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Brief vom 2. Juli 1699

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


383.


[370]
Marly den 2. Julli 1699.
… Wenn ich von den außerwehlten were, hette ich die jagt in caleschen sehen können, ich bin aber nur im limbe[1], wo man von weittem die freüde des paradys höret undt nicht dabey ist. Gestern besuchte ich alle faveuren; ich ginge zur duchesse de Bourgogne undt von dar zur Maintenon, die fundt ich koniglich, sie saß ahn taffel in einer großen chaise à bras; Madlle de Charoloy[2], mons. le duc[3] seine zweyte dochter[4] undt made de Monchevreuille[5] aßen mitt sie undt saßen auff tabouretten. Man that mir die gnade undt brachte mir auch ein tabouret, ich versicherte aber, daß ich nicht müde war. Ich biß mich auff die zunge, hette schir gelacht. Dieße zeit ist different von der, da der König mich bitten kam, zu erlauben, daß mad. Scaron[6] mitt mir nur einmahl eßen mögte, nur umb mons. de Maine, so ein kint war, sein eßen zu schneyden. Solche reflectionen machen sehr moralisiren. Wenn der König im gartten spatziren geht, sitzt die dame in eine chaise à porteur, so man auff 4 räder gesetzt hatt, undt 4 kerl ziehen sie, undt der König geht wie ihr laquay nebenher undt jederman folgt zu fuß, die duchesse de Bourgogne geht vor der chaise her undt führt die contesse Dayen[7], der Maintenon niece, unter dem arm; sie heist sie ma soeur. Alles kompt mir hir vor wie die verkehrte welt, finde hir nichts schön alß [den[ ort. Aber das muß man gestehen, Marly ist admirabel; man kan keinen schönern gartten in der welt sehen noch mahlen, viel ahngenehmer alß der von Versaille. Es kost dem König auch ein gutt gelt undt kompt zum entrètien auff 700 000 franc. Überall seindt schöne statuen von marber undt so viel fontainen, daß mans schir nicht zehlen kan, undt auff allerhandt art. Ich spatzire alle abendt zwey gutter stundt, denn nun ich nicht reitten kan, thue ich doch zu fuß exercitzien. [371] Waß den brieff von Hipocrate[8] ahnbelangt, so glaube, daß man ihn nur auffgesetzt hatt, umb die gottheit zu persuadiren undt dadurch zu beweißen, daß eine religion sein müße undt desto näher zum glauben zu bringen, der nun hir im lande dermaßen erloschen ist, daß man schir keinen jungen menschen mehr sicht, so nicht athée sein will, aber was ahm poßirlichsten ist, ist, daß eben derselbe, so den athée zu Paris agirt, den devotten bey hoff spilt. Man pretendirt auch, daß alle die eygenmordt[9], so wir seyder eine zeit hero in so großer menge haben, von dem atheyisme kompt; man hatt den brieff in einem pompeusen discours beschrieben, damitt es desto ahngenehmer zu leßen sein möge. Vergangenen Montag hatt sich ein advocat zu Paris wider mitt einer pistol in seinem bett erschoßen. Er war ein bruder von einem devoten von profession, nehmblich mons. Dodar[10], so der printzes de Conti doctor ist; der advocat lag bey sein fraw im bett; vor tag stundt er auff; die fraw sagte: où allés vous donc; er sagte: j’ay entendu heurter à la porte. He bien, sagte die fraw, envoyons voir la servente qui c’est. Die magdt ging hin, fande nichts; die fraw sagte: vous voyés qu’il n’y a rien. Der mann legte sich wider zu bette; kurtz hernach stunde er wider auff; das weckte die fraw wider, die wurde ungedultig, sagte; à qui en avés vous donc cette nuit? Il n’y a pas moyen de dormir aupres de vous, stunde auff undt ging in eine andere cammer schlaffen. Gegen morgen hörte sie ein pistollenschuß in ihres manns cammer; sie wolte ’nein, funde die thür verschloßen, ließ sie mitt gewalt auffbrechen, funde den mann todt im bett undt hatte die pistol noch in der handt, hatte sich in die stirn geschoßen. Damitt ich aber wider auff E. L. gnädiges schreiben komme, so glaube ich schwehrlich, daß mich die mucken, insonderheit die schnacken, vor unßern Herrgott halten, denn wenn sie das meinten, würden sie mich nicht so bitter übel stechen, alß sie thun. Wenn es bey einem stünde, fröllich zu sein, hette Salomon groß recht, man kan aber leyder nicht fröllich sein, wenn man gern wolte, undt waß unß umringt, muß zur frölligkeit helffen, sonst gehts nicht ahn, denn man kan nicht fröllig sein, wenn man sich gehast undt veracht sicht undt kein gelt hatt. Salomon war König undt sein eygen herr, undt gar ein reicher König; so kan man [372] leicht lustig sein, denn so kan man alle seine inclination folgen, aber bey andern leütten geht es nicht so ahn. Ich habe mich sowoll alß E. L. offt verwundert, daß die herrn geistlichen den prediger Salomon aprobirt haben. Mich deücht, die mode von den seelmeßen kompt sehr ab, ich höre nicht, daß viel drauff jetziger zeit spendirt wirdt. Ich sehe nicht, daß das fegfewer ein trost ist, contrario, hatt man woll genung gethan, umb die seligkeit hoffen zu können, so were es ja eine ungerechte sache, eine arme seel nach so viel hundert jahr leyden zu machen, finde die invention übel erdacht. Freyllich ist trost eine gabe Gottes, denn man sicht, daß es niemandes übeller geht alß die, so keinen trost schöpffen können …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 2. Juli 1699 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 370–372
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0383.html
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