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Brief vom 11. September 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1260.


[218]
St Clou, donerstag, den 11 September 1721 (N. 24).
Hertzallerliebe Louise, vergangen sontag habe ich Ewer liebes schreiben vom 30 Augusti, no 64, zu recht endtpfangen. Ich kan nicht begreiffen, waß man vor eine fantesie auff der post hatt, mir Ewere liebe schreiben so richtig zu geben undt Eüch die meinen auffzuhalten. Den ob ich zwar kranck geweßen undt; wie Ihr, liebe Louise, auß meinen schreiben, so ich hoffe Eüch doch endtlich zukommen werden, ersehen werdet haben, 4 tag wieder daß continuirliche fieber gehabt undt 3 tag gar starck bin pu[r]girt worden, so habe ich doch keinen posttag verfehlt undt Eüch nach meinem versprechen allezeit geschrieben. Ich hoffe, daß Ihr sie noch bekommen werdet, ehe Ihr von Geissenheim verreyßen werdt. Es ist ein rechte verdrießliche sach mitt der unordenung von der post, es macht einen recht ungedultig. Aber da ist nichts in zu thun, solt Eüch also nicht drüber bedrüben, liebe Louise, undt es machen, wie unßer zweyfingeriger schreibmeister unß gelehrt. Den ich zweyffle nicht, daß er Eüch dießelben sententzen in Ewerm schreibbuch wirdt geschrieben haben, so er in dem meinen gesetzt, worinen stundt, waß unßere liebe s. churfürstin allezeit so sehr aprobirt hatt, nehmblich:
Waß nicht zu endern stehet,
Laß gehen, wie es gehet![1]
Mich verlangt, wider brieff von Eüch zu bekommen, ob Ihr endtlich die meinen entpfangen habt. Gesterige post hatt mich auch von Eüch verfehlt. Es ist ein ellendt, wie die posten nun gehen. Daß [219] kont Ihr woll versichert sein, daß es ahn mich nicht liegt undt ich gar ordentlich mein versprechen halte, alle woche 2 mahl zu schreiben, alß nehmblich alle donnerstag undt alle samstags. Die gazetten toden[2] die leütte gar leicht, ich fürchte also, daß man mich wirdt todt gesagt haben. Gott gebe, daß Ihr meine schreiben vorher bekommen mögt, also keinen schrecken haben! Den schrecken seindt sehr ungesundt. Es ist nicht war, liebe, daß der könig in Englandt den kleinen printzen, seinen enckel, nach Kißingthon[3] mitt den 3 printzessinen geführt hatt. Die printzessinen seindt alle 3 dort, daß ist war, der kleine printz aber ist bey seinen herrn vattern undt fraw mutter zu Richemont[4]. Alles dort ist einig, ruhig undt gutt, gott lob, undt [der] allmachtige erhalte es immer so! Ich weiß nicht, waß vor wetter zu Richemont ist, aber hir haben wir 14 tag lang daß schönste wetter von der welt gehabt undt warmer, alß es den gantzen sommer geweßen. Aber seyder vorgestern hatt sich der regen wider eingestelt; gestern hatt es den gantzen morgen undt nachmittags biß umb 4 geregnet undt dabey geschlost, hernach aber ist es daß schönste wetter von der welt geworden, ein clarer sonnenschein undt samffte lufft. Ich fahr nach Madrit, konte aber nicht spatziren, den es ist nicht außzusprechen, welche eine mattigkeit mir daß vielle purgiren verursachet. Ich bin jetzt eben so matt, alß ich nach meiner großen kranckheit geweßen, habe auch noch gar keinen apetit, bin, wie die Hinderson alß pflegt zu sagen, gantz schlapies[5], aber doch wieder recht gesundt. Bey alten weibern, wie ich bin, kompt die stärck undt kräfften nicht so baldt wider. Waß will man thun? Man muß gedult haben undt gedencken, wie unßere liebe churfürstin alß pflegt zu sagen: Unßer herrgott wirdt nichts neües, noch besunders vor unß machen, wir müßen folgen, waß gott in der natur vor ein jedes alter verortnet hatt[6]. Von die herbst-tag halt [ich nicht viel, es] ist nur eine schönne agonie, wo man alles sterben sicht, welches nichts [angenehmes] ahn sich haben kan[7]. Heütte werde ich dießen brieff wieder auff Franckfort adressiren. Es ist mir nicht leydt, liebe Louisse, daß Eüch Ewere kinder nach Altdorff[8] führen, den bewegung undt [220] verenderung ist unßerm geblütt gesundt. Wen daß wetter ist wie nun, werdet Ihr Eüch nicht zu beklagen haben. Ich finde aber, daß es kein[e]r schwangern frawen sache ist, so herumb zu reyßen; den der regen kan boße wege gemacht haben undt es muß offt nur ein starcker schock[9] kommen, eine schwangere fraw zu bleßiren undt ein boß kindtbett zu bekommen. Gott gebe, daß es