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St Clou den 9 May 1722 (N. 89).
Hertzallerliebe Louisse, ich muß gestehen, es ist mir noch gar
nicht woll, bin noch, wie die Hinderson alß pflegt zu sagen, gar
schlapies. Gestern wolte ich in der capel mein abendtgebett
ver[r]ichten undt wie ordinarie
[1] auff die knie betten, allein es würde mir
auß mattigkeit so übel, daß ich geschwindt auffstehen muste. Lenor,
so bey mir war, machte mich doch lachen, den sie sagte mir, ich
hette eine papirne naß
[2]. Daß ist kein wunder, den es war mir
recht übel. Ich habe dieße nacht auch gar nicht woll geschlaffen,
vapeurs undt krampff bekommen. Aber man muß gedult haben, sie
überwindt buttermilch; bey mir wirdt sie nicht überwunden werden,
den ich eße mein leben keine, finde, daß es kotzerlich schmeckt
[3].
Aber es ist auch zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme
vom 25 April, no 31. Es ist doch gutt, daß unßere brieffe nicht
verlohren werden undt endtlich richtig ahnkommen. Mein
gesundtheit war gutt, wie ich Eüch im ahnfang von hir geschrieben; aber
seyder dem ist es sehr geendert durch die wunderliche begebenbeit,
wie die teütschen commedianten alß pflegen zu sagen, so mir vor
8 tagen begegnet undt ich Eüch geschrieben, liebe Louise! Werdt
es woll nun entpfangen haben, auffs wenigst eher, alß dießer brieff
ahnkommen wirdt sein. Ihr habt recht, zu glauben, daß, wen ich
nichts von meiner gesundtheit sage, daß ich woll bin. Sorgen undt
verdrießlichkeytten fehlen hir im landt gar selten, da ist nichts von
zu sagen. Ich weiß nicht, ob in Teütschlandt waß guttes geschicht,
wen man daß böße vermuht
[4]; aber hir ist es gar nicht so; undt
wen man waß bößes zu vermuhten [hat], kompt es baldt undt bleibt
nicht auß. In allen sachen muß man woll auff gott vertrawen; aber
wen es gottes wille ist, daß wir leyden sollen, müßen wir unß
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auch woll in seinen willen ergeben undt schweygen undt leyden
[5].
Ihr lebt so woll, liebe Louise, daß ich Ewer gebett vor gar gutt
halte; dancke Eüch vor daß vergangene undt bitte, mir ferner Ewer
gutt gebett zu continuiren
[6]. Ich habe auch sehr offt remarquirt,
daß wenig leütte hir sein, so ahn gott glauben
[7]; daß erweist sich
woll, zu sehen, wie viel, viel leütte sich selber umbß leben bringen.
Vor gar wenig tagen hatt noch ein vetter von monsieur de
Guiscar[d]
[8] auß verzweyfflung versoffen
[9]; weillen er ein spieller war
undt viel verlohren hatte, kam ihm eine verzweifflung ahn, ließ
seinen stock undt hut, wo er zu nacht eßen solte, so meinte man, er
wolte zu einer nohtwendigkeit gehen, aber ahnstat dießes geht er
au Pont-Royal undt sprengt sich ins waßer undt erseüfft sich. Aber
ich muß eine pausse machen.
Sambstag abendts umb 8.
Ich habe gemeindt, Eüch 2 stundt zu entreteniren können,
allein wie ich von Madrit komm[e]n undt eben auß dem abendtgebett
gangen, ist madame la princesse mitt der jungen printzes de Conti
kommen undt sein biß jetz[t] geblieben. Also werde ich meinen
vorsatz weitter nicht fortsetzen können, auff Ewer liebes schreiben
vollig zu andtwortten, liebe Louise! Ich bin so schwach, daß ich
kaum die feder halten kan, will Eüch also nur sagen, daß ich Eüch
eine kirbe von St Clou schicke. Dießes ist die kleine foire de St
Clou, geht also auch klein her; aber die große mode hir nun ist
perlenmutter, drumb schicke ich Eüch hirbey ein klein
schreibtaffelgen, so die neüeste mode sein solle, wünsche, daß es Eüch gefallen
mag, liebe Louise! Wen man affairen hatt, wie Ihr alß habt, hatt
man schreibtaffeln von nohten; es ist auch ein klein porte-lettre
dran fest bey dem calendergen, wo Ihr Ewere zettel nein thun
könt. Ich wolte gar gern lenger blauttern, aber meine schwachheitt
erlaubt mir vor dießmahl nicht, mehr zu sagen, hertzliebe Louise,
alß daß ich Eüch, in welchen standt ich auch sein mag, von hertzen
lieb behalte.