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Brief vom 21. Juni 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1239.


[155]
St Clou den 21 Juni 1721 (N. 2).
Hertzallerliebe Louise, ich habe woll gethan, noch einen bogen von Ewern lieben schreiben vom 7 dießes monts, no 45, zu sparen, sonsten were mein brieff heütte gar klein; den seyder mitwogen habe ich nichts von Eüch entpfangen, liebe Louise! Ich werde erst morgen etwaß von Eüch entpfangen, den ordinari bekomme ich Ewere liebe schreiben deß sontags undt mitwogen. Wir haben nun gantz undt gar nichts neües hir, den daß der könig ins Luxe[m]b[o]urg die procession von st Sulpice gesehen, daß er abendts ins salut au[x] Chartreux ist, wo 800 personnen hin sein, umb daß closter zu sehen … Den wen der könig in dieß clost[er] geht, seindt alle thüren offen, mäner undt weiber, alles kan [hinein gehen], aber sonsten könen keine weibs-leütte nein, alß mitt der konigin; wir enfants de France können nicht nein ohne brevet vom papst. Aber ich liebe die clöster nicht, habe also keines fordern wollen. Wer ein mahl ein Carteusser closter sicht, ist es, alß wen man hundert sehe undt bey Viller Cotterey[1], wo eine[2] Carteüsser [156] closter ist, wo ich so offt hinein kan, alß ich will, weillen die duc undt duchessen d’Orleans es gestifft haben, also heist man unß les bienfaitrice[s]. Man batt mich aber, nicht in dem closter zu schlaffen, ob ich es zwar thun könte; daß machte mich hertzlich lachen, versprach es ihnen gar hoch. Allemahl wen wir zu ihnen gehen, müßen sie unß zu eßen geben, aber lautter fisch, die sie beßer zurichten, alß unßere köch, insonderheit kleine pastetger, so ex[c]ellent bey ihnen sein; man solte schwehren, es were fleisch. Sie wohnen in der mitten von einem großen waldt, der ort heist Bour[g]-Fontaine. Also könt Ihr woll gedencken, daß ich keine curiositet habe haben können, dem könig in dern Carteüsser closter von Paris zu folgen. Zu dem so werde ich den könig in langer zeit nicht sehen, den alles ist hir voller rödtlen undt kinder-blattern. Solte der könig dieße wüste kranckheit bekommen, würde man sagen, ich hette es ihm gebracht, undt er kan es gar leicht bekommen, den Paris ist eben so voll davon alß St Clou; drumb will ich nicht zum könig, dieße böße seüche hette den auffgehört. Wir haben die röttlen im hauß hir gehabt, zwey mägt haben es bekommen. Ob man sie zwar auß dem hauß gethan undt ins dorff geschickt, ist doch die boße lufft da; drumb gehe ich nicht zum könig. Es ist auch ein doll wetter überall, regnet alle tage undt ist so kalt, daß ich dießen morgen habe feüer machen laßen. Solchen kalten Juni ohne frost habe ich noch nicht erlebt; ich sage ohne frost, den vor 24 jahren, da auch so ein erschrecklich warmer Aprill geweßen, kam im Mayen ein donnerwetter, daß brachte eine solche kalte, daß umb St Johanes alle[3] ein starcker frost kame, daß alle weingartten verfrohren. Die arme bauern jamerten mich von hertzen; wie ich mitt dem könig s. auff die jagt fuhr, kammen die weingärtner, weinten bitterlich undt brachten dem könig die verfrorne reben; es war recht jämmerlich zu sehen. Weillen ich heütte nichts neües weiß, so will ich Eüch doch eine alte begebenheit verzehlen, so mir widerfahren, alß ich daß erste mahl zu Bour[g]-Fontaine war. Ich war damahlen noch jung undt nur 23 jahr alt, alßo noch zimblich estourdie. Es geschicht dießen armen mönchen, daß sie gantz narisch werden, weillen sie nie reden dörffen. Ich lieff mitt der armen Theobon[4] ins closter herumb, fandt eine thür, worinen der [157] schlüßel stack. Ich machte die thür auff, ging in die zelle hinein, da kam ein mönch, der sahe auß wie ein