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Brief vom 21. November 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1176.


[334]
St Clou den 21 November 1720 (N. 45).
Hertzallerliebe Louise, ich hatte gehofft, gestern gehofft, nach Paris zu können, umb unßere gutte hertzogin von Hannover ahn den könig zu pressentiren. Daß ist aber gantz ohnmöglich worden, den mein husten undt schnupen hatt seyder vergangen sontag so zugenohmen, daß ich nicht auß der cammer kan, undt der gutten hertzogin geht es nicht beßer, alß mir. Es ist kein wunder, viel leütte haben husten undt schnupen; daß thut daß abscheüliche wüste wetter. Es ist 3 tag, das wir die son nicht gesehen haben; man sicht kein[e] 2 schrit vor sich, so ein dicker, starcker nebel ist es undt wehet dabey ein starcker, kalter nordtwindt, daß man verfri[e]ren … Ich habe hir eine große warme kamer wie eine stube; ich laß schirm vor die thüren setzen. Alle die von außen hereinkommen, sagen [335] alß: Ah, que voila une bonne chambre! Mitt der zeit undt gedult … Gestern ist die arme haußhelterin, oder consierge, wie man es hir heist, gestorben ahn einer esquinancie oder halßwehe[1], [ist] 5 oder 6 tag kranck geweßen. Es ist schadt, es war gar eine gutte fraw. Ihr armer man ist untrostbar. Mein sohn, so mich gestern besuchen kam, machte mich doch zu lachen; wie man von deß armen mans betrübnuß sprach, [sagte er]: Il faut que pour ce consoler il prene sa 3em[e] famme. Die gestern starb, war die zweyte. Ich glaube, daß die arme fraw von den viellen aderläßen gestorben; in 4 tag zeit hatt man ihr 5 mahl zur ader gelaßen. Es ist aber auch einmahl zeit, daß ich auff Ewere liebe schreiben komme; fange bey dem frischten ahn, so vom 5 dießes monts ist, no 87, undt welches ich vergangenen sontag abendts entpfangen. Alle posten gehen nun gar wunderlich, man beklagt sich ahn allen ortten drüber. Ahn vergnügung, liebe Louise, ist in jetzigen zeitten woll gar nicht zu gedencken, nur gott zu dancken, wen nichts neües schlimes vorfehlt, aber ahn vergnügen ist nicht mehr zu gedencken. Was will man thun? Man muß sich woll in gottes willen ergeben. Alles hatt seine zeit; in der jugendt ist die lustige zeit, in dem alter die trawerige; daß entpfinde ich nun gar starck. Die lamantationen seindt ärger, alß nie hir im landt. Aber die, so wegen dem Missisipi undt sudsée lamantiren, können mich gar nicht jammern, weillen ein purer geitz undt interesse sie dazu gebracht hatt, undt da habe ich ein recht abscheüen vor. Der könig in Engellandt ist den 11 von Hannover nach Englandt, wirdt nun, wie ich glaube, woll dortten sein, aber nicht ohne sturm ahnkommen; den es gehen starcke winden. Mich deücht, man hört alle jahr, daß kauffleütte banqueroutten machen. Es wahren woll, wie mir unßere liebe printzes von Wallis geschrieben, 6 cavallier, so sich zu Londen unter der brück verdrinkt haben; haben mehr charitet vor den schiffman, alß vor sich selber, gehabt. Aber weillen sie sich ja haben verdrinken [wollen], warumb so viel façon? Sie hetten sich ja woll gleich ins waßer sprengen können undt versauffen. Es geht Eüch, wie ich sehe, liebe Louisse, wie meiner dochter, welche, sobaldt sie waß schlimmes hört, alß sagt: Ah, voila le jour du jugement qui va venir! Wir haben ja so lang zu Manheim [336] gewohnt, ohne daß man die bürger auß ihren heüßern getrieben; dieß muß ein pfaffen-schelmstück sein. Ich meinte aber, der churfürst zu Pfaltz hette mehr verstandt, alß so gar ungerecht zu sein; daß ist ja gegen ihm selber undt kan ihm keine ehre geben. Aber daß seindt lautter pfaffische inventionen, machen den armen churfürsten weiß, den himmel zu verdinen, wen er Reformirten plagt. Aber wen er reflectionen machen wolte, waß er seinen unterthanen schuldig ist, daß