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Brief vom 28. Juni 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1241.


[164]
St Clou den 28 Juni 1721 (N. 4).
Hertzallerliebe Louise, meine kleine reiße, wovon ich Eüch verwichen mitwog geschrieben, ist woll abgangen. Ich bin precis umb 8 hir weg undt geradt zur großhertzogin gefahren. Ob sie zwar woll außsicht undt beßer spricht, alß ordinarie, so gefehlt sie mir doch gar nicht; fürchte sehr, daß es mitt abfallung der blätter übel hergehen wirdt. Den ihr humor ist gantz geendert; sie war allezeit lustig undt hatte einen gutten apetit undt nun kan sie nichts eßen undt ist recht trawerig; man sicht ihr die melancolie auß den augen ahn. Daß halte ich vor ein gar schlim zeichen, fürchte, daß, wen meine trawer vor landtgraff Philip auß sein wirdt, werde ich nicht lang sein, ohne wider zu trawern müßen, welches mir recht leydt sein würde, den ich habe die großhertzogin lieb; were mir recht leydt, wen wir sie verliehren solten. Von allen alten personen von der königlichen famillen hir bin ich die eintzige, so noch über bleibt. Den madame la princesse ist woll vom königlichen hauß, aber nicht, waß man la famille royale heist. Die geht nicht weitter, alß auff waß auff dem drap de pied in der capel knien darff, nehmblich, waß man les petits enfants de France heist, nehmblich meine kinder undt die großhertzogin; meines sohns kinder seindt nur prince[s] du sang, haben also dießen rang eben so wenig, alß madame la princesse undt ihre kinder undt enckelen. Mitt einem wordt, es geht nicht weitter, alß waß den tittel von Altesse Royale hir führt; die prince[s] du sang führen nur den tittel von Altesse Serenissime[1]. [165] Ich verzehle ich[2] dießen detail, weillen ich glaube, daß Ihr es gern wißen mögt. Ich kam zu Chelle[s] bey unßere serenissime abtißin zimblich frühe ahn (den ihre uhren gehen ein viertel-stundt spatter, alß Paris, undt eine halbe stundt spatter, alß hir) bey einem abscheülichen wetter, es regnete, alß wen mans mitt kübelen göße. Ich wuste doch niemandts in unßer kutzsch, so ich vor verliebt accussiren könte, nicht einmahl die Reine incognue[3]; den es war in unßer kutsch madame la duchesse de Brancas, meine dame d’honneur, madame Chateaut[h]ier[s], meine dame d’atour, Lenor undt ich. Ich ließe so geschwindt zurichten, alß möglich war. Unßer abtißin hatte nicht so gutten apetit, alß wir andere, den sie war kranck, hatte ein erschrecklich magen-wehe undt den gantzen morgen gekotzt. Daß hatt sie von ihrer mutter seytten her, die kotzen alle wie ge[r]bershundt. Ich bliebe bey I. L. biß umb 3 uhr; darnach ging ich in kirch. Unßere abtißin spilte mir ein stück von ihrer compossition, den sie kan die musiq gar perfect, hatt auch eine schonne stim undt kan woll singen, sunge aber damahl nicht. Wen sie rett, so stottert sie gar sehr, undt wen sie singt, stottert sie nie, kein augenblick. Ich rahte ihr offt in lachen, wie im opera allezeit in singen zu sprechen. Umb 4 bin ich wider von Chelle[s] weg undt just umb ein 1/4 auff 8 hir wider ahnkommen. Mein sohn war noch hir undt quittirt seine ahngenehme geselschafft undt kam mir gutte nacht geben. Umb 8 aß ich von 2 turtel-däubger [zu] nacht undt umb 3/4 auff 9 legte ich mich zu bett. Bekame eine boße zeittung, ehe ich zu nacht aß, nehmblich, daß eines von meinen schönnesten kutschen-pferden, so nicht mitt mir geweßen, umb 6 verreckt war ahn einem grimmen. Gott bewahre mich vor großere verlust undt unglück! Dießes kan ich gar leicht ertragen. Dieß ist alles, waß ich Eüch von unßer kleinen reiße sagen kan. Ich komme jetzt auff Ewer liebes schreiben vom 18 Juni, no 47. Es ist war, daß es ohn[n]öhtig zu schreiben ist, wen die brieff denselben tag ahnkommen. Ich kan nicht wißen, wo mein brieff muß liegen blieben sein, den ich habe nie manquirt, donnerstag undt