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Brief vom 6. August 1722

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1350.


[441]
St Clou den 6 Augosti 1722 umb 6 morgendts undt ein viertel (N. 17).
Hertzallerliebe Louise, mein jus vert[1] undt medecin, so man mir in 2 tagen, nehmblich sontag undt montag, geben, hatt mich den ersten tag 5 mahl starck purgirt undt montag 6 starcke mahl, ist mir bekommen, wie ich es woll vorsehen hatte, hatt mir gantz allen apetit benohmen undt so abgematt, daß ich wie ein schatten gehe. Man propossirt mir noch dazu, alle woche 2 mahl von dem jus zu nehmen, aber daß hab ich noch nicht accordirt. Den Frantzoßen starcken die medecinen, mich aber benimbt es alle kräfften, also bin ich persuadirt, daß, wen man mich auff hießige mode tractiren solte, würde man mir baldt den garauß machen. Aber da bin ich nicht in sorgen vor, den ich bin gantz persuadirt, daß meine stundt gezehlt ist undt mich nichts drüber noch drunter bringen kan. Gestern fuhr ich nach Madrit, es war der 4te tag, daß ich keine frische lufft genohmen hatte; daß ist mir woll bekommen, werde also dießen morgen nach Versaille[s], wie[2] ich in 14 tagen nicht geweßen. Dießen nachmittag werde ich dießen brieff außschreiben, Eüch aber itzunder mir, liebe Louise, entreteniren biß auff ein viertel auff 8ten, den umb halb 9 we[r]de ich nach Versaille[s], aber ich werde umb halb 12 wider dort weg undt hir zu mittag eßen kommen, welches hergehen wirdt nach Lenor ihrem sprichwort: Wie der wolff sagt, wie er schnacken fraß: Es geht klein her[3]. Mein eßen geht auch gar klein her, ich versuche alles, aber es will mir nichts schmecken, insonderheitt zu alles, waß fleisch ist, habe ich einen abscheülichen eckel. Aber es ist auch einmahl zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme vom 21 Julli, no 52. Auff Ewere zwey schreiben, liebe Louise, so ich sehr woll entpfangen, habe ich schon geantwortet in der vergangenen woche. Ich dancke Eüch, liebe Louise, daß Ihr mir wider geschrieben, den ich entpfange gern von Ewern lieben schreiben. In der zeit, daß Ihr im Schlangenbaadt geweßen undt mir die post verfehlt, habe ich Eüch doch geschrieben undt nicht ahn meine parolle gefehlt, Eüch alle Posten zu schreiben. Auß dem ahnfang dießes brieffs werdet Ihr, [442] liebe Louise, ersehen, wie ich wider in meinen accidenten gefahlen bin undt schlimmer, alß nie. Ich dancke Eüch doch vor alle Ewere gutte wünsche. Aber nun muß ich meine pausse machen. Dießen nachmittag werde ich weyter schreiben.
Donnerstag, den 6 Aug[usti], umb 2 uhr nachmittags.
Da kommen wir eben von taffel, bin schon zu Versaille[s] geweßen undt habe meine 3 vissitten abgelegt ahn madame d’Orléans, die infantin undt den könig. Nach deß königs meß bin ich wieder her, ich habe aber vorher mitt einem man gesprochen, welcher mich so gejamert, daß mir die threnen in den augen kommen sein; es ist auch woll erbarmblich, waß ihm begegnet. Vor 4 jahren hatt er ahn seinem elsten enckel, deß duc de Villeroy sohn, so man jetzt den duc de Rais[4] heist, deß ducs de Luxemb[o]urg dochter verheüraht, welche sich gleich in allen desbeauchen, auch so, daß sie dem duc de Richelieu zu gefahlen gantz nackendt mitt ihm undt seinen gutten freünden zu nacht geßen vor etlichen mont. Hernach hatt sie sich ahn den wüsten Rion[5] gehengt, der außsicht wie ein waßergeist undt ondin[6]; sie hatt sich mitt dem nicht contentirt, sondern seinen bruder, schwager wolt ich sagen, den chevallier de Die[7] genohmen. Alß Rion es ihr hatt vorwerffen wollen, hatt sie geantwortet, ob er den geglaubt hette, daß sie sich allein mitt ihm behelffen könte; von dem temperament, alß sie were, solte er es ihr danck wißen, daß sie ihn sparte undt andere mitt ihm nehme, den sie könte nicht einschlaffen, sie hette den 8 mahl wüstereyen gethan. Ist daß nicht ein fein bürschen? Aber da leütt man ins gebett; nach dem gebett werde ich Eüch ferner entreteniren.