sie ihm von gott gegeben sein, umb ihr vatter undt nicht ihr tiran zu sein, so würde er alle bößen raht nicht ahnhören, sondern die gesundte vernunfft folgen. Die pest hatt zu Marseille gantz auffgehört; man hofft, daß die andere orter auch baldt wider von dießer qual erledigt sein werden[2]. Ich hatte gehofft, daß deß churfürsten gegenwahrt auffs wenigst die armen Manheimer glücklicher machen würde; aber ich sehe leyder daß contrarie. Daß jammert mich woll von grundt der seelen. Gott wolle den armen Pfältzern beystehen! Es solle nicht wahr sein, daß die pest zu Amsterdam, noch Rotterdam ist. Es ist beßer, daß dieß geschrey falsch ist, alß wen man nicht davon sagt undt daß sie dort were. Ich höre gern, daß Ihr bey gutten freündinen in assambléen geht; daß wirdt doch die trawerige gedancken verjagen undt daß miltz erleichtern, liebe Louise! Waß Ihr zu Franckfort assambléen heist, heist man hir im landt apartement. Die fürstin von Siegen muß artlicher, alß ihr herr, sein, so gar ein langweillig personage. Ich habe ihn, gott lob, lang nicht gesehen. Er kam einmahl zu mir undt sagte, ich müste ihn in allem beystehen. Ich fragte: Warumb? Er sagte, weillen er catholisch wehre undt daß sonsten die andere fürsten undt graffen von Nassaw mehr avantage haben würden, so Huguenotten sein, alß ein catholischer fürst, wie er wehre. Ich lachte undt sagte: Seine religion ist Seine sach undt nicht die meine. Ich habe mein leben eine große estime vor daß gantze hauß Nassaw gehabt, undt mein Christenthum undt gottes wordt lernt mir[3], meine negsten zu lieben undt nicht zu haßen, noch unrecht thun wegen der religion. Also könte er sich sein leben nicht schlimmer adressiren, alß bey mir partheyisch wegen der religion [zu reden]; von dem gantzen hauß Nassaw würde ich allezeit die ahm meisten estimiren, welche[r] religion sie auch sein [337] mögen, so ich die ehrlichste leütte finden würde. Er ging feüerroht undt gantz beschambt weg. Ihr seindt den, liebe Louise, wie ein kindtgen, daß Ihr Eüch mitt babiolen[4] amussiren könt, so ich Eüch geschickt habe. Ich habe nicht in acht genohmen, waß[5] auff den damasquinen[6] schachtelgen der herbst stehet; weillen aber dieße arbeydt nicht gemein zu Franckfort ist, so schicke ich Eüch hirbey ein klein tablettgen, Ewere rechnung im spillen zu machen. Der calender ist von vergangen jahr, könt woll zu Franckforth einen neüen drin setzen vor zukünftig jahr; den es doch spät im jahr sein wirdt, wen Ihr es bekommen werdt. Ach nein, daß Ihr bagatellen [lobet], ist woll nicht auß interesse, vielmehr, mich zu flattiren, daß es Eüch ahngenehm geweßen. Ein gar armer man, so zu St Germain wohnt, den ich leben mache, indem ich seine wahren kauffe, macht mir alle jahr von dem zeüg undt ist nicht tewer[7], er heist Jacob; ich bin gar in seinen gnaden. Ey, liebe Louise, alle lapereyen, so ich Eüch schicken, merittiren keine danckbarkeyt; wen es Eüch ahngenehm, bin ich genung davon recompensirt. Hiemitt ist Ewer letztes liebes schreiben vollig beantwortet undt es ist zeit, daß ich meine [pause mache]. Nach dem eßen hoffe ich noch eines von Ewern lieben schreiben zu beantwortten, so viel mein husten undt schnupen mir es erlauben werden. Nun aber will ich eine pausse machen undt mich ahnziehen; den es wirdt spät.
Donnerstag, den 21 November, umb 1/4 auff 6 abendt.
Ich habe unmöglich eher, alß nun, wieder zum schreiben gelangen können; den gleich nach dem eßen hatt mein husten viel leütte, unterschiedtliche personen von Paris, hergeführt, die ich habe sehen undt sprechen müßen. Hernach seindt wir ins gebett undt salut, wo ich jetzt eben herkomme undt huste, daß ich bärsten mögte. Da ist noch ein andere verhinderung; den da kompt madame la duchesse herein.
Donnerstag umb 3/4 auff 7.
