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Brief vom 2. Juli 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


2058.


[571] [1]
St Clou den sontag, 2 Julli 1719 (N. 99).
Hertzliebe Louise, ich weiß noch nicht, ob ich heütte die freüde haben werde, einig schreiben von Eüch zu entpfangen, werde unterdeßen auff Ewer liebes schreiben andtwortten, so mir noch überig ist vom 13 Juni, no 47. Ich bin nun, gott seye danck, so gesundt, alß ich vor 10 jahren geweßen, auch propossirt mir, gott lob, monsieur Terest kein remedium. Ich halte aber auch eine starcke diette, eße undt drincke deß tags nur ein mahl, nehmblich zum mittags-eßen drincke undt eße ich, wie ich all mein leben gethan, aber den gantzen tag nichts, alß abendts umb 9 uhr daß in heiß waßer geklopffte eydotter mitt zucker undt ein wenig zimmet; darauff ziehe ich mich auß undt gehe nach bett. Gestern wahr es nur ein viertel auff 10, wie ich mich zu bette legte, habe aber nicht desto beßer geschlaffen, den 4 verfluchte schnacken haben mir eine widerliche serenade vor jedem ohr gebracht undt daß gantze gesicht verbißen, daß es mich noch brendt undt beist, daß ich nicht daweren kan. Man möchte sich kratzen biß auffs bludt, bin deßwegen auch 5 viertelstundt spatter auffgestanden, alß ordinarie. Es seindt unleydtliche mucken, sie machen einem mitt ihrem verfluchten gesang recht boß. Herr Max s. konte sie woll perfect nachmachen. Vor alle Ewere gutte wünsche dancke ich Eüch von hertzen, liebe Louise! Aber 134 jahr alt zu werden, were warlich zu viel undt so lang alt zu sein … Wer ein mittel finden konte, lange jahren jung zu bleiben, daß were eine gutte [sache]. Allein man wirdt zu baldt alt undt lang alt zu sein, ist zu überlästig, man stehet nur schmertzen auß, [572] ist sich selber undt andern verdrießlich; daß ist nicht zu wünschen. St Clou ist zwar eine gesundte lufft, aber ich finde die von Choisie noch beßer. Eine lufft, über welche sich jederman außer ich alß geklagt hatt, das ist mein liebes Fontainebleau. Aber ich muß auch die rechte warheit bekennen, ich habe mich beßer dort divertirt, alß ahn keinem andern ort, jagte 3 mahl die woch den hirsch oder wolff, andere tag ging man auff kleine schweinsjagten oder ich ging spatziren oder fischen; 3 mahl die woch hatten wir commedie, offt mußick, cavalcaden im walt, promenaden mitt musiq umb den cannal; suma, es war allezeit etwaß dort, so ahn andern orten nicht war. Daß [schloß] mitt den gall[e]rien undt mitt den großen sählen undt gallerien sicht gantz teütsch auß. Ich war auch dort gar woll logirt, hatte eine sale des garde[s], eine große antichambre, wo ich aß, eine große schlaff-cammer, so auff 2 höff außsicht hatt, ein klein cammergen, 2 kleine cabinetten undt ein groß cabinet, wo ich mich im[m]er auffgehalten, so in der großen hitze recht kühl war, den die außsicht ist nur gegen morgen undt norden, also im sommer nach 6 ist die son nicht mehr ahm fenster, scheindt auch den gantzen tag nicht mehr nein, daß macht den ort sehr kühl, den die mauern seindt sehr dick dort. Ich habe auch eine garderobe darbey, so ein gantz apart degagement hatt, alß daß cabinet. Es jammert mich, der könig lachte undt sagte alß zu mir: Dou vient donc, Madame, que vous aimes tant Fontainebleau? Ich andtwortete: J’y suis mieux logée que vous, Monsieur, et je m’y divertis fort. Der könig sahe gern, daß man Fontainebleau liebte, den er hatte es auch sehr lieb undt auch gern, daß man ihm gantz naturlich andtwortete, woran ich ohne mühe nie gefehlt, den ich kan nicht anderst, alß natürlich undt wie ich gedencke, reden. 