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St Clou den 19 November 1722 (N. 4).
Hertzallerliebe Louise, vor wenig tagen bin ich mitt Ewer
liebes schreiben vom 5 November, no 79, zu recht entpfangen
[1]. Ich
weiß nicht, ob meine brieff recht geschriffrirt sein, den ich bin in
einer so erschr[e]cklichen mattigkeit, daß ich ahn nichts gedencken
kan. Man hatt Eüch woll über übel bericht, liebe Louise, wie man
Eüch bericht, daß ich in gutter gesundtheit bin herkommen; ich
glaube, ich hatte Eüch doch schon bericht, daß man mich in 8
tagen 80 mahl purgirt hatt, welches [m]ich in einer solchen
abscheülichen mattigkeit gesetzt, daß ich nicht weiß, ob sie mich wieder
herauß werden zigen
[2] können. Bißher seindt sie gar nicht
glücklich in ihrer kunst vor mich geweßen, haben mich kranck gemacht,
da ich in frischer gesundtheit war, undt waß sie mir hernach geben,
umb mich wider gesundt zu machen, hatt in gar nichts reussirt.
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Waß weitter drauß werden wirdt, werden wir sehen; ich ergebe
mich in allem in den willen gottes, bitte nur, daß der allmachtige
mir gedult verleyen möge, mein endt mitt gedult zu erwartten undt
ein seeliges ent erwerben, amen! Das wünsche ich mehr, alß zu
geneßen, ich bin deß lebens zu satt, liebe Louise! Doch will ich
gott nichts vorschreiben, sondern mich in allem in den willen gottes
ergeben. Aber hiemitt auch genung so ernstlich gesprochen! Ich
komme wider auff Ewer liebes schreib[e]n. Ich weiß nicht, liebe
Louise, warumb Ihr mir eine post habt abschneiden wollen. Daß
war ja gar nicht nöhtig undt ich kan Eüch mitt warheit versichern,
daß Ewere schreiben mir recht lieb undt ahngenehm. Ich war
eben die gesundtste nicht zu Rheims, allein hatt[e] doch mehr kräfften
dort, alß nun hir, wie leicht zu errahten ist; man hatt mir die seelle
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auß purgirt. Ihr werdet, liebe Louise, durch die relation, so ich
Eüch vom sacre geschickt, mehr erfahren, alß viel, so in der kirch
wahren. Die ordre war admirable undt gar keine confussion; ich
muß gestehen, ich habe mein leben nichts regullirters, magnifiquers
noch schonners gesehen, es meritirt, gesehen zu werden. Mein
dochter war außer sich selber vor freüden undt ihre kinder auch. Ich
hette niemandts konnen placiren, den alles war regullirt undt
auffgeschrieben. Man hatt mir doch meinen vetter, printz Carl von
Heßen, in mein[e] loge geben, so eben apropo ahnkomen. Ich
muß aber meine pausse machen, den man will, daß ich fruhe
eßen solle.
Donnerstag, den 19 November, umb 4 nachmittags.
Ich hatte gehofft, gleich nach dem eßen wieder zu schreiben
können, allein es seindt mir viel verhinternuße zugestoßen. Alß
ich ahn taffel sitzen wollen, ist mein sohn zu mir kommen. Wie
der weg ist undt ich von taffel kommen, ist madame la duchesse
d’Orleans kommen. Wie die wieder weg, bin ich entschlaffen, habe
ein gutt stündtgen geschlaffen, bin aber noch schwacher erwacht,
alß ich entschlaffen bin. Ich weiß nicht, waß man mir heütte noch
gegeben hatt, allein ich bin noch 5 mahl purgirt; daß matt mich
so erschrecklich ab, daß ich glaub, daß man mir e[n]tlich die seel
auß dem leib purgiren wirdt. Es muß sich baldt außweißen, waß
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auß dießem allem werden wirdt, den es ist ohnmöglich, daß es
lenger so dawe[r]n
[4] kan. Gestern gestunden mir unßere docktor,
sie hetten mein temperament nicht recht gekent undt nie kein exempel
gesehen von ein so gar delicattes eingeweit hetten, alß
[5] sie bey mir
gefunden. Unterdeßen muß ich leyden, es ist gottes will, ich muß
mich also drin ergeben undt erwartten, waß auß dießem allem werden
wirdt. Ich bin, gott lob, nicht zu Paris, sondern zu St Clou; ich glaube,
ich were schon todt, wen ich zu Paris hette bleiben müßen. Die
ceremonien zu Rheims haben mich nicht fatiquiren können, den ich hatte
nichts dabey zu thun, alß nur spectatrice zu sein, daß gibt keine mühe.
Eine große mennge leütt habe ich zu Rheims gesehen, liebe Louise,
daß ist war, aber zu allem glück war ich damahls noch nicht so
matt undt ellendt, alß ich nun bin, hatt mir also nichts geschadt.
Ich muß Eüch doch sagen, liebe Louise, welche eine närische reiß
der graff von Sintzendorf
[6] sohn zu Rheims gemacht. Er ist
erstlich eine abscheülich figur, hinndten undt fornnen bucklich. Der ist
nach Rheims kommen, umb die crönnung zu sehen; abendts aber
versuchte er von dem Champagner wein undt drinckt sich so
sternsvoll, daß er 2 mahl 24 stundt wie eine bestia ist liegen blieben,
ohne eintzigen wißenschafft von sich selber zu haben; hatt also nichts
von keiner einzigen ceremonie gesehen
[7]. Meine dochter war recht
beschambt vor ihn, weillen sie ihn pressentirt hatte; ich habe sie
ein wenig mitt außgelacht, war gantz beschambt. Dießer graff von
Sintzendorf, hatt er woll die cronung so schön gesehen von Rheims,
alß der englische edelman die von der konigin Anne ihre. Hette
ich ein wenig mehr krefften, alß ich habe, würde ich Eüch lenger
entreteniren, liebe Louise, aber nun ist es mir [ohn]möglich, kan
mitt mühe nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb
behalte.