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Brief vom 28. Mai 1722

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1331.


[402]

A madame Louise, raugräffin zu Pfaltz, a Franckforth.

St Clou den 28 May 1722 (N. 98).
Hertzliebe Louise, gestern war ich zu Paris, da hab ich Ewer liebes schreiben von 16, no 36, entpfangen, so ich jetzt gleich beantworten werde undt mein 71 jahr mitt Eüch ahnfangen. Liebe Louise, Ihr seydt die erste, ahn welche ich in meinen[1] geburdtstag schreibe. Ich hoffe, es wirdt mir diß jahr glück bringen, meinen geburdtstag mitt jemandts ahnzufangen, so mir lieb ist, ahnzufangen. Ich fange mein neües jahr beßer ahn, alß ich es gestern geendet habe; den es war wie ein wetter in der lufft, welches meine mattigkeit, welche seyder meiner unglücklichen aderläß noch nicht wider ersetzt ist, sehr hatt entpfinden machen; aber dieße nacht habe ich, gott lob, woll geschlaffen undt befinde mich beßer dießen morgen, fange also mein jahr beßer ahn, alß ich es gestern geentet habe. Ich wolte warhafftig lieber selber enden, alß wen ich wieder außstehen solt[e], was ich in meinem 69 jahr außgestanden hab mitt meines sohn[s] undt seines sohns kranckheitten undt meiner eygene[2] unpaßlichkeitten, so mich woll unerhört geplagt haben undt daß leben unerhört verlaydt haben. Aber last unß von waß anderst reden undt auff Ewer liebes schreiben kommen! Es erfreüet mich von hertzen, daß die perlen-mutter-tabletten Eüch gefallen haben, liebe Louise! Man muß die gutte gewohnheit von den kirben nicht verliehren; es ist eine schlecht[e] sache undt weist Eüch doch die hießige arbeytten, so etlich mahl rar in Teütschlandt sein, wiewoll gar gemein hir. Dem seye aber, wie ihm wolle, so hatt es Eüch gefallen; daß ist alles, waß ich darvon begehrt undt gewünscht habe, [403] liebe Louise! Ihr habt woll gethan, keine difficultetten gemacht zu haben, dieße kirbe ahngenohmen[3], sonsten würdet Ihr mich recht offencirt undt böß gemacht [haben]; den waß man in amitié undt auß gutten hertzen gibt, soll allezeit woll ahngenohmen werden. Wen man einmahl weiß, wie sich die tabletten auff machen, ist nichts leichters. Die tabletten, so Ihr im sack tragt, weillen sie gar leicht sein, mogten woll gemächlicher sein, alß die von perlenmutter. Wie Ihr mir Ewer sack-tabletten beschreibt, finde ich sie artlich. Ich kan mich dießmahl gar nicht rühmen, daß die remeden de precaution mir woll bekommen sein, den ich bin noch gantz schwach undt ellendt davon. Mich deücht mir, daß, ahn statt daß sich meine krafften vermehren solten, nehmen sie taglich ab. Waß endtlich auß dießem allem wehren[4] wirdt, werden wir sehen; mögte woll vor die lange weill recht kranck werden. Wie es gottes will ist, ich bin zu allem bereydt. Freylich were es beßer geweßen, wen man mich die verfluchte frantzosche moden nicht hette folgen laßen mitt den remeden de precaution, so mir nie woll bekomen sein. Ewer gebett, liebe Louise, halte ich vor gar gutt, undt nutzt es mir nicht jetzt zu meiner [gesundheit], so wirdt es mir doch sonst nutzen undt für ander unglück bewahren. Waß mich glauben macht, daß man sich in jener welt nicht kenen wirdt, ist, liebe Louisse, daß ich persuadirt [bin], daß man ahn nichts mehr von dießer welt gedencken undt nur occupirt sein [wird], gott zu dancken, glücklich geworden zu sein. Man wirdt auch sehr verendert sein. Kaum kent man sich in dießer welt kenen[5], wen[n] man etliche zeit geweßen, [ohne] einander zu sehen, wie solte man sich den in jener welt kenen? Zu dem so were es auch gewiß, daß man nie recht glückseelig sein könte; den es mogte geschehen, daß personnen, so man liebt, vielleicht nicht seelig werden. Welch ein hertzenleydt würde man nicht entpfinden, wen man sich kenen solte! Ich kans also nicht glauben[6]. Umb die rechte warheit zu sagen, so war mir recht bang vor der printzessin von Wallis zwey fraw dochter; aber alles ist, gott seye danck, gar woll abgangen. Hette ich noch kleine kinder, könte ich mich nicht dazu resolviren, ich muß gestehen. Das sohngen von mylord Sunderlandt[7] ist nicht [404] davon gestorben, den die printzes hatt ihn offenen laßen; er ist von einem polibe[8] im hertzen gestorben, wie sein vatter. Von der ohnmacht ist mein balbirer nicht kranck worden, aber die kranckheit, so er in sich hatte, hatt ihn gantz ohnmachtig gemacht. Ich erfrewe mich mitt Eüch, daß Ewer kleiner neuveu die waßer-blatteren so woll überstanden. Auff dem fuß ader laßen thut bitter wehe; ohne große noht thue ichs nicht gern; es ist doch nun die große mode zu Paris. Wen ich mich sitzendt ader laße, so wirdt mir nie über[9], aber woll, wen ich im bett lag[10]. Wir haben hir eben so schon wetter, alß Ihr zu Franckfort, liebe Louise! Es ist aber alles zu schlapies bey mir, umb auffgemundert zu werden. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwort, bleibt mir nur noch überig, zu sagen, daß der gutt[e] graff von Leiningen, so zu Paris gestorben, ein hübscher herr vor ein mansperson [war], aber vor eine dame hatte er daß gesicht zu lang. Adieu! Ich ambrassire Eüch von hertzen, liebe Louisse, undt hab ich[11] eben so lieb in mein 70 jahr, alß in 69.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 28. Mai 1722 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 402–404
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1331.html
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