[406]
St Clou, donnerstag, den 4 Juni 1722 (N. 100).
Hertzallerliebe Louise, heütte werde ich Eüch so viel
entreteniren, alß es mir immer möglich sein wirdt; den biß sambstag
werde ich Eüch nur ein klein brieffgen schreiben können, weillen
ich selbigen tag nach Paris werde von geraht
[1] ins Port-Royal zur
jungen printzes de Conti, so nun dort eingespert ist undt welcher
ich versprochen, daß ich sie alle reißen, so ich nach Paris werde,
besuchen werde. Von dar werde ich zum könig undt daß infantien,
von dar ins Palais-Royal, wo ich eßen werde. Nach dem eßen
werde ich zu unßern Carmelitten, wo ich meiner enckellin, der
fraw abtißin von Chelle[s], rendevous geben [werde]. Von dar
werde ich wider ins Palais-Royal, wo unßere hertzogin von
Hannover zu mir kommen wirdt; die werde ich in unßer loge in die
neüe ittalliensche commedie führen, so gar artig sein solle, wie man
sagt. Über 8 tagen, wo mir gott daß leben undt gesundtheit
verleydt, werde ich Eüch sagen, liebe Louise, wie ich es gefunden
habe. Gleich nach der comedie werde ich wieder her. Es ist aber
au[c]h einmahl zeit, daß ich auff Ewer letztes liebes schreiben komme
von 19, no 37, auff welches ich noch nicht habe andtwortten
können. Meine mattigkeit wehrt noch, wie auch mein widerwillen zum
eßen. Gott weiß allein, wen es auffhören wirdt. Ich gehe doch
immer meinen schlendrian fort undt laß den lieben gott walten,
waß er auch mitt mir machen wirdt, ergebe mich gantz in seinen
willen undt bin tranquil[l]e, so viel es moglich sein kan. Wie Ihr
segt
[2] durch waß ich hir sage, liebe Louise, so habe ich mich noch
keiner gar volkommenen gesundtheit zu berühmen; gedult aber
überwindt buttermilch, wie man in unßerer lieben Pfaltz sagt.
[407]
Meinen geburtstag kan ich mich eben nicht berühmen gar trefflich
ahngefangen zu haben; weillen ich Eüch aber selbigen tag
geschrieben, werde [ich] also weytter nichts davon sagen, Eüch nur sehr
dancken vor alle Ewere gutte wünsche. Aber, liebe Louise,
ursachen zu bekommen, höchst vergnügt zu sein, ist woll ein
ohnmöglicher wunsch. Liebe Louise, wen man so alt ist, alß ich bin, undt
so viel personnen verlohren, so man hertzlich geliebt, kan kein
recht vergnügen mehr im hertzen platz finden undt man ist alß
noch in continuirlichen sorgen vor den
[3], so einem noch überblieben
sein. Im überigen hatt man keine rechte lust mehr in nichts in
der welt, alles ist einem verlaydt, undt wie die kräfften vergehen,
so vergeht auch die lust zu alles. Ach nein, liebe, es ist mir nicht
beßer auff meinen geburdtstag diß jahr gangen, alß daß verwichene.
Die posten werden nie recht gehen; den wo sich interesse hir im
landt findt, muß man nicht glauben, daß sich etwaß endern kan,
den es ist ärger, alß nie, mitt bestelt. Ich flattire mich, liebe
Louise, daß es Eüch ahngenehm ist, alle woche zwey von meinen
schreiben zu entpfangen, drumb schreibe ich zwey mahl die woch.
