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Brief vom 30. November 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1179.


[349]
St Clou den 30 November 1720 (N. 48).
Hertzallerliebe Louise, ich hoffe, heütte auff Ewer letztes liebes schreiben von 16 November vollig zu antwortten. Ich schreibe Eüch heütte mitt einem schweren undt trawerigen hertzen; den ich werde Eüch leyder nur noch 2 mahl auß dießem lieben St Clou dieß jahr schreiben, den heütte über 8 tag werde ich leyder nach Paris, umb dort zu bleiben. Da werde ich viel außzustehen haben. Gott stehe mir bey! Aber last unß von waß anderst reden! diß ist zu trawerig. Es macht einem ungedultig, daß die post alß zwey schreiben auff einmahl gibt; aber weillen es nicht zu endern stehet, will ich nichts weytter hirvon sagen. Meine dochter macht dieße unrichtigkeit von der post so ungedultig, daß sie possirlich drüber wirdt undt mich lachen macht; den sie schuldt[1] alles, waß die post ahngeht, den sie kendt die leütte, so die post regieren. Eines von meinen brieffen ahn Eüch, liebe Louise, ist doch diß jahr gantz verlohren worden; bin doch fro, daß man Eüch die babiollen nicht gestollen hatte. Mich verlangt, zu vernehmen, ob das damasquine tablettgen auch woll überkommen wirdt. Ihr solt es nun schon woll haben, den es den 21 von hir ist abgeschickt worden; wünsche, daß es Eüch ein augenblick amussiren mag, liebe Louise! Ahn erquickungen muß ich nicht gedencken, daß ist nicht vor mich gemacht; hab nur gott von hertzen zu dancken, wen es nicht schlimmer wirdt undt alles, waß ich zu fürchten habe, nicht geschicht, undt wen ich nach bett gehe, daß ich gott dancken, in dem tag keine böße zeittung erfahren zu haben. Daß seindt meine eintzige erquickungen, liebe Louise! ahn keine andere habe ich zu gedencken. Ich bin Eüch doch sehr verobligirt, mir waß beßers zu wünschen. Es ist kein wunder, daß Laws hart wirdt; erstlich so ist er von gebuhrt ein Schottlander[2], zum andern so hatt er pour suport[3] [350] monsieur le duc, der der geitzigste undt harteste mensch von der welt ist undt nie satt zu zigen[4] ist, es mag auch herkomme[n], wo es wolle. Den muß Laws contentiren undt auff seine[r] seytte behalten. Undt die mode ist gantz vergangen, ahn gott undt sein wordt zu gedencken undt ein gewißen zu haben undt sich darnach zu richten. Daß seindt einfalten von den vergangenen jahren undt zeitten, da richt sich in itzigen zeitten niemandts mehr nach. Sie werdens erst erfahren, wen sie gott braff abstraffen wirdt. Aber vielleicht werden sie nicht glücklich genung sein, gottes straff in dießer welt zu finden. Es wirdt woll schlimer undt lenger wehren, wofern die straff in jenner welt verspart wirdt; es graust einem, so ahn gott glaubt, dran zu gedencken. In Englandt sollt es nicht beßer mitt der sudsée gehen, alß hir mitt dem Missisipie. Zu Amsterdam sollen unerhört viel banqueroutten gemacht worden sein. Man hört in allen ortten nichts mehr, alß lamantationen; daß ist weder lustig, noch artlich. Mitt der pest geht es nun viel beßer, gott lob, undt hofft man, daß es in Provence baldt zu endt gehen wirdt. Von der alternative von gutten undt bößen tagen weiß man nichts mehr, alles ist schlim. Die hertzogin von Hannover ist so wenig in den 27 jahren geendert, daß es zu verwundern ist; aber unter unß gerett, mich deücht, sie muß ein wenig über ihrer fraw mutter pötgen[5] kommen sein, den ihr tein[t] ist ebenso itzunder. Es ist war, daß die keyßerin gern gehabt hette, daß sie, nehmblich ihre fraw mutter, zu Wien geblieben were; aber ich kan I. L. nicht blasmiren, nicht dort geblieben zu sein. Man sagt, ihre fraw dochter wolte sie in daß closter speren, so sie gestiefft hatt, undt closter seindt nicht jedermans thuns. Ich könte ohnmöglich in einem closter dawern. Ist es nicht natürlich, daß man lieber in seinem vatterlandt ist, wo man gebohren undt erzogen undt eine schwester hatt, so man all sein leben über alles geliebt[6]? So narisch ist unßere hertzogin nicht, sich hir in ein closter zu speren; aber ich kan woll errahten, warumb sie daß gesagt wirdt haben. Es geht ein geschrey, alß wen sie mitt ihrem ittallienischen secretari ein mariage de cons[c]i[e]nce gemacht hette, davon hatt … Darumb wirdt sie gesagt haben, sie wolle in ein closter in Franckreich, [351] damitt die keyßerin, ihre fraw dochter, daß geschrey nicht glauben möge, so auch gar starck hir geht. Ist werdt[7] den menschen woll kenen, so man accussirt, ihr man zu sein; den sie hatt ihn schon zu Hannover bey sich gehabt; wo mir recht ist, heist er Marcelli. Ich habe ihn noch nicht zu sehen [bekommen]; er folgt ihr nicht undt ging auß dem hauß, wie ich zu ihr ging au Luxemb[o]urg. Ich bin curieuse, ihn zu sehen[8]. Wofern sie vor 27 jahren den man geheüraht hette, were er eben nicht so gar alt geweßen. Man findt selten schönne Ittalliener