, meinen sohn wie einen narren einzusperen laßen; daß würde allen zorn, so man gegen ihm hatt, benehmen undt sein leben retten. Solche sachen können woll ein augenblick lachen machen, aber es macht nicht lustig. Bißher befundt sich mein sohn, gott lob, noch gar [wol]. Ich bin gestern zu Paris geweßen; mein sohn habe ich wenig gesehen, kam ein augenblick zu mir, wie ich ahn taffel ging. Da konte ich nicht mitt ihm reden, ging gleich wider ahn seine arbeydt, so gestern von 8 morgendts biß halb 8 abendts gedauert Waß mich aber recht jammert, ist, daß mein sohn sein gesundtheit undt leben verschliest, umb waß guts außzurichten, undt doch nichts, alß lautter haß, erwirbt. Daß macht mich recht betrübt undt macht mich fürchten, daß es endtlich ein schlim endt nehmen wirdt, wovor mich gott gnädiglich bewahren wolle! Ich kan nicht ohne schaudern dran gedencken. Wir haben gottes hülff zwar hoch von nöhten, allein ich fürchte, wir leben nicht genung darnach, daß unß gott gnadig sein möge. Aber stille, last unß von waß anderst reden! Aber da kompt man mir sagen, daß es zeit ist, mich ahnzuthun. Ich habe gar spät ahngefangen, zu schreiben; erstlich so habe ich geleßen, waß ich gestern nicht habe leßen [können], nehmblich meine 9 capittel, hernach habe ich ahn meinen sohn schreiben müßen; den ich habe so ein schlim gedachtnuß, daß ich über die helffte vergeßen, waß ich ihm gestern sagen wollen. Dießen nachmittag nach der promenade werde ich dießen brieff außschreiben.
Donnerstag, den 19 September, umb 3/4 auff 6.
Da komme ich eben von der spatzirfahrt Es ist heütte da[s] schönste wetter von der welt. Ein augenblick, ehe ich außgefahren, bin ich mitt Ewer liebes schreiben vom 2, no 70, erfrewet worden, [281] welches ich gleich geleßen, werde dießes aber erst vor übermorgen sparen nach unßerm alten brauch, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet; komme wider auff Ewer liebes schreiben. Ihr müst Eüch in Ewerem datum verschrieben haben, liebe Louisse, weillen Ewer liebes schreiben von no 69 dadirt Ihr vom 3 September, undt daß ich heütte entpfangen, wie ich schon gesagt, daß datirt ist[2] von 2[3], no 70; also muß gar gewiß ein irtum sein. Ey, liebe Louisse, wen Ihr über alles, waß ich Eüch von hir berichte, weinen wolt, darff ich Eüch nichts mehr schreiben; den weinen ist bitter ungesundt undt ich wolte Eüch nicht gern kranck machen. Ich weine nicht mehr, liebe Louise! Warumb wolt Ihr dan weinen? Ich habe gott dem allmächtigen alles heimgestelt, den laß ich walten, dancke ihn von hertzen, wen ein tag vorbeygeht, daß ich keine böße zeittung erfahren, erwartten[4] nichts gutts undt gehe hübsch still meinen weg fort. Daß ich sagen solle, daß ein solch leben ahngenehm ist, müste ich lügen. Ich suche, mich zu distrairen, ich leße, schreibe, gehe undt fahre spatziren; ich gehe all woch einmahl in die commedie, mitt einem wort, ich suche alle distractionen, so mir immer möglich sein, nachdem ich meinen sohn undt mich selber gott befohlen habe[5]. Drumb gebt Eüch auch zufrieden, bettet vor unß undt last im überigen gott waltten! Undt ich singe hirauff, wie in dem morgenliedt stehet:
Gott will ich laßen rahten,
Der alle ding vermag,
Er segne meine thaten,
Mein vornehmen undt mein sach,
Ihm sey es heimgestelt!
Mein leib, mein seel, mein leben,
Undt waß er mir hatt geben,
Sey alles in seine händt!
