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Brief vom 11. Dezember 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


2285.


[290] [1]
Paris den donn[e]rstag, 11 December 1721 (N. 48)[2].
Hertzallerliebe Louise, seyder ich hir zu Paris bin, habe ich nichts von Eüch entpfangen. Ich hatte mich gestern drauff gespitzt, umb mein mattes hertz zu stärcken; den ich hatte morgendts umb ein viertel auff 7 ein gutten schopffen[3] grünen safft geschluckt, so mich 6 mahl starck purgirt. Heütte hatt man mir eben so viel schlucken machen, bin schon seydter ein viertel auff 7 gar starck gangen, 3 mahl nach einander starck gegangen. Aber so schlapies, wie die arme Hinderson alß pflegt zu sagen, mich auch die 2 medecinen machen, so werde ich Eüch doch [291] heütte schreiben, liebe Louise! Den ich habe Eüch ja versprochen, keine post zu verseümen; daß werde ich auch nie thun, so lang ich leben werde. Aber da dreibt mich mein grüner safft zum 4 mahl, es außzusprechen. Waß vor ein gallewercks von mir geht, kan ich nicht begreiffen, wo es herkompt. Aber last unß von waß anderst reden! Dießes ist gar zu langweillig. Wir haben nichts neües hir, man spricht von nichts, alß von dieben undt mördern. Einer ist vorgestern possirlich ertapt worden, man verfolgte ihn, wolten ihn fangen, er salvirte sich mitt 2 pistollen in der handt undt rieff, daß, wer ihn auffhalten oder ahnruffen solte, wolle er niederschießen. Niemandts dorffte ihn anrühren, aber alle der marechalle d’Estrade[s] leütte (den es war in ihr hauß, daß er sich salvirt hatt) nahmen alle better-mattrassen, so sie in[4] hauß finden konten, undt warffen es auff den dieb; wie er niedergeschlagen war, lieffen sie in den hoff undt ertapten ihn. Man hatt noch eine[n] großen poignart [gefunden], worauff Louis Cartouche geschrieben war, welches seine sache nicht beßer machen wirdt; den daß weist, daß er von seiner noblen geselschafft ist, wovon man schon 300 in die inseln von America geschickt undt woll ein stück 20 gerädert oder gehengt hatt. Aber waß ich noch ahm wunderlichsten finde, ist, undt[5] ahm fregsten[6] von dießen dieben finde, ist, daß die balbirer Cartouches leib von dem schinder gekaufft haben, umb ein anatomie davon zu machen. Viel leütte haben sich dabey gefunden, undt wie einer einen goltenen knopff ahm stock hatte undt die hände hinter sich hilte, wurde ihm der stock auß der handt geschnitten; den er hatte daß bandt vom stock ahm arm, daß haben sie leiße[7] abgeschnitten undt den goltenen knopff fort getragen sambt dem stock. Daß ist ja ein frech stück, bey dem todten körper zu stehlen, so vor 2 tag vorher gerähtert worden, weillen er gemort undt gestohlen hatt. Ein ander stück, daß ich auch possirlich gefunden, muß ich Eüch noch verzehlen, liebe Louisse! Ein junger abbé, so ein gutter edelman sein solle von Auvergne, der nent sich l’abbé de la Motte, der steckt sich au[x] mission[s] estrangeres, lebte dort so reterirt undt from, daß man ihn schir vor einen heyligen hilte, den er thate nichts, alß betten undt communicirte zwey mahl die woche, ging allezeit zur beicht bey dem superieur, der hilte [292] ihn, wie schon gesagt, vor einen heyligen. Einen tag hörte man ein groß geschrey in seiner cammer, man lieff hin, da fandt man ihn ahn seinen bettstohlen[8] mitt stricken gebunden, sagte, es wehren masquirte leütte in seine cammer kommen, die hätten ihm alles gestohlen, waß er in der welt hette, undt hetten ihn ahngebunden, hetten ihm [alles] biß auff seinen nachtsrock gestollen. Man ließ den commissarius kommen undt[9] dießen bericht auffzusetzen, welches der auch that. Ein wenig hernach aber kammen nachts masquirte leütte in daß siminaire[10] undt mitt der pistol in der handt ließen sie sich gelt geben undt in den masquen [verlangten sie], daß man sie hofflich biß ahn die haußthür begleytten solte, oder sie würden sie alle umbkommen[11]; sie haben sie biß ahn die haußthür gar hofflich begleydt. Dieße arme leütte seindt 5 mahl so bestohlen worden. Aber wie unßer herrgott selten so große laster ungestrafft läst undt alles seine zeit hatt, so kam der abbé de la Motte undt fragt urlaub zu einen von seinen verwantten. Ein anderer, abbé de Montignie[12], so schlauer war, alß der supérieur, de Bisassies, undt Tiberge[s][13], der hatte ein mißtrawen auff dem jungen abt gefast; den er hatte durch ein fenster gesehen, daß der junge abbé de la Mott[e] selber ein schwer felleyßen getragen, ging dero[wegen] zu dem superieur undt fragte ihn, ob er woll sicher were, daß der abbé de la