Complimenten seindt in der that meine sache gantz undt gar nicht,
halte eben so wenig davon, alß mein armer brud[e]r s. that, wie Ihr
Eüch noch woll erinern könt. Der gelehrte von Hall[e] gewindt
gewiß eine staffel im himmel, ursach zu sein, daß der margraff von
Durlach
[4] sein scandalleus leben verlest undt seinen serail
abgeschafft
[5]. Er solte aber den verfluchten pfaff[e]n, so ihn ohne zweyffel
durch interesse drin verlaydt, hart abgestrafft haben; abgesetzt zu
haben, ist nicht genung. Man solte ihn zum exempel in eine ewige
gefengnuß gesetzt haben, so würden andere mehr sorg haben, so
bößen raht zu geben, wen sie sehen werden, daß mehr schaden,
[als] gewin dabey ist. Ich muß nun meine gewohnliche pausse
machen, dießen nachmittag werde ich dießen brieff außschreiben,
ehe wir in kirch werden; den es ist heütte ein großes fest, muß
[408]
also in die kirch. Ich hoffe doch, noch vor der vesper dießen
brieff auß zu schreiben, den ich werde nach dem eßen gleich
ahnfangen. Ich werde aber nicht sicher sein, das mich der schlaff
nich[t] überfehlt, welcher sich schon gar starck bey mir ahnmehlt.
Donnerstag, den 4 Juni, umb 3 uhr nachmittag.
Ich habe ein schlaffgen gethan; so baldt ich mich hieher
gesetzt nach dem eßen, bin ich entschlaffen, werde erst wider wacker.
Ich glaube, daß die mattigkeit mich ein wenig einschlaffert. Da
bringt man mir in dießem augenblick 2 von Ewern lieben
schreiben, eines vom 23 May undt daß ander ist vom 28, no 38 undt
no 39; daß letzte war just auff meinen gebuhrtstag geschrieben.
Aber ich will erst den brieff auß beantwortten, so ich heütte
morgen ahngefangen habe. Wir wahren ahn deß margraffen von
Durlach seinen abgeschafften seraill geblieben. Gott gebe ihm die
gnade, gescheyder zu werden! Es were auch gutt, wen sein
doppelter schwager, der hertzog von Württenberg
[6], auch sein exempel
folgen wolte undt ein beßeres leben führen undt seiner
tugendtsamen gemahlin kein so großen chagrin mehr zu geben, wie er
bißher gethan. Daß der margraff von Durlach so woll mitt seiner
gemahlin gelebt, hatt ihn glück gebracht undt gemacht, daß ihn
unßer herrgott bekehrt. Sie, ich wlll sagen deß margraffen
gemahlin, meritirt auch, woll gehalten zu sein, weillen sie so
friedtsam mitt ihrem herrn gelebt hatt. Weillen ich auß Ewer letzte
schreiben gesehen, daß die fürstin von Ussingen wieder zu
Franckforth ist, sage ich nichts mehr von ihrer reiße. Zwilling bleiben
selten leben, buben insonderheit leben selten im 7ten mont. Gutte
ehen ist bey itzigen zeitten etwaß gar rares, müßen christliche undt
ehrliche leütte sein die gräffin von Solms undt ihr herr. Ey, liebe
Louise, Ihr habt mir nur zu viel gedanckt vor die kirbe von St Clou;
daß ist ja nur meine alte versprechung, daß ich Eüch alle jahr
kirbe schicken wolle. Daß ist [das] artlichste, so ich in
Franckreich finde, daß artige arbeytten drin, doch findt man bey weittem
[409]
nicht mehr so artliche sagen
[7], wie vor dießem. Seyder dem daß
golt so hoch gestiegen, machen die goltschmidt wenig arbeytten.
Aber es freüet mich recht von hertzen, daß Eüch die bagatellen
ahngenehm sein. Sich zu amussiren mitt unschuldige sachen, so einem
von jemandts kommen, so einem lieb hatt, daß kan weder gegen
gott, noch der welt sein. Ihr müst mich woll arm glauben, liebe
Louise, wen Ihr meint, daß solche bagattellen mich ungelegenheit
machen können. Seydt in keinen sorgen! Alles ist bezahlt, ich
bin keinen heller schuldig, könt Eüch also sicher mitt freüen.
Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet. Meine intention
war, noch auff eines von den zweyen zu andtwortten, so ich dießen
nachmittag entpfangen, aber es ist zu spät; den nach der kirch bin
ich spatziren gefahren, umb ein wenig frische lufft zu schöpffen;
daß hatt mich zu weit geführt. Ich habe noch einen brieff zu
schreiben, ehe ich eße undt schlaffen gehe. Adieu, liebe Louise!
Ich ambrassire Eüch von hertzen undt werde Eüch allezeit recht
lieb behalten.