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Brief vom 11. Februar 1700

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


406.


[393]
Versaille den 11. Februari 1700.
… Ich habe auch ein gar groß liederbuch; die gutte große madlle[1] hatt mir es vor ihrem todt gegeben, das amusirt sehr. Ahn feu Monsieur[2] sein hoff da waren viel, so verstandt hatten undt possirlich lieder machten. Es seindt leütte zu Paris, so 10 oder 12 große tomen von den alten liedern haben undt gar fleißig bewahren. In Franckreich kan man alle zeitten durch die lieder erkennen, denn alles wirdt gesungen, dadurch kan man die historien vom gantzen hoff beßer lernen, alß in den historienbücher, denn da flattirt man nur, aber in den liedern singen sie, wie es in der that hergeht, undt wie man durch die medaillen die römische historien beweist, so kan man hir im landt durch die lieder die rechte warheit erfahren, seindt also nicht so unnützlich, alß man meint … Die brieffe werden geöffnet, ehe sie in des Brousseau[3] hände kommen; was schadts, daß E. L. frey schreiben? Es geht denen, so unßere brieffe leßen, wie denen, so ahn der wandt laustern[4], von welchen das sprichwort sagt: Der lausterer ahn der wandt der hört sein eygen schandt[5]. Was man ahm übelsten in E. L. gnädigen schreiben finden wirdt, ist, daß sie mich lieb haben, denn das verzeyet man hir nicht. … Ich weiß nicht, auff welche seydt vom schloß E. L. nun zu Hannover logiren, ob sie noch sein, wo sie vor dießem waren, da man durch die presentz[6] undt vorkammer undt billiard in den hoff hinsahe, wo das althauß war, undt Dero kammer, wo E. L. bett war, auff die gaß sahe. Es war auch ein klein balcon vor E. L. fenster, wo blumenkrüg mitt jasmin undt mirten stunden; man hatt mich offt dort gemeßen. Oder ob E. L. logiren, wo ma tante Lisbet[7] vor dießem logirte, hinter Raisons[8] kammer, oder auff meiner seitten, wo ich logirte undt das frawenzimmer war zu meiner zeit, oder über pattes[9] kammer, so in den ersten hoff sicht, wo oncle Rupert[10] einmahl logirt hatt. E. L. sehen hirauß, daß ich das alte Hannover noch gantz außwendig weiß. E. L. haben mir einmahl gnädigst bericht, daß [394] das operahauß ist, wo mein heimblich gemach vor dießem war, undt weillen E. L. sagen, daß es de plain pied von ihrer cammer ist, so bildt ich mir ein, daß man E. L. apartement von meinem undt dem frawenzimmer gemacht hatt; das capucinercloster aber, wo der Churprintz logirt, bildt ich mir ein, daß es ist wo die schneyderey undt das althauß war im dritten hoff. … Was macht, daß der respect überal sehr abkompt, sindt zwey ursachen, erstlich weillen Msgr. nach nichts nicht fragt, undt so gemein man sich auch mitt ihm machen mag, findt er es nie übel, zum andern so ist das landtsknechtspiel auch viel schuldig dran, man will immer leütte haben, so gelt zusetzen können; die, die große qualiteten haben, seindt nicht die reichsten, man spilt also mitt allerhandt lumpenzeüg, wenn sie nur gelt haben. Alle weiber biß auff cammermagt erlaubt man à la rejouissance zu setzen; damitt die bleiben konnen, macht man sie sitzen; wenn die sitzen, können die weiber von qualitet nicht stehen, also sitzt alles ohne unterschied des ranges undt der qualitet; alles geht dan drunter undt drüber; die politesse hatt der König allein behalten, sonsten ist sie gantz vom hoff banisirt. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 11. Februar 1700 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 393–394
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0406.html
Änderungsstand:
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