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Brief vom 27. März 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1213.


[056]
Paris den 27 Mertz 1721 (N. 77).
Hertzallerliebe Louise, vergangen sontag habe ich Ewer liebes [057] schreiben vom 11, no 20, zu recht entpfangen. Die von der post habens resolvirt, alß 2 von meinen schreiben auff einmahl zu geben; der printzes von Wallis undt meiner dochter machen sie es gar offt ebenso. So eyllig Ihr auch schreiben möget, verspürt man es doch nicht ahn Ewere liebe brieffen; die seindt allezeit schön undt woll geschrieben. Ich schäme mich recht, wen ich gedencke, daß Ihr denselben schreibmeister gehabt, wie ich, undt Ihr doch eine viel beßere handt [habt]. Carolline schrieb nicht so schön, alß Ihr; es kam eher auff meine handt auß, insonderheit die frantzösche schriefft, die war gantz wie die meine; aber ihre teütsche handt war hübscher, alß die meine[1]. Ich habe nicht gefunden, liebe Louise, daß fehler in Ewer[e]m letzten schreiben geweßen. Ich bin der fraw von Degenfelt se[h]r verobligirt, sich über meine geneßung zu erfreuen, da ich ihr doch weder nutz, noch bekandt bin; bitte, doch bey ihnen meine dancksagung zu verdoblen. Ewere niepce, daß ist ein ander sach, die können mein geblüdt fühlen undt sich auch erinern, daß ich ihres ganzen geschlegts freündin all mein leben geweßen. Man hatt hir große sorg, sich vor der pest zu hütten; aber ich habe nicht gehört, daß man zu Galais quarantaine helt; alle tag kommen ja Englander herüber undt vor 8 tagen ist ja noch der chevallier Schaub herüber kommen, welcher kein Engländer, sondern ein gutter Schweitzer von Bassel. Er ist in allen großen sachen gebraucht worden, war erst secretarius bey mylord Stanop[2]; er hatt viel verstandt undt ist dabey ein gutter, ehrlicher man. Ich rede allezeit Teü[t]sch mitt ihm, daß thut er gern. Er hatt nun selber einen [secretarius], daß ist auch ein Schweitzer von Bassel, aber bey weittem nicht so schlaue, alß der chevallier Schaub, sein herr. Es ist ihm etwaß widerliches widerfahren denselben tag, alß er ahnkommen. Monsieur Ilten bruder, so in Englandt ist, hatte ihm 250 guinéen gegeben mitt einem brieff ahn seinen bruder hir. So baldt dießer secretarius ahnkommen, informirt er sich bey dem englischen ambassadeur, wo monsieur Ilten logirt in Paris; man sagt ihm daß hauß undt so genaw, daß er im zweytten stockwerck logirt. Er geht hin, fragt nach monsieur Ilten, da kompt einer undt sagt, er [058] were monsieur Ilten, waß er ihm wolte. Der secretarius sagt einfaltig herauß, er hätte gelt vor ihm undt einen brieff; dießer nimbt alles hübsch ahn, fragt den secretarius, ob er nicht mitt ihm zu nacht eßen wolle. Der nimbts ahn, aber nach dem ersten drunk, wo der falsche Ilten opinum[3] in gethan, wirdt er sehr schlafferig; darauff sagt der falsche Ilten: Ihr seydt zu müde, umb nach hauß zu gehn, da ist ein gutt bett, schlafft ein par stundt! Hernach könt Ihr wider nach hauß, ich will Ewer sachen einschließen. Er hatte 50 guinéen im sack, eine goltene undt eine silberne uhr. Monsieur Schaub war in angsten, seinen secretarius nicht wider kommen zu sehen, meinte, man hette ihn bestohlen undt ermordt, es war aber nur halb errahten. Dießer kerl hatt einen moren, so ihm trew ist; der ging in daß hauß undt fragte, wo sein herr wehre; man andtwortete, er were droben in einer kammer undt schlieff seyder etliche stunden. Der mor geht nauff, weckt seinen herrn, der sucht seine kleyder; die findt man zwar in einem eck, aber gantz lehr. Er sagt: Monsieur Ilten hatt alles eingeschloßen. Man fragt nach dem cavalier, so in der cammer logirt. Der wirdt sagt: So baldt sich der frembte zu bett gelegt, hatt er die post genohmen undt ist fort. Der secretarius geht zu monsieur Schaub, so eben bey dem englischen ambassadeur war, undt verzehlt, wie es ihm mitt monsieur Ilten gangen war. Der ambassadeur merckte den possen, fragte, wie der monsieur Ilten außsehe; er antwortete: Es ist ein klein, braun, artig mängen. Da sahe man, daß ein betrug darhinder war. Der dieß schelmstück gethan, ist ein Engländer, so täglich bei dem ambassadeur war undt mitt ihm nach Cambray wolte, heist Dey[4], solle in der that ein hübsch mängen sein, aber seine that ist woll heßlich, ein abscheüllicher diebstall. Wo[5] man weiß, daß er dem secretarien opium eingeben, ist, daß man die bouteille gefunden, wo er gedruncken, da man noch den opium im wein gefunden. Schaub hatt alles von seinem gelt bezahlt. Ich habe monsieur Ilten sehr mitt dießer historie vexirt undt ihn gefragt, wo er daß stehlen gelernt. Es ist mir leydt, daß ich graff Degenfelt undt seine gemahlin nicht sehen kan. I. L. die printzes von Wallis ist in sorgen wegen der gräffin von Degenfelt, fundt sie so erschrecklich mager, daß sie meint, daß sie eine schwindt-sucht ahm [059] halß hatt, wozu die see-lufft nicht gar gutt sein kan. Gott der allmächtige führe sie beyde gesundt undt glücklich zu Eüch, liebe Louise, undt daß Ewere freüde volkommen undt nicht vermischt sein