Da geht madame la duchesse mitt ihren 2 dochtern wider weg. [338] Ihre vissitte ist gar lang geweßen, wie Ihr segt. Aber nun komme ich auff Ewer liebes schreiben vom 29 October, no 85. Es geht Eüch, liebe Louise, eben wie meiner dochter, die alle gedult über die post verliehrt; macht mich offt drüber zu lachen. Wen mein sohn herkompt, rede ich lang mitt ihm, wie gestern. Aber zu Paris ist es ohnmöglich, wir werden immer verstört. Ich habe Eüch schon gesagt, liebe Louise, daß, gott lob die pest sehr abnimbt; sie ist auch nicht zu Toullon, wie man gesagt hatte; es soll auch gar nicht war sein, daß sie weder zu Amsterdam, noch Rotterdam ist. Aber es ist gewiß, daß sie in Poln gar starck ist. Wen die kälte dieße kranckheit verdreiben solle, solte sie gewiß nun auffhören. Der frost ist grimmig seyder 6 oder 7 tagen, auch bekommen alle menschen husten undt schnupen so woll alß ich. Ich habe auff meinen balcon ein schalgen mitt waßer, daß ist im gesterigen tag 2mahl gantz fest zugefrohren wie ein stein so hart. Meine cammer ist gutt warm; wen ich daß eyß nicht gesehen, hette ich nicht geglaubt, daß es so kalt were. Ich weiß nicht, ob Ihr noch daß gelindte wetter zu Franckfort habt; aber wie Ihr segt[8], liebe Louisse, so seindt wir hir weit davon. Hir ist es woll recht winter undt kein herbst mehr; es ist kein eintzig grün blatt mehr auff den bäumen undt, wie schon gesagt, so frirt es schrecklich hir. Wahren die trauben, so man Eüch auß der Pfaltz geschickt, von Schrießheim? Da seindt sie ordinarie gar gutt undt ich finde sie beßer, alß die von der seydt von Ro[h]rbach. Mich deücht, die Heydelberger drauben seindt nicht ungesundt. Ich erinere mich, daß ich von den Schrießheim[e]r drauben in den weingartten so erschrecklich gefreßen, daß mir der bauch so dick geworden, daß ich nicht mehr gehen konte; hatt mir aber gar nichts geschadt, sondern nur beßere lust zum mittagseßen gemacht. Mich wundert, daß ein soldat de fortune des königs in Englandts capitaine des garden ist. Most macht voller, alß we[i]n; der gutte Pfaltzer muß also einen abscheülichen rausch bekomen haben. Wen man frisch undt gesundt ist, wirdt man mitt dem alter eher dick, alß mager. Ihr sagt nicht, wie unßer landtsman heist, so so erschrecklich most undt waßer gedruncken. Mich deücht, alle trompetter habe[n] dicke baüch. Mich deücht, wir Pfaltzer haben daß[9], wir lieben daß vatterlandt biß in [339] todt undt geht unß nichts drüber. Wir seindt in dem fall wie die Isseralitten[10]; also wunderts mich nicht, daß dießer mensch sich gern wider in die Pfaltz setzen wolte. Er hatt woll groß recht, die ungerechtigkeitten nicht zu aprobiren; nichts ist abscheülicher. Churpfaltz solte sich selber undt nicht andern glauben, so würde alles woll gehen. Er (ich will sagen der Pfältzer) hatt recht, zu sagen, daß er den könig von Englandt wirdt finden. Ich habe Eüch heütte morgen gesagt, welchen tag der könig in Englandt von Hannover auffgebrochen, umb nach Englandt zu reißen. Ich wolte woll wetten, daß der könig in Englandt große mühe haben wirdt, die sach mitt der sudsée in gutten standt wider zu bringen. Ich sehe, wie es hir mitt dem verfluchten Missisipi geht. Ich habe einen solchen widerwillen gegen all diß zeüg, daß ich alle[n] meinen leütten verbotten, nie von diß, noch von der constitution vor mich zu reden. Ich verstehe weder eines, noch daß ander; aber sie seindt mir beyde zuwider wie eine burgatz[11], wie die fraw von Rotzenhaussen alß pflegt zu sagen. Ich glaube, daß der teüffel die sach inventirt hatt, umb so viel leütte in verzweyfflung zu stürtzen. Ich weiß nicht, waß steygen oder fallen in der sach ist, undt will es auch nicht lernen. Ich höre alß recht gern, liebe Louise, wen Ihr zur fürstin von Ussingen geht; den ich glaube, daß Eüch dieße vissitte amussirt undt von trawerigen gedancken abhelt. Wen man schlimme gewohnheitten in der jugendt ahn[nimmt], seindt sie schwer zu corigiren, insonderheit coquetterie. So gehts der armen fürstin von Siegen auch, wirdt mühe haben, daß handtwerck zu quittiren. Gestern hatt ein exempt[12] des cent Suisse[s] einen wüsten todt gehabt. Er war ein gridtlicher mensch, standt in parterre von der commedie; es wahren viel leutte in dem parterre, so daß sie sich druckten. Dießer exempt hatte einen officir, so ihn druckte, weillen er es nicht endern konte. Der exempt sagt: Ihr segt nicht, daß Ihr mich druckt. Der ander sagt: Ich bitte Eüch umb verzeyung, Ihr segt aber ja woll, daß es meine schuldt nicht ist. Dießer andtwort: Si j’estois la dehors, je vous aprendrois bien a me presser. Der ander sagt: S’il ne tient qu’a cela, allons! Wie sie vor der thür vom opera-saahl kommen, ziehen sie von leder undt der zäncker wirdt gleich erstochen. Ich muß auffhören, liebe [340] Louise! den mein husten undt schnupen macht mir den kopff gar schwer. Ewer zwey schreiben seindt doch vollig beantwordt, kan vor dißmahl nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch, liebe Louise, eine gutte nacht wünsche undt beßer[e], alß ich sie selber haben werde; den seyder meinen husten schlaffe ich gar übel. Adieu, liebe Louise! Ich welchem standt ich auch sein mag, so lang mich mein husten nicht erstickt, werde ich Eüch von hertzen lieb behalten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 21. November 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 334–340
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1176.html
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Tintenfass