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Marly den 7. April 1701.
E. L. werden auß meinen brieff vom Ostertag ersehen haben, daß das
kirchengehen unß gar nicht gefehlet hatt. Mich deücht, man hatt nichts in
der kirch zu thun, wenn man nicht singt, undt die zeit wirdt einem lang,
andere blärren zu hören; wenn man aber mitt blären kan, hört man die
andern nicht so viel undt vertreibt die zeit noch beßer. Übel kan es nicht
stehen, denn man geht ja nur in den reformirten undt lutherischen kirchen,
umb zu singen. Die menschen müßen woll persuadirt sein, daß das übelle
singen Gott gefelt, denn in allen religionen singt man unßerm Herrgott,
undt außer wenn es durch rechte musicanten geschicht, wie ins Königs meß,
sonsten geht es überall gar übel ab; insonderheit in den großen meßen da
ist ein gesang, daß man die ohren zuhalten mögt undt recht ungedultig über
die voyellen a e i o u wirdt, welche hundert undt hundert mahl repetirt
[werden], undt da soll doch unßer herr sehr charmirt von sein; ich habe alle
mühe, es zu glauben, denn voyellen zu singen kan nie von hertzen gehen;
man kan nicht ahn Gott dabey gedencken, undt ich glaube, daß die beste
devotion die ist, so von hertzen geht. Mich deücht, daß, wenn hertzog Max
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seines herrn vattern testament unterschreibt undt sich also seinem elsten herrn
brudern ergibt, daß dießer auch wirdt obligirt sein, ihm zu geben was in
des herrn vattern testament stehet; zudem so kans ja I. L. dem Churfürsten
nie keine ehre sein, seine herrn brüder darben zu laßen. Ich kan leicht
begreiffen, wie unahngenehm E. L. dieße sache sein muß, allein eben dieße
ursach solte I. L. den Churfürsten obligiren, nicht hart gegen seine herrn brüder
zu sein, undt weillen, was er darin nachlaßen kan, man etwan vor tendresse
vor seine herrn brüder oder vor E. L., seine fraw mutter, außlegen kan, so
kan es ihm nicht fehlen, reputirlich zu sein, denn ein gutt gemühte ist
allezeit lobenswehrt undt erwirbt gemeiniglich mehr lob alß die fierté, welche in
meinem sinn nur woll stehen kan, wenn es gegen mächtigere oder gantz unß
gleiche geschicht, aber nicht, wenns leütte sein, so von unß zu dependiren
haben, denn da mögte es anderst außgedeüttet werden undt man kan alßdenn
nicht recht wißen, ob es fierté oder kargheit ist. Diß solten I. L. der
Churfürst betrachten. … Man findt, daß mehr romanesque sachen, alß wie die
in den historien sein, vorgehen, denn man gibt immer politische ursachen
über was vorgeht in den historien, da doch offt die grösten bagatellen ahn
große evenements schuldig sein, alß zum exempel: der erste hollandische
krieg wirdt in den historien beschrieben alß wenn der König es auß
ambition undt, wie man hir sagt, soif de gloire ahngefangen, undt ich weiß,
daß selbiger krieg auß keiner andern ursach kommen ist, alß weillen der
printz Wilhelm, so jetzt cardinal von Fürstenberg ist, bey mons. de Lione
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seine fraw schlieff undt dießer doll über ihn war undt ihm alle händel
ahnmachte, wo der krieg hernach auß kommen ist. Wie der hollandische frieden
geschloßen, sagte jederman, der König gebe den Hollandern auß generositet
alle pletze wider, undt ich weiß, daß er ihnen alles accordirt, umb geschwindt
frieden zu haben undt wider her zu kommen, weillen er damahlen noch gar
verliebt von der Montespan war. Das seindt ja alle romanesque avanture
undt wahr, undt was in den historien davon stehet ist kein wort wahr,
also deücht mir, man sicht den lebenslauff mehr in den romans alß in den
historien, nur der unterschiedt, daß es noch ehrlicher in den großen romans
zugeht alß in der welt jetzt …