woll ablauffen möge! Aber man kan sagen wie in den fammes savantes: Vostre prudence est endormie[10], der schwangern frawen dieße reiße zu thun laßen. Wie ich in allem höre undt sehe, so lest sich Churpfaltz greülich von seinen bedinten herumb führen undt regieren. Ich hatte dießen herrn allezeit so sehr loben hören, daß ich mich auff eine gantz andere regierung versehen hatte. Herr graff von Degenfelt thete vielleicht beßer, ahn churpfaltzischen hoff zu [gehen]; den daß würde vielleicht den ungerechten leütten daß gewißen auffwecken undt etwaß beßer[e]s zu wegen bringen, insonderheit da der printz von Sultzbach ihm woll geneigt ist. Ich kan die albere zeitung, so man Eüch vom pfältzischen hoff gesagt, ohnmöglich glauben, jedoch so muß ich gestehen, daß l’esprit de vertige[11] überall greülich regiert. Monsieur le Fevre hatt geantwort undt sein brieff ist in eines von meinen paquetten, so Ihr noch nicht entpfangen habt. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwordet. Weillen ich aber noch eine gutte stundt habe, ehe ich mich ahnziehen werde, will ich Eüch noch weitter entreteniren, liebe Louise, damitt Ihr sehen möget, daß ich wider gantz gesundt bin, aber gar nicht lustig, den unßere gutte großhertzogin, fürchte ich, wirdt baldt sterben, hatt noch wider einen neüen ahnstoß gehabt, es ist mir recht von hertzen leydt; es ist recht betrübt, seine gutte freünde undt verwanten so zu sterben sehen. Aber last unß von waß anderst reden, liebe Louise! Dießes macht mich zu trawerig. Ich habe noch ein [221] altes schreiben von Eüch vom 13 Augusti, no 60, worauff ich noch nie habe andtwortten können; daß will ich nun unterfangen undt heütte, ob gott will, außführen. Ihr werdet nun schon wißen, liebe Louise, wie daß der könig undt unßer duc de Chartre[s] wider in vollkomm[en]er gesundtheit sein, werde also nichts mehr davon sagen. Vergangen montag hatt monsieur le duc dem könig ein groß fest geben, ilumination undt feüerwerck, so über die maßen schön war. Ich habe mir keine große mühe geben, solche zu sehen, den sein hauß zu Vanvre[s] ist nur ein viertelstundt von St Clou undt sehe es geraht vor meinen balcon undt fenster[12]. Es sahe auß wie die merger[13] von den féen; es war kein wunder, daß es schön war, den monsieur le duc hatt daß gantze hauß, gartten undt avenüe mitt lampions besetzen laßen, wahren 22 taußendt, biß auff die caminen war alles voll. Es ist auff eine hohe[14], konte also überall gesehen werden. Daß feüerwerck, so auff beyden seytten außging, war auch hübsch. Diß fest hatt mitt einer jagt ahngefangen undt man hatt dem könig ein rehe undt felthüner schießen machen, den er fengt schon ahn, gar woll zu schießen undt liebt es sehr[15]. Dießen gantzen sommer haben wir hir im landt keinen eintzigen tag hitz gehabt, ich … Wetter haben wir schir nie hir. Der herbst wirdt gar schlegt[16] hir sein, aber daß geht mich nicht ahn, den monsieur Teray erlaubt mir keinen andern weill[17] zu drincken, alß Rheinwein. Aber der Rheinwein hir nimbt ab undt ist nicht stärcker, alß der Neüstätter, den ich allezeit gedrunken, wie Ihr [222] woll wist, liebe Louise! Unßer hertzog von Lotteringen schickt mir alle jahr ein faß, solle allezeit Bacheracher[18] sein. Man hatt hir eine historie von einem apotecker-knecht von deß königs apotecker, wie der könig noch gantz jung war. Dem gab man brieff undt schickte ihn nach Lion[19]. Wie er dans la rüe d’enfer kamme, begegnet ihm ein man, der fragte, wo er hin ginge. Er sagte, er reiste nach Lion. Der andere fragte ihn, in wie viel tagen er dieße reiße thun wolte. Er sagt: In 10 tagen. Der andtwortet: Würde[t] Ihr gern dießen abendt dort sein? Der apotecker lachte undt sagte: Ja, wen es möglich wer. Der ander gab ihm ein hoßen-bandt undt sagte: Bindt diß hoßen-bandt fest ahn Ewern schenckel! So baldt es gebunden war, fühlt der kerl sich in die lufft heben undt abendts lest man ihn in eine statt herunder. Er fragt, wo er were, man andtwort: Zu Lion. Er gin[g] hin, überliefferte alle brieffe, wurde aber hernach auß schrecken todt-kranck; die natürliche farb ist ihm sein leben nicht wider kommen. Ich glaub, er lebt noch[20]. Aber nun muß ich meine pausse machen. Dießen nachmittag werde ich Eüch lenger entreteniren.
