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Par Bruxelle et Bingen
A madame Louise, raugräffin zu Pfaltz, a Geissenheim.
St Clou den 5 Julli 1721 umb 7 morgendts (N. 6).
Hertzallerliebe Louise, ich habe heütte gar wenig zeit, Eüch
zu entreteniren, ich werde umb 9 nach Paris fahren. Wir werden
keine peltz von nohten haben, umb unß warm zu halten; es ist
eine abscheüliche hitze seyder 3 tagen kommen, welches einem
desto frembter vorkompt, daß es vergangenen mittag noch so kalt
war, daß man feüer machen muste; aber nachmittag wurde es heiß
undt seyder dem hatt die hitze immer zugenohmen. Ich hatte
gehofft, daß diß warme wetter meinen füßen
[1] undt knie verbeßern
würde, aber sie thun mir weher, alß nie. Kampffer konte ich nicht
brauchen, der geruch ist mir abscheülich zuwieder. Ich thue woll,
waß monsieur Teray mir raht, aber ich consultire mein leben keinen
docktor. Mein leben hatt keine mattigkeit von keiner aderläß mir
so lang gedauert, alß dießmahl, in
[2] glaube, daß es die neherung
[3]
von den 70 jahren ist. Aber daß muß woll seinen gang biß ahns
endt so haben, hab doch noch gott zu dancken, in meinem alter
keine unleydtliche schmertzen außzustehen undt mich woll zu
befinden. Wen mich die schnacken schlaffen lest
[4], schlaff ich gar woll;
aber wir haben mitt den verfluchten mucken eine große qual hir.
Starcke wetter haben wir hir nicht, schlegt gar selten ein. Der
arme mühler
[5] dauert mich. Aber da schlegt es 3 viertel auff 8,
ich muß mich ahnkleyden. Die ersten halb dutzendt schachteln
mitt pflaster hab ich schon entpfangen undt davor gedanckt. Adieu,
liebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen; habe gedacht, es
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were beßer, ein klein brieffgen zu schreiben, alß keines. Seydt
versichert, daß ich Eüch allezeit lieb behalte!