80 jahr ist gar gemein hir; ich bin persuadirt, daß der könig, so nur 77 er[r]eicht, wen Fagon ihn nicht so offt undt unmenschlich purgirt hette, daß er weit über die 80 gangen were; aber er hatt ihn immer biß auffs bludt purgirt, daß hießen sie jusques a la selle rouge. Ich weiß [nicht, wie] es der arme könig so lang hatt außstehen können, ich rieff die medecin-tag offt dargegen, aber man lachte mich auß undt sagte: Ce que vous ne sauries souffrir … medecine. Ich andtwortete dem könig: Plust a dieu que vous fussies de mesme! vous en vivries bien plus longtemps. Ich bin leyder ein gar zu gutter prophet geweßen, werde dießen könig mein leben [573] regretiren. Mein sohn hatt d’Esfiat in dinst behalten, weillen er seine charge gekaufft undt ohne einen procetzes kan man keinen officir weg jagen. Die kinder in Franckreich seindt nicht so tendre, sich zu bekümmern über, wer ihren müttern guts oder böß thut; alles geht seinen weg fort. Mein sohn, ob er zwar ein Frantzos, ist in nichts in der welt interessirt, hatt nicht ein mahl die pension nehmen wollen, so ihm von rechts wegen alß regenten gebührt. Hette er gelegenheit finden können, Wendt einen gefahlen zu thun, hette ichs gethan, den er dint mir trew undt woll; aber man kan hir nicht thun, waß man gern [thäte]. Ich habe vor alle meine Teütschen gesorgt; mein Harling, so auch ein ehrlich mängen ist, ist mein capitaine des gardes, marechal de camps undt ist gouverneur von einer kleinen provintz. Also, solt ich zu sterben kommen, seindt doch meine Teü[t]schen versorgt undt haben zu leben; daß gibt mir ruhe. Madame la princesse kan ihrer niepce, madame la duchesse Doursch, ihren heüraht noch nicht verzeyen, daß sie den man genohmen; will sie noch nicht sehen. Doch haben mir I. L. versprochen, sie zu sehen, wen sie ihre sach mitt ihrem he[rrn] bruder wirdt außgemacht haben. Es ist war, daß mir unßere liebe s. churfürstin alle die sach geschriben hatt; sie hatt ma tante, ma tante s. nicht zu Hannover, sondern zu Clef gesehen. Ihr habt woll groß recht gehabt, madame Sastot nicht vor Eüch gehen zu laßen; wen man solche rang von hoffmeisterinen haben will, müste man auch haut huppée in denen chargen alß simple gentilliatres, wie die Sastot ist, nehmen. Die duchesse Doursch sagt, sie würde ihr leben ahn kein heürahten [gedacht haben], wen man ihr nur zu leben geben undt frey gelaßen. Allein ihre tante, die printzes Christine von Salm, wolte sie zwingen, wider ihren willen eine none zu werden, undt hatt sie gefangen gehalten, nicht sat zu eßen geben, in suma gar übel tractirt. Dießes ellendts loß zu werden, hatt sie den ersten besten genohmen, der sie hatt nehmen wollen. Hirin hab ich ihr nicht unrecht geben konnen. Sie hatt ihren h[errn] nicht auß lieb genohmen, hatt ihn vorherr ihr leben nicht gesehen gehabt, er hatt auch nur ihre alliance ahn sie geheüraht, er lebt aber über die maßen woll mitt ihr. Daß zwergelgen hatt verstandt undt ist possirlich. Ahm keyßerlichen hoff wer nur gelt hatt undt gibt, wirdt ein fürst; daß gibt hir keinen rang, auch hatt sie keinen hir, worüber sie sehr betrübt ist. Sie hatt schon 4 kinder undt geht mitt dem [574] 5ten schwanger. Von der fraw, so von fett gestorben, werde ich nichts mehr sagen. Ich weiß nicht, waß endtlich auß unßerer duchesse de Berry werden wirdt; gestern besuchte ich I. L., sahe bitter übel auß. Man hatte sie auffstehen machen, saß in einem seßel, allein sie bekam so erschreckliche schmertzen in den füßen undt in einer hüffte, daß ihr die threnen in den augen kamen. Ich fürchte, es wirdt ein schlim endt nehmen, den ich finde I. L. sehr geendert seyder vergangenen montag, daß ich I. L. gesehen hatte; gestern erschrack ich recht, wie ich sie sahe, den sie sicht recht erbarmlich auß. Sie kan daß unordentliche leben noch nicht abgewohnen, den sie hatt sehr verbotten, daß man mir es sagen solle, ich habe es aber doch erfahren, daß sie vor wenig tagen 2 mahl zu nacht geßen, umb 7 undt umb 11, hatt sich hernach die gantze nacht erbrochen; daß kan keine geneßung geben. Sie hatt junge damen bey sich, so ihr gesundtheit, leben undt reputation verderben; wolte gern, daß vatter undt mutter sie abschafften, aber sie haben keine lust; mir kompts nicht zu. Die Kiehlmanseck hatt ihr verlohren döchtergen wieder gefunden. Wen ich die leütte nicht personlich kene, bekomme ich gern schreiben, so nicht zu antwortten; den so gern ich auch ahn bekante schreibe, so ungern schreibe ich ahn unbekante, bin also fro, wen ich brieff bekomme, so nicht zu andtwortten sein. Aber ich muß nun eine pausse machen.