Ich weiß nicht, ob mittel sein, dem übel zu steüern; aber ich weiß woll, daß ich keinen verstandt genung habe, mich in solchen sachen zu mischen. Drumb, fragt man mich, waß ich von eins oder ander gedencke, sage ichs teütsch herauß; fragt man mich nicht, schweige ich maußstill. Mein sohn ist nur gar zu gehertzt. Last unß von waß anderst reden, alß von Laws undt sein sisteme! Daß [282] hatt mir allezeit mißfahlen undt mißfelt mir noch. Ich kan nichts drin begreiffen undt deücht mir, daß man eher sachen[6] könte mitt allen den papiren daß Laws, met verlöff, met verlöff, arschwischige sachen ahngefangen hatt[7]. Apropo hirvon, es ist gewiß, daß leütte widerfahren ist, in seiner großen nöht[8] dieße billiet de bangue gebraucht, hernach einen gantzen tag zugebracht, sie wider zu waschen. Dazu kan man sagen: Daß spielgen stinckt; den dieße billiet de banque konten nicht woll richen. Man hatt hundert histörger auff dießen text; ich wolte, daß dießes Eüch könte lachen machen, liebe Louise! Mademoiselle de Malause ist, gott sey danck, gantz außer gefahr. Ich halte recht viel von ihr; sie [ist] eine von den besten Frantzösinen, so ich hir gesehen. Ihr brieff war sehr touchant; den brieff[9], so ich Eüch von ihr geschickt, war von ihrer eygenen handt geschrieben, 7 seytten voll. Hette daß blutten nicht auffgehört, were sie gewiß gestorben. Es ist gewiß, daß dieße dame ein gutt undt noble gemühte hatte[10]. Ihre tante ist in meinen dinsten gestorben, war meine dame d’atour, hieße madame de Dura[s]fort. Daß ich Eüch mademoiselle de Malause brieff geschickt, meritirt keine dancksagung, liebe Louise! Ich wuste woll, daß die contesse de Holdernesse auff ihre gütter gereist war; den monsieur Le Fevre hatte es mir vor sein[e]r abreiße gesagt; aber er meint, daß die gräffin von Degenfelt zu Londen wehre. Affairen seindt langweillige sachen in meinem sin. Ohne complimenten, liebe Louise, wen man einander so nahe ist, alß wir einander sein, kan man nicht sagen, daß man einander nichts nutz [sei]; den wen man nur lebt, ist man nutz, weillen man betrübt über den verlust sein würde. Ich meinte, daß alte Sprichwort wehre: Ein freündt in noht gehen 16 auff ein loht. Es ist noch etwaß dabey von einem quintlein, so ich vergeßen habe[11]. Monsieur Suthon sehe ich gar [283] selten. Vorgestern kamme mylord Peterbouroug[12] zu mir; er kompt auß Ittallien; er sagt, er were nicht gar gesundt, sicht doch woll auß undt ist fetter worden. Sobaldt monsieur Southon[13] meine medaillen undt stein zu sehen begehren wirdt, werde ichs ihm weißen; ich werde aber nicht nach die seine fragen auß forcht, daß er meinen mögte, ich frage darnach, damitt er mir welche schencken mögt. Nichts finde ich amba[rras]santer[14], alß wen einen leütte, die nicht unßere sonderbahre freünde sein, waß verehren wollen; daß macht mich gantz gritlich. Madame de Dangeau hatt mir nichts von ihrer schwester sach gesagt oder geschrieben; den man kan sie ja nun nicht sehen, ist gar betrübt, ihren alten man verlohren zu haben. Also weiß ich kein wordt von der fürstin von Ussingen ihre sache, kan ihr also nicht drin dinnen. Daß eine maistres sich zu der frawen geselt, ihren amant zu klopffen … Ich bin zu Frankfort gewest, weiß also woll, wo Sachsenhaussen ist. Ich glaube, daß freüllen hatt der frawen parthi genohmen, umb alle medisen[c]en[15] zu verhütten. Wen eine fraw jalous ist, will es eben nicht sagen, daß ein mensch waß gegen ihre ehre gethan; den viel leütte sein jalous von temperament. Die historie ist doch artig undt were possirlich gantz zu wißen. Daß ende aber ist tragique davon, weillen der man gestorben. Hiemitt ist Ew[e]r liebes schreiben, so ich heütte morgen ahngefangen, vollig beantwortet. Wir haben nichts neües hir, werde also vor dießmahl nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch, hertzliebe Louisse, von hertzen lieb habe undt all mein leben behalten werde.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 19. September 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 279–283
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1158.html
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