Seitenbanner

Brief vom 10. Oktober 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1164.


[299]
St Clou den 10 October 1720 (N. 33).
Hertzallerliebe Louise, gestern war ich nach Paris gefahr[e]n, da bin ich mitt Ewer paquet undt liebes schreiben vom 28 September, [300] no 76, erfrewet worden mitt dem küpfferstück vom itzigen könig in Schweden. Es ist mir leydt, daß es nicht gleicht; bin doch fro, daß Ihr mirs geschickt habt; die invention ist artlich, dancke Eüch gar sehr davor. Heütte aber werde ich nicht auff dießes liebes schreiben antwortten, sondern es vor übermorgen ersparen, wo mir gott alßden leben undt gesundtheit verleyet; heütte aber werde ich auff daß von 24 September, no 75, andtwortten, so ich vergangen sontag entpfangen. Weillen aber die post deß sontags nicht mehr geht, wie ich Eüch, liebe Louise, schon bericht, habe ich es vor heütte versparen müßen, wie ich Eüch schon bericht; dancke vor das letzte kupfferstück, so Ihr, liebe Louise, mir mittgeschickt habt von den statten; davor solle ich woll noch einmahl dancken, den es amussirt mich recht. Ihr habt Eüch nicht in der meinung betrogen, daß Ihr die andere post 2 von meinen schreiben auff einmahl entpfangen würdet, weillen[1] ich in Ewerm gesterigen gesehen, liebe Louise! Wer sich über die post beschwehren wolte, würde man gar zu viel zu thun haben; den daß ist ohne endt. In Lotteringen rufft mein dochter continuirlich gegen die post. Die englisch post ist nun die, so ahn richtigsten hir geht. Gestern entpfing ich[2] noch ein schreiben von unßere liebe printzes von Wallis bekommen von 17 große bogen; den die englische pap[i]er-blätter seindt viel größer, alß die von Paris, schir wie ein klein in-follio[3]. Man kan in der welt nicht ahngenehmer schreiben. Es war mir nicht leydt, daß Ihr die gräffin von Witgenstein bey Eüch gehabt; den daß gibt doch verenderung undt distraction gegen die melancolisch gedancken dießer zeit, insonderheit weillen es jemandts raisonabels ist, so Eüch lieb hatt. Ihre ursach, wider nach hauß zu gehen, ist gar valable[4]; es ist aber nicht zu fürchten, daß die große lieb gegen seiner fraw mutter lang dawern wirdt. Wen er in 10 jahren noch so sein wirdt, wolte ich es loben; aber wen junge bursch zu andere junge bursch kommen, werden sie baldt geendert undt die tendresse von den[5] eltern vergeht gar geschwindt, wen sie zu jahr[e]n kommen undt mitt andere junge bursch umbgehen. Auffs wenigst ist es hir im landt so. Ich bin so lang auß Teütschlandt, daß ich nicht mehr wißen kan, wie es dort ist. In dießem mont ist es 49 jahr, daß ich von [301] Heydelberg bin, undt den 15 zukünfftigen monts wirdt es eben so lang sein, daß ich geheüraht bin[6]. Mein gott, wie geht die zeit vorbey, wie ein blitz! Man thut woll, nicht alles zu glauben, waß in den gazetten undt zeittungen stehet; den sie lügen abscheülich. Ich habe gehört, daß seyder mein vetter, printz Wilhelm, einen sohn bekommen, solle der landtgraff von Darmstatt keine lust mehr haben, seine fraw dochter printz Max von Heßen Cassel seine fraw dochter zu geben. Enruhmirt[7] zu sein, ist nichts vor eine junge person, wie die printzes von Darmstatt ist; den nach dem buch von dem jetzt lebenden Europa ist sie den 3ten September 22 jahr erst alt worden. In denen jahren kan husten undt schnupen nicht schaden, ist mehr gesundt, alß ungesundt; es dint beßer, alß eine purgation; daß heist man nicht krancklich sein. Mich wundert, daß der printz von Sultzbach seine gemahlin nun quittirt, da sie so nahe bey ihrer niederkunfft undt kindtbett ist. Unter unß gerett, mich deücht, es ist ein ellender zustandt ahm churpfältzischen hoff. Ich glaube, daß Churpfaltz abscheülich bestollen wirdt, oder weillen er ja eine metresse[8] hatt, mag woll alles dahin gehen, wie ordinari bräuchlich ist undt ahn andern ortten mehr geschicht. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben no 75 gar exact beantwortten[9], will nun verzehlen, waß ich gestern neües zu Paris erfahren. Eine arme fraw, so allezeit bey mir ist undt meines letztverstorbenen docktors dochter ist undt einen Börstel von geschlegt geheüraht hatt, were gestern schir wittib geworden durch ein gar wunderlich accident. In der rüe de St Anthoine fuhr monsieur Börstel; ein lehen-kutzscher[10], welche ordinarie gar insolente leütte sein, kam überzwerg undt hindert ihn, fortzufahren. Monsieur Börstel rieff dem kutzer[11], er solte wegfahren; der fiacre andtwortet ihm mitt insolentz. Börstel wirdt böß, will den kutzscher schlagen, der rufft zum pöpel: Voila Laws qui me [302] veust tuer! a mon secour! Der pöpel versamblet sich mitt stein undt stöcken undt fangen ahn, den Börstel zu chargiren. Er muste sich in die kirch salviren, sie verfolgten ihn biß ahn den altar; da war zu allem glück eine kleine thür offen, darin sprang er mitt dem andern jungen edelman undt machten die thür zu, sonsten were er gesteinigt undt zerschlagen worden. Daß ist alles, waß ich vor dießmahl weiß, undt daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 10. Oktober 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 299–302
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1164.html
Änderungsstand:
Tintenfass