gespenst, hatte nichts, alß die hautt, über die bein, war gelb wie eine quitte, ein großer mensch; der wurff sich auff den botten[5], hatt graße augen, bleiche lefftzen; er erdapte meine beyde füße, hilt sie so fest, daß ich keinen schritt gehn konte. Ich förchte nichts mehr in der welt, alß naren, konte[6] leicht daher urtheillen, wie ich erschrocken bin. Ich nahm doch eine resolution undt sagte zum nahren[7]: Leves[8]-vous! je vous l’ordonne, mitt ein[e]r resolutten stim, den ich dachte, daß die leütte gewohnt sein, zu gehorchen. Ich war in jagts-kleyder undt zu pferdt hingeritten, er sahe mich also vor ein mans-mensch ahn. Theobon war nauß geloffen, sagte, es were geweß[en], umb mir hülff zu suchen, aber ich glaube, daß es viel mehr war, daß sie auß forcht weg geloffen war, den der kerl sahe gar zu kraß. So baldt meine füß wider loß wahren, lieff ich geschwindt davon, den damahlen konte ich noch braff lauffen, muste doch selber über meine avanture lachen. Jahr hernach reisten wir wider nach Ville[r]s-Cotteres. Man sagte mir morgendts, daß der procureur von der Chartreusse mir gern auffwartten wolte undt daß ordinarie compliment von ihrem closter machen; sie bringen auch pressenten, kleine schirm undt beßem. Ich war ahngethan, sagt, man solte ihn kommen laßen; wie er in die cammer tratt, kente ich ihn gleich, ob er zwar fetter worden war, hatte aber keine dolle augen mehr, sahe vernünfftig auß, würde feüer-roht, wie ich ihn mitt bestürtzung [ansah]. Nachdem er mir sein compliment gemacht, fing er ahn, zu lachen undt sagte: J’ay peur que V. A. R. me trouvera bien effronté d’oser reparoistre devant Elle après l’orible[9] estat, où Elle m’a veüe[10] et où je Luy ay fait grand’ peur; mais il est de ma charge de venir et cette mortification m’est bien deüe[11], pourveüe[12] que je ne fasse pas encore peur a Madame. Ich andtwortete: Non, mon pere, quand vous me parleres[13] aussi raison[n]ablement que vous faittes pressentement, je ne poures[14] avoir peur de vous; [158] mais il est vray que je vous ay veüe[15] bien malade. Er lachte undt sagte: Madame a trop de bonté de voulloir m’espargner la honte d’avoir paru si fol devant Ces[16] yeux. Ich sagte: Qu’et ce qui vous a guerie?[17] Er sagte: La charité de nostre supérieur, qui, voyant que j’estois devenu fol manque de société, m’a permis de m’entretenir avec le monde, et, petit a petit, voyant que cela faissoit un bon effect sur mon esprit, m’a charges[18] des affaire[s] de la maison, où il a fal[l]u parler tout[19] les jours a du monde. Cela, par la grace de Dieu, tout indigne que je suis, m’a rendu le peu d’esprit que j’avois. Au lieu donc de cacher le malheur que j’avois eüe[20], je dois le publier partout pour rendre grace a Dieu de m’avoir remis dans mon bon sens. Ich fundt den man so vernünfftig, daß ich lang mitt ihm sprach; er hatte viel verstandt undt kan ich nicht begreiffen, wo der verstandt sich muß versteckt haben; den ich habe den menschen gantz närisch gesehen. Ich fragte ihn, warum er meine füße gehalten hette; da sagte er mir, seine naredey seye geweßen, daß er sich eingebildt, er wehre in ein frembt königreich; also wie er mich gesehen, hette er gemeint, ich were sein neüer könig, hette sich derowegen zu meinen füßen geworffen, aber geschwindt auffgestanden, wie ichs ihm befohlen hette; lachte selber über seine thorheit, gestundt doch mitt mir, daß sein ordre zu streng wehre. Er wolte nichts drauff sagen, zoge die axellen[21] undt schlug die augen nieder, aber man sahe doch woll, daß er meiner meinung war. Aber nun ist es zeit, daß ich mich ahnziehe; nach dem eßen werde ich follendts außschreiben.
Sambstag umb halb 2 nachmittags.