Donnerstag, den 11 September, umb ein viertel auff 2 nachmittags.
Es ist nahe bey ein halb stundt, daß ich von taffel bin, habe nicht so geschwindt wieder schreiben wollen wegen meiner mattigkeit undt nun kompt mir der schlaff ahn, muß ein schläffgen thun, wie die gutte fraw von Salfelt[21] alß pflegt zu sagen. Mein schläffgen ist geschehen undt da schlegt es eben 2 uhr, es hatt also nicht zu lang gewehrt. Ich komme wider, wo ich heütte morgen geblieben war. Ihr secht[22], daß man ahn allen orten merger[23] von einer gattung verzehlt. Der apoteckers-knecht hatt gesagt, er hette gemerckt, wen er über eine statt gereist were, den er hette die [223] klocken leütten hören. Ewere historie von dem schulmeister von Florsheim[24] ist schönner, alß die meine, in dem der mitt ihm gereist, schir were gekopfft worden, wen sich der schulmeister nicht wieder eingefunden hette. Der man, so er erlöst undt hernach vor sein leben freyheit bekommen, kan daß sprichwordt mitt warheit sagen: A quelque chose malheur est bon. Dieße historie hatt mich recht divertirt, ob ich sie zwar nicht glaube. In Schweden pretendirt [man], daß verdrincken kein rechter todt seye; sie bringen dort auch viel leütte wieder zu recht. Man bindt die verdrunckene auff ein faß in ein[e]r warmen stuben undt rolt daß faß immer, biß daß der versoffener alles, waß oben undt unten, auß lehrt, undt so baldt der leib gelehrt[25] ist undt wieder warm geworden, wirdt der versoffene wieder lebendig. Aber es muß kein bludts-verwandter sich dabey einfinden, sonsten kan der versoffene nicht wieder couriren, sondern, so baldt der verwante in die cammer trit, geht dem patienten daß bludt ahn undt leüfft ihn auß der naß, mundt undt ohren. Leütte haben mir versichert, es mitt ihren augen gesehen zu haben. Aber wen dem also ist, ist es kein wunder, daß Ewer armer laquay noch kenbar geweß[en] ist, nachdem er verdruncken. Wen einer sich muhtwiliger weiß undt mitt willen erseüfft, finde ich, daß es billig ist, daß man die leütte nicht ehrlich begrabt; aber wen es ungefähr geschicht, solte doch ein unterschiedt drin gemacht werden. Alle kinder seindt wie Ewere niepce undt daß klein medgen, so Ihr bey Eüch erzicht; baldt haben sie sich lieb undt baldt schlagen sie sich, aber daß formirt doch eine freündtschafft, so so lang alß daß leben dawert. Dem krancken Rotzenheusser[26] hatt daß so stättige kinder-machen daß leben gekost. Ich höre gern, wen Ihr so große geselschafft habt, den ich hoffe, daß es Eüch verenderung gibt, liebe Louise! Meine sache aber were es gantz undt gar nicht; seyder deß königs s. todt bin ich den geselschafften gantz entwohnt, kan nicht mehr in geselschafft dawern, einsambkeit ist mein grostes vergnügen. Es ist kein wunder, daß Ewere niepce, die mager undt schwanger ist, übel außsicht. Alle leütte hir lindern ihre schmertzen hir von grieß mitt todten neßeln, so man auch weiße neßel-waßer heist; es ist auch gutt vor [224] daß pottegram[27]. Ich wuste nicht, daß zu Seltz[28] ein sauerbrunen war, wünsche, daß es graff Degenfelt woll bekommen mag. Eine gutte ehe ist, waß jetzt, wie ich glaube, ahm rarsten zu finden ist in dießer welt. Die kirbe hir ist nicht woll abgeloffen, es seindt 3 oder 4 menschen umbkomen. Sie war woll nicht schon, bestundt in lautter lebkuchen, welche meine sache gar nicht ist[29], kan sie nicht vertragen, eckeln mich recht wie eine medecin, aber viel leütte liebens. Unßere printzes von Wallis ist persuadirt, daß Ewere niepce ihren man lieber hatt, alß er sie; aber wie ich sehe, so meint Ihr doch, daß graff Degenfelt seine gemahlin eben so lieb hatt, alß sie ihn. Hiemitt ist Ewer liebes erstes schreiben vom 13 Augusti, no 60, vollig beantwortet, bleibt mir also nur überig, Eüch zu versichern, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 11. September 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 218–224
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1260.html
Änderungsstand:
Tintenfass