Sontag, den 2 Julli, umb 3/4 auff 5 abendts.
Ich komme jetz[t] eben auß der kirch, es ist aber zu warm, umb noch spatziren zu fahr[e]n, den es ist heütte eine greüliche hitze, auch so, daß ich gleich nach dem eßen nicht habe schreiben können. Seyder dem habe ich viel brieff entpfangen, eines von Eüch, liebe Louise, von 20 Juni, no 49, undt eines von der printzes von Wallis von 16 bogen, eines von baron Görtz undt eines von monsieur Harling, beyde von Hannover. Dießes zu leßen, hatt mich lang auffgehalten, biß ich in kirch bin; fürchte, daß ich Eüch nun nicht so lang noch werde entreteniren können, liebe Louise, alß ich es woll wünsche. Den umb 6 uhr muß ich woll ein wenig lufft schöpffen gehen, undt wen ich von der promenade komme, muß ich ahn mein dochter schreiben, den es ist heütte auch ihr posttag undt gestern habe ich einen großen brieff von ihr bekommen, den ich heütte beantwortten muß. Wen man meint, daß man gern gibt, [575] ist man nicht ungeplagt undt alle menschen meinen, sie müßen davon profitiren. Ihr, liebe Louise, könt beßer wißen, alß niemandts, ob Ewere neveus undt niepcen interessirt sein oder nicht; findt Ihr es nicht, kan es nicht war sein. Ewere leütte, die Eüch reprochiren, nicht genung ahn meinen sohn zu fordern, müßen die hießigen sachen nicht verstehen, den mein sohn hatt nichts seyder seines herr vattern todt von den pfältzischen einkommen genoßen undt gleich den gantzen protzes verlohren, kan also nichts schuldig sein. Den waß Monsieur entpfangen, da hatt er nichts von genoßen, weder er, noch ich; Monsieur hatt mitt gethan, waß er gewohlt, also kan in dießem fall niemandts nichts von meinen sohn pretendiren nach hießigen rechten. Were etwaß drinen zu thun undt zu fordern geweßen, würde ich starck vor Eüch solicittirt haben schon zu deß herrn Zachmans zeitten. Daß konte weder guts, noch bößes zu der pfältzischen affairen thun, den es gantz eine aparte sach ist. Wer auch Ewere sach in händen mag haben, wirdt hir nichts außrichten auß obgemelten ursachen. Ich kan undt will Eüch nie betriegen, liebe Louise, sage Eüch blat herauß, wie man hir davon spricht, den die sach ist schon examinirt worden hir zu deß herr Zachmans zeitten; er hatts Eüch nicht zu wißen thun wollen undt hatt übel dran gethan. Ich habe gar nichts mitt zu thun, ich habe nichts von Monsieur s. geerbt, kan also nichts bezahlen; waß auß der Pfaltz kam, hatt Monsieur alles bekomen, ich nichts davon, nicht ein contrefait. Also, wen auch schuldt-gutt, gings mich nichts ahn, den ich habe ahn der comuneautét renoncirt, umb nichts mitt meinem sohn, noch seinen kindern jemahlen zu disputiren zu haben. Es belastiget mich nicht, liebe, daß Ihr mir hirvon geschrieben, damitt ich Eüch auß dem draum helffen mag, daß Ihr meint, daß ich waß mitt zu thun [haben] könte. Könte es bey mir stehen, solte Eüch baldt geholffen worden sein, aber wie es ist, kan ich nichts dazu thun, welches mir sehr leydt ist Da kompt madame d’Orleans, ich muß enden, nur noch sagen, daß es mich gar nicht verdriest, daß Ihr mir hirvon gesprochen. Stünde es bey mir, würdet Ihr baldt erfahren, daß ich mir eine lust würde machen, Eüch zu gefahlen, weillen ich Eüch von, liebe Louise, von hertzen lieb habe.
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Brief vom 2. Juli 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 571–575
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b2058.html
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Tintenfass