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Brief vom 16. Dezember 1699

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


399.


[384]
Paris den 16. December 1699.
… Ich kan mir woll einbilden, daß ein Churfürst zu sein gar nicht ohne ambaras ist, aber es ist doch ahngenehmer, zu befehlen alß zu gehorchen. Wolte Gott, oncle[1] hette sich mitt patte[2] verglichen ohne daß die zot von Harburg[3] in den accord gekommen were … Auß der gutten fraw von Harling brieffen sehe ich woll, daß ihr verstandt noch ist wie allezeit undt nicht geendert. Wenn man kinder gouvernirt, muß man immer [385] zörnen undt das gewondt ahns grittlich werden, also kein wunder, daß die gutte fraw von Harling es ist; zudem so ist die charge von E. L. schatzmeister auch nicht ohne mühe undt gritlichkeit, insonderheit wenn man so genereux wie E. L. ist und lieber außgiebt alß einnimbt. … Singt man zu Hannover denn im advent die lieder nicht mehr, so man vor dießem sunge? denn zu meiner zeit ginge kein advent vorbey ohne das liedt Nun kompt der heyden heylandt[4]; was mir aber allezeit ahm wunderlichsten vorkam, war, wenn wir diß folgende gesetz[5] sungen:
Nicht von mannsbludt noch vom fleisch,
allein von dem heyligen geist
ist gotts wordt worden ein mensch
undt blüht ein frucht weibes fleisch
.
Das hatt mir das gantze liedt behalten machen. Ich erinere mich mehr von waß ich in meiner kindtheit gehört undt gesehen, alß was vor 10 jahren vorgangen … Mich deücht, bey den Lutherischen ist es etwaß rares, music in der kirch zu haben, undt zu meiner zeit war keine, wir sungen all zusammen, wie E. L. in ihrer kirch thun. Mich deücht, es divertirt mehr, wenn man selber mitt singt, alß die schönste musicq. Wenn die engel im himmel die macht haben, menschliche stimmen undt figuren ahn sich zu nehmen, so ist es ihnen leicht, woll zu singen, allein ich zweyffle, daß sich unßer Herrgott viel ahn die musiq amusirt. Was Socratte sagt, warumb man Gott lieben solle, ist in meinem sinn recht woll geredt; Gott zu admiriren undt zu estimiren durch sein werck, das kan man schwerlich laßen, sobaldt man nur nachdenckt, aber Gott zu begreiffen, das kompt mir ohnmöglich vor. Es ist woll wahr, daß ein jeder Gott auff seine weiße adorirt, finde also eine große thorheit, daß man alle gemühter zwingen will, nur einen glauben zu haben. E. L. machens wie sanct Paulus es haben will: sie seindt ihres glaubens gewiß[6]
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 16. Dezember 1699 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 384–385
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0399.html
Änderungsstand:
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