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Brief vom 19. April 1701

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


450.


[435]
Versaille den 19. April 1701.
… Der König hengt mehr alß nie ahn seine zot; Msgr.[1] fürcht seyder sein accident, einem schlaganfall, zu sterben, wirdt gantz nachdenckisch, hatt seiner commediantin[2] auffgesagt, gibt ihr 1000 pistollen pension [436] undt im jubillée soll sie die comedie quitiren, welches mir recht leydt ist, denn sie war eine excellente commediantin. Mons. le duc de Bourgogne’s humor soll alle tag wunderlicher werden. Der König in Spanien soll sein model vom Telemaque[3] nehmen undt man sagt hir, er habe es so offt geleßen, daß er es gantz imitiren will; mögte aber woll mitt der zeit in Spanien eine Minerve finden, so ihn gantz regiren wirdt. Monsieur ist, wie I. L. allezeit geweßen; so woll ich seine favoritten auch tractiren mag, so kan er sich doch nicht einbilden, daß ich ihnen keine böße officien beym König leisten würde, wenn ich in gnaden were, undt ob er mir zwar gutte wortte gibt undt in aparentz woll mitt mir lebt, so mag er mich doch in der that nicht leyden, undt bey dem König tregt er mich eben so übel ahn, alß die fraw zot. Mein sohn hatt eine verblendung, die unglaublich scheint, vor seine gemahlin, so wenig nach ihm fragt; er hatt verstandt undt sicht doch nicht was vorgeht; wenn sie nur nicht übel findt, daß er allezeit zu Paris ist undt dort ein doll leben führt, ist er schon content von ihr. Es ist schadt, daß er nicht ehrlich leütte genung umb sich hatt, so ihm sein ridicule vortragen, denn er hatt verstandt undt viel gutte sachen, die er so zu sagen dermaßen versteckt, daß man meinen solte, er were ein sot, welches er doch nicht ist, sondern nur zu sehr ahn sein plaisir gehafft, so ihm alles was raisonabel ist gantz negligiren macht. Monsieur le prince[4] schwärmbt offt undt denckt ahn nichts alß die in der faveur sein zu flatiren, die ihn doch offt außlachen; sein sohn, mons. le duc[5] hatt hertz, auch all hohe sentimenten undt [ist] nicht so voller basessen, wie sein herr vatter, aber seüfft sich alle tag voll undt ist recht brutal wie eine bestie. Seine gemahlin[6] hatt verstandt undt ist ahngenehm, weiß woll mitt ihrem herrn zu leben undt ihrer gantzen famillie, sie betrigt sie aber alle. Der printz de Conti[7], so vor dießem so sehr in Franckreich geliebt war, ist es schir gar nicht mehr, er hatt noch mehr lacheté alß sein vetter vor die faveur, ist dabey falsch undt unerhört karg; er ist sterbensverliebt in sein geschwey, mad. la duchesse[8]; vor dießem hatt sie ihn sehr lieb gehabt, es ist ihr aber vergangen. Ob er zwar so verliebt ist, so hinderts nicht, daß er auch danehben die pagen lieb hatt. Mons. du Maine[9] agirt den devotten jetzt, er hatt viel verstandt undt ist ahngenehm, wenn er will, allein er fliehet alle menschen, man sicht ihn schir nie; seine gemahlin[10] hatt einen wunderlichen humor, geht nie vor 4 morgendts zu bett, stehet umb 3 nachmittags auff, ißt gegen 4 zu mittag, gegen 12 zu nacht; ein gelehrter ist gar ihr gutter freündt, so [437] mr. de Malcieux[11] heist. Alß man zu mons. du Maine sagte, daß es ihm ein ridicule gebe, daß mr. de Malecieux im nachtsrock undt nachtskape zu mad. du Maine ginge, umb ihr die mathematique zu lehrnen, antwortete er: ne me parlés pas contre Malecieux, il maintien la paix dans ma maison. Der conte de Thoulouse[12] soll gar ein gutt gemühte haben, hatt aber wenig verstandt, soll sehr liberal sein. Die princes de Conti douariere[13] lest die zot weiß machen, daß sie kranck ist, durch ihren docktor, so der zot creatur, undt täglich braucht man ihr etwaß; sie dörrt auß wie ein holtz. Des printz de Conti gemahlin hatt vapeurs alß wenn sie närisch were. So ist die gantz maison Royalle beschaffen. Die duchesse de Bourgogne[14] hatt viel verstandt, allein sie ist, wie alle junge medger sein, denen man den freyen willen lest, nehmblich coquet undt wildt; were sie bey leütten, so sie hilten, wie sie gehalten solte sein, könte waß guts auß I. L. werden, ich förchte aber, wie man sie gewehren lest, daß viel histörger vor den tag kommen werden. Das ist alles was ich E. L. dißmahl durch dieße gutte gelegenheit sagen kan. Ich schicke E. L. ein à la mode schächtelgen, so zwar gar schlegt ist, aber nur zu weißen, wie die moden nun sein, da man keine schächtelger mehr tragen darff; E. L. können ihre nehenadeln drin thun. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 19. April 1701 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 435–437
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0450.html
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