Seitenbanner

Brief vom 14. Juni 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1237.


[148]
St Clou, sambstag, den 14 Juni 1721 (N. 100).
Hertzallerliebe Louise, vergangenen donnerstag hab ich Ewer [149] liebes schreiben vom 4, no 44, zu recht entpfangen, aber wie ich eben damahls ahn Eüch schriebe, glaube ich, liebe Louise, daß ich es Eüch schon bericht habe. Aber waß will man thun? Alte weiber müßen alß repetiren. Meine mattigkeit vergeht noch nicht undt meine arme knie seindt schmertzhaffter, alß nie; daß gibt ein reimen ungefehr, ich bin doch woll gar kein poet[1]. Allezeit wen in[2] aderlaß, bin ich 3 gantzer Wochen, ohne wider zu kräfften zu kommen; dießmahl wehrt es noch langer, den es ist heütte just 4 wochen, daß man mir zur ader gelaßen hatt. Aber wie ich schon offt gesagt undt nach Pickelharing repetire, wen er mutter Anecken agirt, daß thut daß liebe alter[3]. Es ist keine vexirerey mehr, wen man ins 70 jahr trit; den müßen die kräfften woll abnehmen undt, wie unßer[e] liebe churfürstin alß pflegt zu sagen, unßer herrgott wirdt nichts neües vor mich machen, muß woll den ordinari lauff folgen, biß meine stundt wirdt gekommen sein, daß ich in jene welt wandern muß. Daß kan man Frantzoßen nicht auß dem kopff bringen, daß man nicht alle jahr aderlaßen muß, in welchem alter man auch sein [mag]. Ich weiß gar woll, daß es mir nicht gutt; aber thue ich es [nicht], so ziehe ich mich eine große plage auff den halß; gebe lieber mein bludt her undt bleibe matt. Den wozu habe ich stärcke von nöhten? Ein weniger zu spatziren, ist keine große sache. Monsieur Teray ist nicht gar vor viel remedien, aber man plagt ihn selber drumb auß forcht, ihre chargen zu verliehren[4]. Aber alle menschen dencken nicht wie Ihr undt ich, daß die stundt gezehlt sein. Aber der mensch ist ordinarie so hoffartig, das er meint, alles durch seinen verstandt zu ergründen, undt daß ist noch mehr in der frantzöschen nation, alß andere[n]; ich muß offt innerlich drüber lachen. Ohne nachzugrüblen, wen unßere stundt sein wirdt, ist es keine große kunst, zu errahten, daß man baldt fort muß, wen man alt wirdt; den, wie in einem psalm stehet, unßer leben wehrt 70 jahr undt wens hoch kompt, so seindts 80 jahr[5]. Also sicht man woll, daß ahn kein lengers leben in dießer welt zu gedencken ist; were also woll ohnnohtig, sich viel drumb zu plagen. Da fehle ich woll gar nicht ahn, gott dem almachtigen 3 mahl deß tags leib, seel undt leben zu befehlen. Waß die kirschnerin zu [150] ihren kindern sagte, finde ich sehr vernünfftig. Wen die leütte zu Paris ihren kindern solche lehren geben wolten, würden nicht 300 zu dieben undt mordern geworden sein, wie man vergangene woch erfahren hatt. Ich muß gestehen, ich habe unßer alten marquise d’Alluy[e] verlast noch nicht verdauet; es ligt mir noch schwer auff dem hertzen; die arme fraw hatte mich gar lieb. Man merckte in ihren discoursen ihr alter gantz undt gar nicht, war allezeit lustig undt von gutter geselschafft. Lenor hatt keinen humor, so lang trawerig zu sein; gestern hatt sie sich kranck gefreßen ahn erbsen undt butteram mitt ertberen. Ich hatte sie gewahrnt, aber sie ist so verschleckt undt freßig, daß man sie nicht abhalten kan. Ich fürchte, daß sie sich einmahl recht kranck wirdt machen; den sie will sich nicht wehren laßen undt will nicht begreiffen, daß sie schon über 70 jahr ist, also der magen die hitze nicht mehr hatt, so er in der jugendt gehabt. Ich will nichts mehr von der armen kleinen Börstel sagen, hatt mich sehr gejammert. Ich laße sie in ihrer ewigen ruhe undt hoffe, daß sie woll sein wirdt, weillen sie woll gelebt hatt undt ein ehrliches mensch geweßen. Unßer printz von Heßen ist von seinem tripsdrill courirt, sicht nun wider gantz woll auß. Er reussirt woll hir; alle leütte finden, daß er verstandt hatt undt politesse undt woll zu leben weiß. Daß er gallant ist undt damen gern sicht, damitt wirdt er sich in dießem landt kein boßen ruff machen, undt wen Eüch jemandt so reden hörte, wie Ihr da sagt, daß Ihr forcht, daß er eine verbottene liebe mag im kopff haben, würde man sehr lachen oder meinen, daß Ihr ihn soubçonirt, die buben zu lieben. Weiber zu lieben, sie mögen geheüraht sein oder nicht, wirdt in gantz Franckreich vor keine verbottene liebe gehalten. Die eintzige uneinig[keit] zwischen [den] zwey herrn brüder undt landtgraffen ist nichts anderst, alß daß der von Cassel dem von Philipsthal nicht genung zu leben gibt, worauff die von Philipsthal gar raisonabel sagen, daß sie sich nicht beklagen würden, wen es zu deß landtgraffen undt seiner herrn söhn bestem ahngelegt würde, allein daß man so viel ohnnohtige despence thut, es also beßer ahn seinen herrn bruder ahngelegt were, undt hirin finde ich, daß sie recht haben. Er hatt auch dießes printzen jüngsten herrn bruder bey sich; den lest er lange zeit alß capten[6] dinnen, ohne ihn zu [151] befördern. Aber nun muß ich mich ahnziehen, es hat schon halb 11 geschlagen; dießen nachmittag werde ich außschreiben.