Motte so fromb, alß er i[h]n glaubte. Der superieur andtwortet: Gott wirdts Eüch nicht vergeben, dießen frommen h[eiligen] menschen zu soubconiren, er ist 2 jahr hir im hauß undt lebt wie ein h[eiliger]. Der abbé de Montignie sagte aber: Etwaß, daß mich ärgert, ist, daß ich ihn ein schwer felleyßen habe in die kutsch tragen sehen undt ein kerl, dem man alles gestohlen, waß er in der welt hatt, kann kein so schwer undt dick felleyßen haben. Der superieur filtz[te] den abbé de Montignie braff auß, daß piquirte dießen abbé, geht zum kutscher, befihlt ihn, alles woll zu examiniren, waß der abbé de la Motte sagen undt thun würde, er wolle ihn woll bezahlen. Nach ein par stunden kompt der kutscher wider, sagt, der junge abt hette über seine kleyder seinen nachtsrock ahngethan, hette sich a la rüe de Richelieu zu einem baigneur[14] [293] führen laßen, der hette zu ihm gesagt: Eh, bon Dieu, monsieur le chevallier, comme vous voila fait! Estes vous en masque? Der abbé hette geantwort: Paix, paix! Ne dittes mot! Je vous dires, pourquoy tout cela est. Der abbé de Montignie, nicht faul, alß er dießes vernohmen, geht zu dem comissaire undt führt ihn ahn daß hauß, fragte, ob der abbé de la Motte noch in dem hauß were. Der wirdt sagt, er kenne keinen abbé de la Motte, aber woll ein chevallier de la Motte, der were in die Stadt eßen undt spillen gangen, werde aber umb 1 uhr widerkommen nach mitter[nacht]. Der abbé de Montignie past auff; wie es ein uhr war, geht er wider zu dem baigneur undt fragt ihn: Monsieur le chevallier est il revenus? Der wirdt sagte: Il est revenus plus tost que je ne pensois, il est la haut dans sa chambre qui dort; il a deux bon[s] pistollets a ces costé[15]. Der abbé de Montigni undt der commissaire gehen gemach in die cammer, der abbé schlieff starck. Der abbé de Montignie geht auff ein[e]r seydt, der commissaire auff der andern undt nehmen gleich die pistollen, ruffen: Abbé de la Motte, reveilles vous! Wie er wacker wirdt undt sicht den comissarier[16] vor sich stehen, fragt er, waß er wolle. Der andtwort: Eüch in arest nehmen, den Ihr deücht nichts. Bey den mission[n]aire[s] seydt Ihr ein abbé undt faux devot undt hir seydt Ihr ein chevallier; da hengt Ewer[e] perucque d’abbé undt zwey schritt davor[17] Ewer galonirt kleydt undt lange perucque de chevallier. Vous m’aves accusses, qu’on vous a volles vostre robe de chambre et la voila sur le lit. Vous vous couches avec deux pistollets charges, a la marque que vous estes fripon. Allon[s], leves vous et me suives! J’ay un car[r]osse tout prest pour vous amener. Wie der schelm daß hört, sprang er auß dem bett, wurff sich auff die knie, sagte, man solte mitt seiner famillen mittleyden haben, er wolle alles wider ersetzen, waß er gestollen, gestandt, daß er mitt seinen freünden masquirt den seminaire bestohlen, sich selber ahm bett-stollen gebunden, damitt man ihn nicht soubconiren mag, hatt einen prister bestollen undt es mitt einem teütschen edelman getheilt, so von Churpfaltz hoff ist undt Wetzel heist. Beyde seindt nun gefangen; wie es weitter gehen wirdt, werde ich Eüch berichten. Liebe Louise, ich muß gestehen, [daß ich mich freue,] daß dießer heüchler undt [294] ertzschelm erdapt ist worden, den ich kan die heüchler vor meinen todt nicht leyden. Da bringt man mir Ewer paquet von Eüch, lieb[e] Louise! Daß von[18] monsieur le Fevre hab ich ihm gleich geschickt, logirt nahe hir bey. Heütte kan ich ohnmöglich auff dießes Ewer liebes schreiben andtwortten, werde es vor sambstag sparen. Ich bin recht matt von meinem grünen safft, muß also wieder willen eher schließen, alß ich es wünsch. Ich mogte woll vor die lange weill ein wenig wider kranck werden, den ich habe seyder zwey [tagen] den schnupen undt dießen abendt fang ich ahn, zu husten. Daß ist mir aber gar nichts neües zu Paris, erinere mich kein eintziges jahr im winter im Palais-Royal ohne husten gewest zu sein oder schnupen. Ich habe woll nicht gezweyfflet, daß es mir so gehen würde, aber ich frage wenig darnach. Es ist eben so gutt, den husten undt schnupen zu haben, gibt eine entschuldigung, umb weniger zu reden; also muß man sich allezeit trösten, so gutt man kan. O, da kommen ein hauffen damen herrein, ich muß wieder willen enden undt vor dißmahl nichts mehr sagen, alß wie ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 11. Dezember 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 290–294
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b2285.html
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