Da komme ich auß der capel undt es schlegt just ein viertel auff 7. Nun will ich mein schönne historie fort führen von der erbaren dame, die duchesse de Rais. Wie sie den Rion undt seinen schwager de Die gehabt, war der duc de Richelieu ihr confident. Auff einmahl ist ihr die last ahnkommen, den duc de Richelieu wider zu haben. Wie aber dießer seine feste resolution gefast, alle junge damen zu haben, hatt er seiner freündin declarirt, daß, wen sie ihn wieder haben wolte, müste sie ihm erst ihre geschwey, die [443] marquise de d’Alincourt[8] livren solte, welches sie ihm versprochen. Vergangen dinstag hatt die duchesse de Rais ihre geschwey, abendts mitt ihr zu Versaille[s] in den gartten spatziren, welches sie accordirt. Sie wahren aber nicht so baldt ins höltzgen, da kam Rion mitt dem duc de Richelieu ahngestrichen. Die wüste duchesse de Rais hilte ihrer geschwey die hände, damitt[9] fing aber so erschrecklich ahn umb hülff zu ruffen, daß leütte, so noch im gartten spatzirten, ihr noch zu rechter zeit zu hülff kammen. Sie lieff gleich zu ihrer mutter, der marechalle de Bouffler[s] undt klagte ihr unglück; die führte sie gleich in der nacht selber zum marechal de Villeroy, welcher gleich mittwog morgendts eine kutsch ahnspanen ließ undt schickte die duchesse de Rais nach Paris. Von dar wirdt man sie in ein closter einsp[er]ren auff dem landt, so Merlou heist. Sontag abendts hatt der arme marechal de Villeroy eine neüe betrübtnuß außgestanden, worinen er nicht weniger zu beklagen ist, alß in der ersten. Ein cavalier, so sich dieß jahr geheüraht hatt undt monsieur de Rambure heist, ein neveu undt schwester-sohn vom premier pressident, der kam nach Versaille[s] in seinem hochzeit-kleydt undt sagte im gartten zu der junge barsch: Me voila en habit de nopce! Qui veust faire nopce avec moy? Der junge Bouffler[s] melte sich gleich ahn, ist ein bub, so kaum 17 jahr alt ist. Es ging aber kahl ab, da sagte der marquis d’Allincourt[10]: Il faut que je respare la honte de mon beaufrere, stelte sich ahn seinen platz undt führte die sach mitt gewalt auß; nach ihm kam der marquis de Meusse[11], so über die 40 alt ist, undt hilt sein ritter-spiel auch im beysein vieller leütte, so im gartten spatzirten, unter andern der comte de Roye; der filtzte sie braff auß, sagte, daß, wen sie sich vor gott nicht scheüen wolten, solten sie sich doch vor sich selber scheüen undt so eine sache konte nicht verschwigen bleiben. Aber sie haben ihn nur außgelacht. Aber so baldt der marechal de Villeroy es erfahren, hatt er nachts selber ahn mein sohn geschrieben, ein lettre de cachet begehrt, damitt sein enckel, der marquis d’Allincourt, excillirt möge werden. Den marquis de Rambure hatt man in die Bastille geschickt undt Meusse nach Lotteringen, den jungen Bouffler[s] hatt man in seine gütter exillirt[12]. Seine fraw mutter [444] ist woll zu beklagen, ist eine rechte frome, tugendtsame dame, die ihre kinder mitt sorg undt fleiß erzogen hatt undt muß nun daß ellendt ahn ihnen erleben; jammert mich woll von hertzen. Ich kene sie gar sehr, ist mitt meinen kindern erzogen worden, mein sohn kendt sie also gar woll. Wie sie aber zu ihm kam, kendt er sie nicht mehr, so abscheülich ist die arme marechale geendert, thut tag undt nachts nichts, alß weinen, ist woll zu erbarmen. Man spricht von nichts anderst hir. Wie ich wieder von Versaille[s] kommen, habe ich zwey von Ewern lieben schreiben hir gefunden, so man mir auff einmahl gebracht, nehmblich daß vom 25 Julli undt daß vom 28, no 53 undt 54. Aber dießen abendt kan ich ohnmöglich drauff andtwortten, will doch mein bestes thun, noch auff daß zu andtwortten, so ich heütte morgen ahngefangen. Ich habe Eüch schon von meiner ellenden gesundtheit gesprochen, werde also weyder nichts davon sagen. Wen ich aber nicht courire, biß ich daß Schlangenbadt brauche, werde ich mein leben nicht couriren. Ich glaube auch nicht, liebe Louise, daß es mir woll bekommen konte, den ich kan kein badt leyden, habe auch mein leben kein sawerbrunen gebraucht. Ich habe mich sehr nach monsieur le Fevre erkundiget, aber nichts von ihm erfahren. Monsieur le Roy hatt gar gewiß ahn graff Degenfelt geandtwordtet, aber ich habe ihn braff gefiltzt, daß er den brieff bloß auff die post geben undt mir nicht geschickt, habe woll gedacht, daß es[13] verlohren gehen würde. Es were mir lieb geweßen, Ewer niepce, meledy Holdernesse[14], hir zu sehen; ich hette ihr fleißig helffen solicittiren. Nach deß königs cronung wirdt mein sohn noch regent bleiben biß im Februari. Es ist war, daß unßer hertzog von Lotteringen noch nicht vollig gesundt ist leyder. Der landtgraff von Darmstatt hatt mir selber part geben, daß seine gemahlin ein printzen zur welt gebracht. Ich muß enden, meine vapeurs plagen mich unerhört. Ewer liebes schreiben ist doch vollig beantwortet. Adieu den, hertzliebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch recht lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 6. August 1722 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 441–444
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1350.html
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