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Brief vom 4. April 1697

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


283.


[282]
St. Clou den 4. Aprill 1697.
Nachdem ich meine schuldigkeit bey unßerm Herrgott abgelegt (denn ich komme jetzt eben auß der pfarkirchen, wo ich das h. abendtmahl entpfangen), will ich nun meine schuldigkeit bey mein hertzlieb ma tante [283] verrichten, aber, Gott der allmächtige wolle mirs verzeyn, dieße schuldigkeit lege ich mitt mehrern vergnügen ab, alß die erste … Weill der Churfürst von Saxsen civil ist, so muß er sich noch des gutten C. A. Haxthausens[1] instructionen erineren. Wie I. L. hir waren, hatten sie eine artige taille, das gesicht aber war nicht ahngenehm, hatt gar einen großen mundt; er war schon sehr starck, er nahm ein groß lang undt schwer rohr undt hube es vorn ahm rohr mitt zwey finger von der erden auff, alß wenns ein stecknadel were; niemandt konte es ihm nachthun, nimbt mir also nicht wunder, daß er nun, da er mitt dem alter noch viel stärcker muß geworden sein, einen silbern teller rollen kan. Wenn die damen hir dießes Churfürsten perfection undt stercke gewust hetten, würden sie ihm greülich nachgeloffen sein … Wenn man unßern mausdreck[2] beschreiben solte, würde man meinen, es were das schönste mensch von der welt; sie hatt große augen, einen gar kleinen mundt, all hübsche zän, rotte undt weiße farben, mehr fett alß mager, einen schönen halß, hübsche händt undt arm, ist mehr groß alß klein, die naße nicht heßlich undt nie rodt. Dießes alles aber ist mitt einer solchen ohnahnnehmlichkeit besiegelt, daß es recht zu verwundern ist, denn die fetten backen seindt so hängendt, daß das mündtgen met verlöff recht wie ein arschlöchelchen zwischen zwei hinterbacken wirdt, die augen seindt zu langissant[3] undt mitt dem zitternden kopff meint man alß sie wirdt in die gichter fahlen; die figur vom leib ist gantz scheff, undt hatt gar eine unahngenehme sprach, denn sie spricht alß wenn sie das maul immer vol speichel hette. Ich muß ihr doch das zeugnuß geben, daß sie bißher nicht wie ihre schwestern ist undt nicht coquet, allein alle menschen glauben, sie hette eine rechte passion im hertzen; wenn das wahr ist, wirdt es woll einmahl außbrechen; die zeit wirdts lehren … Diß landt hir ältert einen baldt, ich könte nicht älter von humor in meinem 70. jahr sein, alß ichs nun schon bin. Man kan hir die inocente freüden nicht begreiffen, legt alles übel auß, das verletzt einen so, daß man in nichts mehr lust nehmen kan. Vielleicht wirdt graff Platten der junge undt seine fraw[4] es machen alß wie ein Helmstätter von geschlegt, so amptman zu Germersheim war: er war 80 jahr alt undt seine fraw 75, sie hatten eineinander, wie sie 20 jahr alt war undt er 25, auß lieb genohmen undt waren noch verliebt von einander, haben mich woll von hertzen lachen machen. Die fraw war taub undt der mann kam immer mitt einer großen reverentz zu ihr undt schrie ihr ins ohr, daß mans über zwey cammern weit hörte, meinte, er hette ihr waß heimblich gesagt, undt hießen einander immer mein hertz. Wenn es so lang wehrt, könte man es woll eternelles amours heißen; dieße exempel aber seindt gar rar. [284]
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 4. April 1697 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 282–284
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0283.html
Änderungsstand:
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