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Paris, donnerstag, den 19 December 1720 (N. 53).
Hertzallerliebe Louise, vergangenen sontag habe ich abermahl
zwey von Ewern lieben schreiben auf einmahl entpfangen vom 30
November undt 3 dießes monts, no 94 undt 95, werde meine
andtwordt bey dem frischten ahnfangen. Es ist woll wahr, daß wetter
undt wege gar schlim nun sein. Daß wetter ist nicht kalt,
sondern gar gelinde, aber zu warm vor die jahrszeit; daß kan nicht
gesundt sein, mögt auch woll ein bößes jahr geben; den wen der
frost zu spät kompt, schadt er ordinari. Es ist gewiß, liebe Louise,
daß es allezeit verdrießlich ist, wen die posten fehlen. Mein husten
ist, gott seye danck, längst vorbey, wie Ihr auß meinen schreiben
ersehen werdet, undt außer daß mir der kopff ein wenig schwer
ist von der Parisser lufft, sonsten befinde ich mich nun sehr woll.
Ich weiß nicht, ob ich Eüch vergangenen sambstag gesagt, daß
monsieur Laws weg ist, umb nicht wider zu komen. Er ist auff
eines von seinen güttern, welches er gekaufft, 6 meill von hir, wo
er rechnung thun solle, welches, wie man sagt, schlegt hergehen
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solle. Ich wolte wetten, daß er endtlich gar durchgehen wirdt
mitt hülff von monsieur le duc, welcher ihn schon incognito
besucht hatt
[1]. Gestern ist daß gantze parlement wieder in Paris
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kommen. Dieße zwey zeitungen gehen eine große freüde in dießer
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statt. Wolte gott, daß es auch den haß benehmen könte, so man
gegen meinen armen sohn hatt! Doch ist monsieur le duc noch
ärger gehast, alß mein sohn. Aber da bekümmere ich mich gar
wenig umb. Gott gebe mir nur, daß ich ruhe mög vor meinen
sohn bekommen undt nicht allezeit in den verdrießlichen sorgen
sein, daß man ihn assasiniren mögte, wozu die Frantzoßen sehr
geneigt sein, also daß man woll mitt recht zu förchten hatt! Von
meinem husten werde ich nichts mehr sagen. Die hertzogin von
Hannover wirdt heütte zur ader laßen. Seyder I. L. hir sein,
haben sie starcke mygrainen. Ich glaube aber nicht, daß es ihr woll
bekommen wirdt; den madame la duchesse d’Orléans ist nicht beßer
davon. Schonnen thut auch nicht viel zum husten; es muß seine
zeit haben. Sich warm halten, ist, waß man ahm besten thun [kann],
umb den husten nicht ärger zu machen, aber vergehen ist nur, wen
die zeit vorbey ist. Hir seindt meine kleine cammern so warm
ohne feüer, daß ich drin schwitze, wen man die lichter ahnzündt.
I. G. s. der churfürst, unßer herr vatter, logirte, wahren
[2] zu
Friderichsburg im ersten pavillon logirt, ich im 2ten undt mein bruder
s. im tritten pavillon. Ewer fraw mutter war in dem schwedischen
hauß
[3]. Es ging eine höltzerne trepe von I. G. s. retirade in daß
schwedisch hauß durch eine gallerie, undt es war noch ein steinern
hauß, daß hilt ahm schwedischen höltzern hauß, da logirte[t] Ihr
kinder alle. Also segt Ihr woll, liebe Louisse, daß ich mich daß
gantze Fridrichsburg gar woll erinere. Ich bin gantz daß contrarie
von Eüch, liebe Louisse! Die kälte ist mir gantz unerträglich
[4], undt
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die hitze, so groß sie auch sein mag, bekompt mir allezeit woll.
So lang man lebt, hatt man hitze von nöhten; nichts ist kälter, alß
der todt. Ihr werdet auß meinen brieffen ersehen, wie daß ich
deß königs in Englandts ahnkunfft in Londen [erfahren habe]. Die
printzes von Wallis sagt in ihrem letzten schreiben vom 1/12 dießes
monts, daß sie die pest in Englandt gar nicht mehr fürchten; in
Provence ist sie noch gar starck, leyder
[5]; precautionen mitt den betten
seindt gar gutt. Ich finde nicht, liebe Louisse, daß Ihr heßlich
geschrieben; ob die feder ein wenig gröber, alß ordinari, geweßen,
ist doch Ewere schriefft nicht undeutlich, undt mehr begehre ich
nicht. Ich schäme mich, wen ich Eüch so schön schreiben sehe
undt ich so heßlich schreibe, weillen wir ja selbigen schreibmeister
gehabt haben
[6]. Caroline hatt ihre frantzosche schriefft so perfect
wie die meine, daß, wen ich von ihren überschrifften
[14] auff meiner
taffel ließ, fragten mich die, so meine handt hir kenen, warumb ich
ahn mir selber schreibe; hatt mich offt lachen machen
[7]. Ich habe
mein leben keine feder schneyden lernen können, welches mir recht
leydt ist; den ich habe nur einen von meinen leütten, so sie nach
meinem sin schneiden kan. Zu allem glück ist er viel jünger, alß
ich, hoffe ihn also biß ahns ende zu behalten; er ist mein
cammerknecht geweßen, hatt die charge von port[e]-manteau
[8] gekaufft.
Sein vatter war mein pastetten-becker, hatte auch noch eine charge
de quartier in der fouriere
[9]. Ich kan nicht leyden, wen man mir
albere possen in der religion vorbringt; ich laße es nicht
unbeantwortet
[10]. Aber nun muß ich meine pausse machen. Nach dem eßen
werde ich vollendts außschreiben.
Donn[e]rstag, den 19 December, umb 3/4 auff 3 nachmittags.
Ich hoffe, noch ehe ich zur großhertzogin werde, auff Ewer
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liebes schreiben zu andtwortten. Wen ich die warheit sagen solle,
so bin ich, wie der apostel Paulus sagt
[11], weder apol[l]isch, noch
paulisch, noch kephisch, weder reformirt, catholisch, noch lutherisch,
sondern ich werde, so viel mir möglich ist, eine recht[e] Christin
sein undt darauff leben undt sterben; daß ist, liebe Louise, meine
recht gedancken. Adieu! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt
verbleibe allezeit auf meine[n] meinungen, also behalte ich Eüch von
hertzen lieb.
Donnerstag, den 19 December, umb 9 abendts.
Ich komme jetz[t] eben auff
[12] dem opera mitt meinen enckelen,
2 printzessin[nen], mademoiselle de Clermon[t] undt mademoiselle de la Rochesurion
[13] undt mein cammer ist so voller leütte, daß ich mich
nicht regen kan. Also, liebe Louise, [will ich] nur in großer eyll
sagen, daß ich hir auff meiner taffel Ewer paquet gefunden sambt
die magnifique goltene medaille; bin im ahnfang recht drüber
erschrocken, habe gefürcht, Ihr würdet Eüch ruinirt haben, habe, also
Ewern lieben brieff geschwindt überleßen, bin recht soulagirt, daß
Ihr es nicht gekaufft. Sage Eüch recht von hertzen danck davor;
habe es gar schön undt woll gepregt gefunden undt gleich zu
meinen modernen goltenen medaillen gethan. Biß sambstag werde ich
weytter dancken, hertzliebe Louise!