[167]
St Clou den 3 Julli 1721 (N. 5).
Hertzallerliebe Louise, ah, mein gott, wie habe ich heütte schon
eine mühseelige arbeit gethan! nehmblich 2 brieff, so ich
geschrieben, einen ahn die fraw witib, die landtgräffin von Philipsthal, von
welcher monsieur Martine mir gestern ein schreiben von I. L.
gebracht. Man kan in der welt nicht beßer Frantzösch schreiben, alß
sie thut; hatt mich recht v[e]rwundert, den ich weiß viel frantzösche
damen, so nicht so woll schreiben, alß sie; sie schreibt beßer, alß
ich, ob es gleich schon 50 jahr dießen winter sein wirdt, daß ich
[168]
in Franckreich bin. Ich hab auch ahn meinen vettern, den h.
landtgraffen von Cassel geschrieben, habe beydes mitt eygener handt
abcopiren müßen. Wolte Eüch lieber 30 seytten schreiben, liebe
Louisse, alß einen [brief] abcopiren, thue es bitter ungern; aber
erstlich so habe ich niemandts, so Teütsch schreiben kan, undt zum
andern so müßen auch die brieffe alle von meiner handt sein.
Aber da sagt man mir, daß es halb 11 geschlagen, muß mich
ahnkleyden. Dießen nachmittag werde ich auff Ewer liebes schreiben
vom 21, no 48, antworten.
Donnerstag umb halb 2 nachmittag.
Ich habe mich ein halb stundt nach dem eßen außgeruhet,
umb nicht zu geschwindt nach dem eßen zu schreiben undt meine
digestion woll zu verichten; mögte auch woll wie ordinarie ein
schläffgen thun, den ich fühle schon, daß mir daß sandtmängen in
den augen kompt
[1].
Ich habe mein schlaffgen vericht, hatt nur ein klein stündtgen
gewehrt, komme jetzt auff Ewer liebes schreiben. Daß ist zu grob,
daß man Eüch 4 von meinen schreiben auff einmahl gibt; doch ist
es noch beßer, daß man sie Eüch gibt, alß wen sie gar verlohren
gingen. Ihr segt doch, liebe Louise, daß es meine schuldt nicht ist,
daß Ihr so lang ohne meine schreiben geweßen undt ich mein wordt
gehalten undt alle posten geschrieben habe, woran ich auch mein
leben nicht fehlen werde. Ihr soltet in keinen sorgen gewest sein;
den wen ich nicht hette schreiben können, hette ich Lenor
gebetten, vor mich zu schreiben. Daß einem
[2] die post offt ungedultig
macht, daß ist deß Torcy spaß in aller devotion. Waß thut die
pest von Arle[s], Marseillen undt Toullon ahn die Parisser post?
Die seindt ja weitt von einander undt haben keine gemeinschafft
zusamen. Man ist gar exact, sich vor der pest zu hütten; zu Lion
hatt man erfahren, daß 2 kauffleütte vertachtige wahren haben
kommen laßen; alle die wahren hatt man verbrendt. Ein kauffman
hatt davon lauffen wollen, den hatt man erschoßen; der aber ertapt
worden, hatt man gerädert. Also segt Ihr woll, liebe Louise, daß
man gar exact ist undt keine böße lufft herkommen [läßt]. Mein
sohn hatt einen docktor, der monsieur Chirac heist. Der macht
[169]
einem alle gedult verliehren; er souttenirt, daß die ahnsteckende
kranckheitten sich nicht communiciren undt sicht doch daß exempel
vor seinen augen von Marseillen undt Thoullon
[3]. Wen mein sohn
mir glauben wolte, so würde er monsieur Chirac in die pest schicken,
umb zu sehen, ob sie nicht ahnsteckt. Ich gehe jetzt ein wenig
beßer, alß ich gangen bin, aber ich habe noch nacht undt tag
schmertzen in den knien. Da kompt mein sohn, der wirdt dieße
nacht wider nach Paris, muß ihn ein wenig entreteniren.
Donnerstag, den 3 Julli, umb halb 9 abendts.
Seyder ich auffgehort, zu schreiben, seindt viel sachen
vorgangen. Wie mein sohn von mir gangen umb halb 5, bin ich
spatziren gefahren, habe madame la chancelliere, so mitt mir zu
mittag gehabt, spatziren geführt, bin oben im gartten abgestigen
umb 6 uhr, umb durch die orangerie wieder herre[i]n zu kommen,
welche de plain pied von meiner cammer ist. Wie ich aber oben
außgestiegen, habe ich den duc de Chausne
[4] mitt seinen 2 sohnen,
einen vettern, einen notarius [gefunden], umb mich den heüraht
von dem jungen vettern zu unterschreiben machen. Ich glaube
nicht, daß man sein leben einen heüraht unterschrieben hatt, wie
ich dießen unterschrieben habe, nehmblich auff einer cais[s]e
d’orange. Wie ich herein kam, war es halb 7, da bin ich betten
gangen. Umb 7 bin ich wider kommen undt habe gemeint, ich
würde Eüch noch ein stündtgen vor dem eßen entreteniren; aber
wie ich mich eben wider hieher gesetzt, umb fort zu schreiben, hab
ich eben madame la duchesse mitt mademoiselle de Clermont
kommen sehen, welche biß 8 hir geblieben ist. Hernach habe ich zu
nacht geßen undt nun schlegt es ein virtel auff 10; also kan ich
ohnmöglich heütte weitter auff Ewer liebes schreiben zu
andtwortten
[5], den ich muß vor 10 zu bett. Der diable au contretemps plagt
mich woll. Ich fürchte, daß ich Eüch biß sambstag auch nicht viel
werde schreiben konnen; den selben morgen werde ich umb 9 in
kutsch, umb nach Paris zu fahren. Werde gleich au[x] Carmelitten,
von dar zu madame la princesse, so kranck wieder von Equoan
[6]
[170]
kommen ist, werde auch die hertzogin von Hannover besuchen.
Adieu, her[z]liebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt
behalte Eüch recht lieb.