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Brief vom 20. März 1689

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


85.


[102]
Versaille den 20. Mertz 1689.
Seider kurzer zeit habe ich zwey gnädige schreiben von E. L. entpfangen, eines durch mons. de Gourville[1] vom 19/29. Januari undt eines durch die post vom 22. Febr./4. Mertz. Ich hette billig dieße beyde brieff zuvor kommen sollen undt E. L. eher auffgewartet haben, allein wenn E. L. sehen solten, in welchem standt ich bin, so würden sie es woll nicht in ungnaden auffnehmen. E. L. wißen woll, daß ich nichts ungerners thue alß lamentiren; undt alebenwohl wenn man so trawerig ist, alß ich leyder seyder eine lange zeit her bin, kein man sich deßen schwerlich enthalten, undt weß das hertz voll ist, geht der mundt leicht über. Mir kompt die trawerigkeit noch schwerer ahn alß ein anders, denn mein hertzlieb ma tante weiß woll, daß ich es nicht von natur bin, allein wenn einen das unglück so auff allen seiten überheüfft, kan man doch nicht laßen, solches zu entpfinden. Kaum hatte ich mich über des armen Carllutz todt ein wenig erholt, so ist das [103] erschreckliche undt erbärmliche ellendt in der armen pfaltz ahngangen, undt waß mich ahm meisten daran schmertzt, ist, daß man sich meines nahmens gebraucht, umb die arme leütte ins eüßerste unglück zu stürtzen[2], undt wenn ich darüber schreye, weiß man mirs gar großen undanck undt man protzt mir mit drüber. Solte man mir aber das leben darüber nehmen wollen, so kan ich doch nicht laßen zu bedauern undt zu beweinen, daß ich so zu sagen meines vatterlandts untergang bin undt über daß alle des Churfürstens meines herrn vatter seeligen sorge undt mühe auff einmahl so über einen hauffen geworffen zu sehen ahn dem armen Manheim. Ja ich habe einen solchen abschew vor alles so man abgesprengt hatt, daß alle nacht, sodaldt ich ein wenig einschlaffe, deücht mir, ich sey zu Heydelberg oder zu Manheim undt sehe alle die verwüstung, undt dann fahr ich im schlaff auff undt kan in 2 gantzer stunden nicht wider einschlaffen; dan kompt mir in sinn, wie alles zu meiner zeit war, in welchem standt es nun ist, ja in welchem standt ich selber bin, undt dan kan ich mich des flenens[3] nicht enthalten. Was mich noch schmertzlich ist, ist, daß der König just gewahrt[4] hatt, umb alles ins letzte ellendt zu bringen, biß ich vor Heydelberg undt Manheim gebetten; undt noch dazu nimbt man übel, daß ich betrübt drüber bin, aber ich kans warlich nicht laßen undt es ist mir unmöglich, daß ich mich diß alles erzellen kan. Ich habe auch woll gedacht, daß unßerer gutten Königin in Spanien todt[5] E. L. zu hertzen gehen würde; ich kans auch noch nicht verdauen, undt ob ich zwar nach dem exempel aller I. M. nahen undt hohen verwanten jetzt wider bey allen divertissementen bin, so komme ich doch eben so trawerig wider davon, alß ich dazu gangen bin, undt nichts kan mich divertiren von meiner unlust. …
Aber ich will E. L. nicht lenger mitt meinen melancholischen gedancken unterhalten undt von waß anders reden. E. L. werden ohne zweiffel all wißen, daß der König in Engellandt[6] nicht mehr hir ist. Alß ich von [104] I. M. abschidt nahm, befahlen sie mir, E. L. Dero compliment zu machen undt zu sagen, daß er jetzt so viel zu thun hette, daß er E. L. unmöglich schreiben könte. Wenn man den gutten König sicht undt spricht, jammert er einen zwar sehr, denn er scheint die gutheit selber zu sein, allein es kan einen nicht wunder nehmen, daß ihm widerfahren ist was wir jetzt sehen. Die Königin[7] aber scheindt viel verstandt zu haben undt gefehlt mir recht woll. Der printz de Gales[8] ist gar ein artig kint, gleicht gantz ahn die contrefait von dem verstorbenen König in Engellandt, sehr lebhafft undt hübsch von gesicht. Wer die beyde Könige[9] jetzt unterscheyden will, kan von dem printzen von Oranien sagen, daß er der König in Engellandt ist, unßerer aber ist der König auß Engellandt. …
P. S. Mitt E. L. gnädige erlaubnuß recomandire ich mich gehorsambst ahn oncle. Die Brandenbourgische troupen haben die Frantzoßen ein wenig gebutzt[10]; weß ich hirauff gedencke lest sich der feder nicht vertrawen, E. L. aber woll leicht errahten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 20. März 1689 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 102–104
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0085.html
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