Sambstag umb 2 uhr nachmittags.
Es ist eine gutte stundt, daß wir von taffel sein undt umb 3 werde ich nach Madrit, muß mich also eyllen, den ich bin gebetten, nach dem closter von Longchamps zu fähren[7], den ich alle jahr eine vissitte dort gebe. Daß erste mahl, alß ich zu ihnen ging, wolten sie mir chocolatte, thé undt caffé geben. Ich nehme mein leben keins von dießen dreyen gedrencken, schocolatte thut mir wehe im magen, thé findt ich, alß wen man mist undt heü eße, undt caffé findt ich ahn allerärgsten, ist bitter undt wie ein stinckender ahtem, mögte gleich speyen, findt nichts eckelhafftiger. Die armen nonen wahren gantz decontenancirt, meinten, ich verschmähe sie, ich rieffe aber meine leütte zu zeügen, daß ich mein leben nichts von denen 3 stücken nehme; aber umb sie zu contentiren, fraß ich viel von ihrem martzeban, welches sie überauß gutt machen. Scandal zu geben, deücht nie nichts, liebe Louise! Weillen er ja in der capelle hatte sein wollen, konte[8] er im ahnfang knien konnen; in kirchen zu betten hatt nicht übels ahn sich. Aber ich muß schlaffen. Da werde ich wider wacker, habe ein kurtz schläffgen gethan, mögte noch woll lenger schlaffen. Aber da komen meine kutschen, ich muß fort.
Sambstag umb ein viertel auff 8 abendts.
Da komme ich eben von Madrit undt von Longchamps. Ich kan nie in dießem felt fahren, ohne ahn Lissander undt Caliste[9] zu [152] gedencken. Habt Ihr, liebe Louise, dießen roman nie geleßen? Er ist in Teütsch undt Frantzösch. Waß es mich hatt leßen machen, ist eine schönne historie von einem gespenst, so drinen ist, undt die liebe ich sehr; daß habe ich Eüch auch schon einmahl gesagt. Seyder ich wieder kommen bin, ist mein vetter, printz Carl von Heßen-Philipsthal, zu mir … Der weiß schonne historien von gespenster. Er hatt selber die königin in Denemarck, seine tante, gesehen den tag, alß sie gestorben ist. Viel leütte excussiren sich, interessirt zu sein, undt in kurtzer zeit hernach fallen sie mitt der thür zur stuben hinein; so habens Ewere leütte auch gemacht. Mein gott, wie endert alles in Teütschlandt, daß man nun cammer-medger cammern-jungfern heist! Wen man in jetzigen zeitten trewe leütte findt, solle man sie woll estimiren, den sie seindt rar. Ich wuste nicht, daß der graff von Waldeck zum fürsten gemacht ist worden; wie er hir war, hieß man ihn nur graff. Er ist unßer[e]s pfaltzgraffen von Birckenfelt schwager, hatt die jüngste pfaltzgreffin geheüraht. Printzes Carolline hatt zwey wunderliche kranckheitten nach einander gehabt, daß scharlach-fieber undt hernach daß hirsch-fieber. Vorher hatte ich mein tag nichts davon gehört; sie ist aber, gott lob, außer aller gefahr. Ich bin froh, daß unßer printz von Sultzbach nicht heßlich geworden ist. Wehret Ihr noch zu Franckfort, würde ich Eüch bitten, ihm doch mein compliment zu machen; er ist ein gutter bub, ich hab ihn lieb. Ich habe vorgestern brieff von der printzes von Wallis bekommen, die sagt mir kein wordt von Ewern englischen kindern. Were ihnen waß widerfahren, würden I. L. es mir gleich geschrieben haben; alßo seydt in keinen sorgen, liebe Louise! Waß Ihr da sagt, liebe Louise, ist woll war, ich habe es gar offt remarquirt, daß offt, waß man ahm meisten forcht, woll endet undt, waß man ahm meisten wünscht, übel außschlegt. [153] Gott gebe Eüch, waß Ewer hertz begehert undt viel ruhe undt vergnügen! Ach, liebe Louise, spart doch Ewere complimenten vor jemandts anderst alß vor mich! Den Ihr wist ja gar woll, daß Ewere liebe schreiben mir gar keine ungedult geben, sondern daß sie mir gar lieb sein, ich sie mitt lust leße. Habe doch lachen müßen, daß Ihr sagt, liebe Louise, daß landtgraff Max von Heßen seine gemahlin schönne haar auff dem kopff hatt; wehren sie nicht auff dem kopff, würdet Ihr sie gewiß nicht zu sehen bekommen haben. Daß sie nach dem heüraht ernsthaffter geworden, wundert mich gar nicht; der h. ehestandt hatt daß, er macht serieux, undt die haußsorgen seindt warlich keine bagatellen. Hirmitt ist Ewer liebes schreiben gar ordentlich beantwordtet, bleibt mir nichts mehr überig, alß Eüch, liebe Louise, zu versichern, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 14. Juni 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 148–153
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1237.html
Änderungsstand:
Tintenfass