möge, wie so offt geschicht! Die kälte in Englandt ist so erschrecklich geweßen, daß mir I. L. die printzes schreibt, daß ihre dinten bey dem feüer erfrohren ist, indem I. L. mir geschrieben haben. Die kinderblatter[n] grassiren nun abscheülich in Englandt; die leütte sterben davon, alß wens eine pest wehre. Hir hört man von keiner andern kranckheit, alß husten, schnupen, rhumatisme undt brust-seüchen. Daß Ihr, liebe Louise, sagt, daß die gräffin von Hohenlo[h]e, des churfürsten von Maintz fraw schwester, immer kranck geweßen, allezeit krancklich geweßen undt doch 74 jahr gelebt, gemandt mich ahn den alten marechal d’Estré[es], so gar nahe bey hundert jahr[e]n alt worden. Der sagte von einen von seinen gutten freündt[en], einen andern duc, so etlich undt 80 jahr alt worden: Je voyois bien, qu’il ne viveroit pas; il a tousjours estes tres delicat. Es ist kein wunder, daß die gräffin von Hohenlo[h]e mitt ihrer fraw dochter von Nassau-Siegen nicht zufrieden geweßen undt sie enterbt hatt nach dem leben, so sie geführt. Chagrin machen ungesundt undt die, so von kindern kommen, seindt sensibler, alß alle andere, undt greiffen erschrecklich ahn; ich könte hirvon auch woll ein liedtgen singen. Ich gestehe, daß ich ein gar hohes alter sehr fürchte; alter mitt perfecter gesundtheit ist gar rar undt krancklich werden ist beschwehrlich vor sich undt vor andere. Widerwärtigkeit fählet nicht in dießer welt, ein jeder hatt die seine. Wen man sich von jugendt auff gewehnen solte, unendtpfindlich zu werden, würde es ein böß naturel zu wegen bringen. Daß werdt Ihr woll Ewer leben nicht lehrnen, liebe Louise, Ihr habt gar zu ein gutt naturel dazu. Aber der könig in Poln hatt bey seiner fraw mutter todt woll erwießen, daß er kein [gut] naturel hatt undt nicht weiß, waß es ist. Alle leütte, so ahn nichts, alß zeitverdreib, gedencken, fragen nach nichts. Ich dancke Eüch, mir die wirdtschafft geschickt zu haben. Wen er nur wirdtschafften hilte, würde ich ihn nicht zu alt dazu finden; den ein könig, wie ein ander mensch, kan nicht allezeit serieux sein, muß sich woll nach seinen großen geschäfften ein wenig divertiren; aber zur gallenterie findt ich ihn zu alt, konte woll laßen, noch maistressen zu haben, den er ist nun im Mayen 51 jahr alt. Wer lust hatt, sich zu [060] verkleyden, erfreüet es nicht, andere verldeydt zu sehen. Man kan sich eben so woll versündigen im gridtlich sein undt lange weill haben, alß in ehren undt ohne desbeauche lustig zu sein; hir ist es aber gar rar, die leütte lustig in ehren zu sehen. Wie ist daß dem närischen frantzöschen koch ahnkommen, zu sagen, daß er in Ewern dinsten wehre? Gondy ist gar ein bekandt geschlegt hir undt heißen jetzt messieurs de Rées[6]. Der cardinal von dem nahmen war Gondy, aber daß geschlegt ist hir außgestorben, also mögte Ewer abbé auch woll ein betrigen[7] [sein]. Ich will mich doch informiren, ob noch abbé de Gondy sein. Ich habe keinen eintzigen klecken in Eweren brieff gefunden; aber solt[e] es Eüch ein ander mahl geschehen, liebe Louise, so schreibts nicht ab undt seydt in keinen sorgen davor! Den es verdriest mich gantz undt gar nicht, frag kein haar darnach; so delicat bin ich nicht, sondern gantz natürlich. Wen ich nur ein brieff leßen kan, sehe ich mein leben nicht darnach, ob er gekleckt ist oder nicht. Ich offendire mich mein leben nicht, alß wen ich meine, daß man mich mitt fleiß erzörnen will; alß den kan ich woll böß werden, aber daß kan ich mein leben von Eüch, liebe Louise, nicht glauben. Wen Ihr wißen wolt, waß ich heütte thun werde, so werde ich umb halb 3 zur großhertzogin, I. L. eine vissitte geben, wie all donnerstag. Wen ich wider kommen werde, will ich ins opera, wo heüte der turckische abgesandte kommen wirdt. Ich will sehen, ob daß opera ihm gefallen wirdt oder su[r]preniren. Er solle die mussiq auff ein endt vorstehen, kan also lust drin nehmen, den die musiq vom opera von Thessée[8] ist gar schön. Ich werde mein paquet erst machen laßen, wen ich wider von der großhertzogin werde gekommen sein. Erfahre ich etwaß neües in der zeit, werde ichs hir zusetzen, wo nicht, so contentirt Eüch, liebe Louise, mitt der versicherung, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte!
Donnerstag umb 4 uhr nach mittag.
Ich komme in dießen augenblick von der großhertzogin undt finde hir auff meiner taffel Ewer liebes schreiben vom 15, no 21. Darauff werde ich heütte nicht antwortten, sondern biß sambstag, [061] so mir gott leben undt gesundtheit verleyet. Ich habe seyder heütte morgen nichts neües erfahren, alß daß wir schir einen soldat hetten hencken sehen, aber umb es zu entgehen, haben wir einen großen umbschweiff genohmen, umb dieß execution nicht zu sehen, den daß ist gar waß abscheüliches. Nun will ich Ewern lieben brieff leßen.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. März 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 56–61
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1213.html
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