sambstag zu schreiben. In meinem sin ist mir die aderlaß gar nicht woll zugeschlagen, bin viel lenger matt davon geblieben, alß ich vor dießem [166] pflegte. Wen Ihr keine schreiben von mir bekompt, ist es gewiß meine schuldt nicht; den were ich kranck undt konte selber nicht schreiben, würde ichs Eüch durch Lenor schreiben laßen, so ja allezeit bey mir ist. Ich beklage Eüch woll, liebe Louise, mitt proces-sachen noch gequehlt zu sein; den mich deücht, daß nichts verdrießlichers noch langweilligers in der welt ist; wünsche von hertzen, daß Eüch graff Degenfelt baldt davon erloßen mag. Die freüllen oder graffinen von Zoettern, wie man nun sagt, seindt gestern von Paris nach hauß. Ich glaube nicht, daß sie Eüch Ewere papiren versagen würden, kontet ihnen also woll nun drumb schreiben; den sie ja zu hauß keine entschuldigung haben undt woll in ihren paprassen nachsuchen können. Sie haben mir sehr versichert, daß sie ihr bestes thun würden, daß Ihr mitt ihnen zufrieden sein mögt, liebe Louise! Ob dem Philip Diderich zwar recht geschehen, sich wie ein alter narr, da er doch 3 erwacksene sohne hatte, wider zu heürahten undt eine junge ostereichische coquetten zu nehmen, so ist diß mensch doch gar zu graußam mitt ihm umbgangen, meritirte straff. Wie haben die 3 sohne ihren vatter nicht gerochen undt die stieff-mutter auffs wenigst einsperen laßen? Den durch ihre flucht hatt sie sich ja selber genung ahngeklagt. Die 3 graffen von Schonburg müßen ellende leütte gewest sein. Die Zoetterischen seindt warlich gutte menschen; sie haben Eüch geantwort, ihr brieff war in einem von meinen paquetten. Es ist ihre schuldt nicht, daß Ihr es nicht entpfangen habt, liebe Louise, noch meine auch nicht, den ich kan nicht wißen, wo meine paquetten hin kommen. Nun sie wider zu hauß sein werden, ist es ihnen nicht nöhtig, ihre schlüßeln andern, alß sich selbsten, zu vertrawen. Seyder den 19 hatt es alle tag hir geregnet; seindt wettungen zu Paris, daß es seyder den tag ahn zu rechnen 40 tag regnen solle[4]. Es ist heütte der 10 tag undt hatt noch nicht gefehlt undt große aparentz, daß, der so gewett, gewinen wirdt, weillen der regen sich so starck mitt dem neüen licht eingestelt hatt. Ich wünsche, daß den tag, so der pfaltzische hoff den Rhein herunder fahren wirdt[5], es schön wetter sein mag, [167] damitt Ihr die lust davon haben möget. Man sagt hir, daß Churpfaltz zu viel drinckt undt daß dießes ihm ahn der gesundtheit schadt. Unpäßlichkeit benihmbt sehr den gutten humor. Die graffin Berlips mögte woll jetzt nicht so zeit-vertreiblich sein, alß sie geweßen. Ich dencke woll, wie Ihr, liebe Louise! Affectirt-sein ist abscheülich in meinem sin; daß macht, daß ich die Langallerie mitt allen ihren impertinentzen noch widerlicher finde. Ihr segt[6] woll, liebe Louise, daß Ewer brieff nicht so lang war, alß Ihr gemeindt; den ich habe in 7 seytten alles gar exact beantwortet, waß Ihr mir in so viel bogen gesagt. Nun muß ich meine pausse machen, den monsieur Teray hatt mir ein fußbadt verortnet, so ich gleich brauchen werde. Dießen nachmittag werde ich dießen brieff außschreiben.
Sambstag, den 28 Juni, umb 2 uhr nachmittags.
Gleich nach dem eßen hab ich ahnfangen wollen, zu schreiben, aber ist mir gangen, wie daß teütsche sprichwort sagt, von dem tisch auff den wisch, wo ich nach meiner ordinari gewohnheit geleßen undt bin braff entschlaffen; werde erst wider wacker, habe bey ein stündtgen geschlaffen. Da kommen meine kutschen. Ich habe seyder heütte morgen gar nichts neües erfahren, bleibt mir aber[7] nichts mehr überig, alß Eüch zu versichern, liebe Louise, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 28. Juni 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 164–167
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1241.html
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