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Brief vom 30. September 1699

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


393.


[379]
Fontainebleau den 30. Septemb. 1699.
… Herr Leibenitz hatt endtlich, wie ich sehe, die wolffenbüttelsche biblioteque quittirt undt ist wider zu E. L. kommen; da thut er woll ahn, denn er zu Wolffenbüttel woll niemandes finden wirdt von so ahngenehmer conversation alß E. L. … Der leutte wirdt abé Molanus[1] genung finden, so mitt andacht reliquen kommen sehen, mehr alß leütte, so vertrawen auff unßern Herrgott setzen. Ich were woll E. L. meinung undt sehe lieber das opera von Henerich dem Lewen[2] alß seine reliquen. Ich rede E. L. so wenig vom todt alß mir immer möglich ist, umb E. L. ahn die nicht zu erinren, so sie dadurch verlohren haben. Es ist woll wahr, daß, wenn man alles recht betracht, man nicht leugnen kan, daß Salomon recht hatt undt alles in der welt sehr eytel ist[3]. Die herrn prediger werden woll sagen, daß die ruinen vom götzentempel zum scheüsall geblieben ist, Gottes tempel aber nicht, damitt wir selber ein tempel Gottes mögen bleiben undt Gott im hertzen behalten; allein ich glaube, daß Gott allein weiß, worumb eins undt anders geschicht, undt wenn ichs schon ergrübellen wolte, würde ich nur meine eygene fantasey finden, den rechten grundt aber nicht, dencke also nicht dran. … Ich kan des Keyßers undt der Keyßerin einfalt nicht genung bewundern mitt ihrem patter Marc Daviano[4]; er war doch ambitieux undt hatte gern, daß man ihn vor einen heylligen ahnsahe. Etliche frantzösche officir seindt ihm auß curiositet gefolgt, die haben meinem sohn verzehlt, daß, ich weiß nicht mehr: wo, es geschehen, [daß] dießer patter mitt einer ernstlichen stim lahmen befohlen, die krücken weg zu werffen; ein armer teüffel that es undt wolte gehen, meinte, er were geheilt, fiehl aber auffs gesicht [380] undt hette sich schir die naß zerbrochen; der patter straffte ihn undt sagte, der glaube hette ihm gefehlt. Er soll andere bestochen haben, so sich lahm ahngestelt undt hernach gethan, alß wenn sie auffs patters segen gesundt weren worden. Dieße fourberie kompt doch keinem gutten mann zu, wie man dießen patter beschrieben hatte. Die Frantzoßen haben hundert historien von dießem patter; E. L. können derowegen woll gedencken, wie der Keyßer undt die Keyßerin außgelacht werden, dießen mann vor einen heyligen zu halten … Der König hatt sein leben weder die bibel noch einige religionssach geleßen, denn er list ungern undt vertrawet sich in religionssachen in was die alte dame undt ihre gutte freünde, die bischöffe, ihm vorschwetzen, weitter weiß er gar nichts von der sach. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 30. September 1699 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 379–380
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0393.html
Änderungsstand:
Tintenfass