undt haben noch schlimmere minen, alß sie heßlich sein, aber sie haben ordinari verstandt. Es muß woll etwaß sein, so den himmel helt, wie daß sprichwordt sagt, er fiel sonst ein. Wen ich ihn werde gesehen haben, will ich Euch, liebe Louise, berichten, wie ich ihn gefunden. Solche leütte ziehen ordinarie alles weg; sie müßen ja woll vor ihre mühe undt arbeydt bezahlt werden. Wens nur nicht zu grob hergeht undt er ihr genung lest, nach ihrem standt zu leben! Sie hatt 2 kutschen, einen hoffmeister, einen stalmeister, den secretarius, 2 freüllen, eine hoffmeisterin, 2 pagen, einen leüffer undt viel laquayen, fahrt allezeit mitt zwey kutschen, helt ihren standt woll. Sie hatt ein klein freüllen bey ihr, so Polinninie[9] heist; ich glaub nicht, daß sie 13 jahr alt ist; die ist gar heßlich, sicht auß wie ein affgen; aber daß dingelgen hatt viel verstandt undt hatt schon frantzösch gelernt, blauttert braff undt ist recht possirlich. Die groß ist auch nicht schön, aber gar serieux; den daß arme mensch verstehet kein wordt frantzösch; sie jammert mich. Unßere hertzogin ist schon wider mager geworden, seyder I. L. hir sein; aber sie hatt auch gar einen starcken husten undt schnupen gehabt. Der meine nimbt, gott lob, täglich ab. Die graffin von Weillburg, die Ihr besuchen seydt gangen, ist sie deß graff Carl, so hir geweßen, fraw mutter oder gemahlin ? Ich bilde mir ein, daß es die fraw mutter sein muß, weillen Ihr von ihrer geheürahten dochter sprecht. Ich bin dießer graffin meinung, daß die, so weder man noch kinder haben, die glücklichsten sein. Ihr [seid] noch zu jung, umb über Ewer alter zu klagen. Wardt[10], biß die 60 vorbey sein! Da werdt Ihr sehen, waß es ist. Aber es wirdt spät, ich muß meine pausse [352] machen. Ich bin heütte spät angestanden, weillen ich gestern spät schlaffen gangen. Es war mein großer schreibtag. Mein sohn kam aber zu mir, konte vor 6 uhr nicht zu schreiben gelangen, bin also erst gegen 12 nach bett, hab also nur heütte nach der ordenung von monsieur Teray nach halb 8 auffstehen können; hab auch in der Bibel geleßen, 2 [capitel] von alten testament, 2 vom neüen undt 2 psalmen. Morgen werde ich, ob gott will, eben so viel leßen. Adieu biß dießen nachmittag! Da werde ich dießen brieff gantz außschreiben, wirdt also von raisonabler taille werden.
Sambstag, den 30 November, umb 3 uhr nachmittag.
Wie ich eben von taffel kommen undt schreiben wolte, bin ich entschlaffen, undt nun leüdt[11] man in die kirch. Ich muß also noch eine pausse machen, den es ist heist[12] ein apostelfest, St Andree.
Sambstag umb 5 uhr nachmittags.
Da kommen wir auß der kirch, es hatt lang gewehrt. Daß wirdt mich doch nicht hindern, völlig auff Ewer liebes schreiben zu antworten. Ich war geblieben, wo Ihr Eüch beschwerdt, daß Ihr keinen strapatz mehr außstehen könt. Es wundert mich nicht, daß Ewer haußhalter nicht courirt mitt 2 docktoren. Hette er nur einen bey sich, so sein temperament woll kent, were mehr hoffnung vor ihm; aber zwey docktor seindt nie einig, also ist es nur[13] gutt; wen mehr, als einer, bey einem krancken ist, ist man nur in zweyffel, welchen man glauben solle. Ich beklage Eüch von hertzen, den man verlohren zu haben, so Ewer haußhalter war. Ich fürchte, ich werde baldt dieselbe lamantation zu thun [haben] wegen deß conseiller d’estat[14], monsieur de Foucault[15]; den er ist ist noch gar übel. Daß Ewer haußhalter ein par gläßer wein im zorn gedruncken, kan ihm nicht [geschadet haben]; contrarie, wen vor dießem jemandts erschrocken oder gefallen war, so machte monsieur de Polier[16] einem gleich ein drunck wein[17] thun, sagte: Cela rapelle les esprits. Also segt Ihr woll, liebe Louise, daß dießes kein ursach ahn Ewers haußhalters todt sein kan. Ach, liebe Louise, [353] man stirbt nicht von dießes, noch von jenes; man stirbt, weillen die stundt gekommen; den ich bin woll persuadirt, daß ein jedes seine stundt gezehlt hatt, die man nicht überschreitten kan. Also man mag daß leben müdt sein oder nicht, stirbt man doch kein augenblick eher, noch spätter[18]. Ein gar hohes alter ist eine erbarmliche sache[19]. Ich weiß woll, liebe Louise, daß Ewer wunsch gar gutt gemeint ist, undt bin Eüch sehr davor obligirt. Wen es gottes will ist, daß ich noch lenger leben, so wolte ich wünschen, [daß ich] Eüch auffs wenig[ste] noch vor meinem endt zu waß gutt sein könte. Hiemitt ist Ew[e]r liebes schreiben vollig beantwortet, bleibt mir also nichts mehr überig, zu sagen, hertzliebe Louise, alß daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte.
P. S.
Hirbey kompt eine andtwort von dem gefangen[en][20].
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 30. November 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 349–353
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1179.html
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