Ich bin heütte ein wenig spätter ahn taffel kommen, alß ordinari; den man hatt mir, wie ich ahn taffel gehn wollen, ein heürahtscontract zu unterschreiben [gegeben] von einem monsieur de Tavan[n]e[s]. Aber ich habe jetzt so eine große lust, zu schlaffen. Das ist eine gewohnheit, so ich schon 30 jahr ahn mir habe; es ist aber nichts gefahrliches, den ich schlaffe nicht lang, nur eine halbe stundt oder 3/4 stundt auffs högst Da ist mein schlaff auß undt es ist noch nicht halb 3, also segt Ihr woll, liebe Louise, daß mein [159] schlaff nicht lang gewehrt hatt, wie ichs Eüch vorher gesagt habe. Es ist aber auch woll einmahl zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben [antworte]. Aber da kommen meine kutschen; wen ich wider von Madrit werde kommen sein, werde ich andtworten.
Sambstag umb halb 8 abendts.
Es ist anderthalb stundt, daß ich wieder von Madrit gangen; man hatt eben daß abendt-gebett ahngefangen, bin nein. Wie ich herauß kommen, ist der duc de Lauzun herrein kommen mitt seiner gemahlin [und] geschwey, die duchesse de Lorge[s], undt ihrem neuveu, der jetzigen duchesse de Lorge[s] stieff-sohn; die haben mich biß jetzt auffgehalten. Man hatt mir viel brieff von Paris gebracht, unter andern paquetten eines von Eüch, liebe Louise, vom 11 Juni, no 46; aber daß werde ich vor biß zukünfftigen donnerstag oder vielmehr mittwog sparen, den biß donnerstag werde ich eine kleine reiße nach Chelle[s] thun mitt mein enckellin, der abtißin, der[e]n contrefait ich Eüch vorgestern geschickt habe. Es ist von hir ein wenig weytter, alß Manheim von Heydelberg; ich muß durch gantz Paris undt vor die Place-Royale vorbey fahren. [Da] werde ich unßer großhertzogin auch eine vissitte geben, werde spat wider herkommen, eßen undt gleich nach bett; werde Eüch also ohnmöglich den tag schreiben können, aber biß mitwogen hoffe ich gar ortendtlich auff Ewer liebes schreiben zu andtwortten. Aber nun komme ich wider auff Ewer liebes schreiben, wo ich letztmahl geblieben war. Wen die zehrung sich in die geschlegten[22] setzt, ist es gar gefährlich; aber man meint eher, daß die gräffin Degenfelt es hatt, alß ihr schwager. Daß macht mich förchten, daß die überfahrt über die sehe[23] ihr nicht woll bekommen wirdt, wolte, daß sie schon bey Eüch were. Wen man sich heüraht, muß woll eines von beyden ahm ersten sterben, undt wer daran gedencken wolte, würde sich sein leben nicht heürahten. Man sagt auff dem frantzöschen sprichwordt: Un pot velles dure le plus[24]; so wirdt es vielleicht Ewerm neveu de Holdernesse auch gehen. Monsieur le Fevre sagt so woll, alß I. L. die printzes von Wallis, daß man keinen [160] ahngenehmern verstandt undt maniren in der welt hatt, alß die contesse de Holdernesse, daß er gewiß were, ich würde sie lieb bekommen. Die graffin von Degenfelt helt er vor ein gar gutt gemühte, aber blödt undt timide in geselschafft; also könte ihr verstandt nicht so sehr pariren. Ich hoffe, daß Ihr sie nun baldt bey Eüch haben werdet. Wo kompt Eüch aber die timititet her? Den mich deücht, ahn unßerm hoff war es gar nicht der brauch, contrarie, wenig sachen haben unß ambarassirt. Mein gott, liebe Louise, wie beklage ich Eüch, noch mitt processen geplagt zu sein! Ich finde nicht, daß Berlepsch kürtzer ist, alß Berlips. Glückseelige nacht, liebe Louise! Ich muß schlaffen gehen, monsieur Teray ist hir; gehe ich nicht schlaffen, werde ich gefiltzt. Gute nacht! Ich ambrassire Eüch von hertzen, liebe Louise, undt behalte Eüch allezeit, so lang ich lebe, recht lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 21. Juni 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 155–160
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1239.html
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