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Brief vom 29. März 1696

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


235.


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Versaille den 29. Mertz 1696.
… Wolte Gott, man ließe meinen sohn bey der musiq, aber die junge leütte hir seindt anders sin[1] undt meinen, weillen sie jung sein, ist es eine absolute nohtwendigkeit, daß sie desbauchirt sein müßen, undt mein sohn meint, er könne nicht beßer thun alß andern exempel zu folgen. Ich kan nicht glauben, daß es des Königs eygener befehl geweßen, König Wilhelm zu ermorden[2], allein die von der conspiration mögen woll gedacht haben, wie in der commedie steht: assassiner est le plus sur. Daß König Wilhelm den ersten nicht hatt wollen glauben, erweist seine große hertzhafftigkeit undt hohes gemühte. König Jacob wirdt, wie man sagt, seinen sommer zu Boulogne zubringen. Es ist ein frantzöß schiff gejagt worden, aber nicht geschlagen, denn es hatt zu Calais eschouirt; ein edelman war capten von dem schiff, so meines beichtsvatter undt premier aumonier bruder ist. König Jacob ist noch nicht embarquirt geweßen …
Ich muß E. L. noch sagen, daß ein venetianischer capuciner zu Paris ist, so alle tag predigt undt mehr zuhörer hatt alß alle frantzösche prediger. Er ist des venetianischen abgesanten beichtsvatter. Vor etlichen tagen predigt er, man müste nicht langsam nach himel eylen, sprang schretlings auff die cantzel undt galopirt drauff wie die kinder auff einem stuhl. Er lest sich brieff auff die cantzel bringen undt sagt, sie weren von St. Jerome, der schreib ihm auß dem himmel, macht sie auff undt liest sie. Er soll gesagt haben, er wolle keine canaille in seine predigt haben, aber lautter leütte von qualitet; denen wolle er erlauben, ins opern, in die comedien zu gehen, wenn sie ihm nur versprechen wollen, quà quà quà im kopff zu behalten. Er macht gantz conversationen mitt allen patriarchen undt allen teüffeln, welche er alle mitt nahmen nent; auff einem endt der cantzel thut er seine fragen, auff der andern seydt thut er seine antwort mitt einem andern thon, wie Sosie im Amphitrion[3]. Man sagt, keine italliensche commedie seye possirlicher. Ich fürchte aber, nun es gar lautt worden, wirdt man ihm die cantzel verbietten … [241]
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 29. März 1696 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 240–241
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0235.html
Änderungsstand:
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