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Brief vom 15. April 1703

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


521.


[062]
15. April [1703.][1]
… Wenn das freüllen Busch[2] so schön were, alß ihr bruder, nehme es mich nicht wunder. Es muß nicht wahr sein, daß der printz von Bareit auch umbkommen, sonsten were sein herr vatter[3] nicht so lustig bey seinem beylager geweßen. Zu meiner zeit waren die braudt undt breüdigam auff keine bäncke, stunden geradt vor dem pfarer. Die heürahten, so mitt lachen ahnfangen, seindt nicht allezeit die glücklichsten. Wir meinten unß aber kranck zu lachen, wie mons. le dauphin mitt made la dauphine zu Chalon zusamen geben wardt: die große madlle[4] war auff staffeln, der fuß glitzte I. L. undt sie fiel auff den cardinal de Bouillon, der sie zusamen geben wolte; der cardinal fiel auff mons. le dauphin undt made la dauphine, die weren auch gefallen, wenn der König nicht die arm außgestreckt hette undt alle erhalten. Sie fielen recht wie cartten. Damahl war ich noch dün undt leicht; ich fühlte, daß madlle auff mich fallen wolte, sprunge 4 staffeln auff einmahl herunder, drumb fiel sie auff den cardinal. Daß der breüdigam bey der hochzeitpredigt geschlaffen, kan ich ihm woll verzeyen, denn das kan man selten laßen. Es ist auch desto beßer vor die braudt, daß er keine ruhe mehr von nöhten gehabt hatt undt geschlaffen, ehe er nach bett gangen. Grawe haar stehen nicht woll im bette; ich habe den gutten König Jacob so gesehen, war nicht schön. Den gutten ehrlichen undt schönnen margraffen von Ahnspach beklage ich recht von hertzen; es ist woll schadt vor den schönnen herren, so jung zu sterben, er war noch kein 25 jahr alt. Ich kan meine [063] gutte undt lustige tage woll zehlen, sie kommen nicht zu offt. Wenn lustig sein in unßer wahl stunde, würde man mehr alte leütte sehen, alß man sicht. Ich bilde mir den alten Marcus[5] ein wie den verstorben duc de St. Aignan[6], der sprach auch immer in reimen undt machte ostereichsche reverentzen; er war nur 80 jahr alt, wie er starb, ich glaube aber, er würde über hundert jahr gelebt haben, wenn ihm nicht ein accident begegnet were. …
E. L. geben mir ein recht magnific undt über die maßen schön present, das ist ja woll danckens wehrt; das schöne pitschir ist von allen curieusen admirirt worden. Ich, die ich meinen herrn vatter undt fraw mutter so hertzlich geliebt, bin alß verwundert, wenn ich sehe, wie die kinder hir vor die eltern sein undt so gar nichts nach ihnen fragen; aber mich deücht, in Teütschlandt wirdt diß auch die mode nun. I. L. der Churfürst seindt doch jetz kein kindt mehr, wirdt doch 43 jahr alt im may werden. Ich bin wie E. L.: weiber sauffen zu sehen undt taback nehmen, wie nur gar zu viele hir thun, ist mir unleydtlich… Ich muß nun in die kirch…
Sontag den 15. April umb halb 7 abendts. Ich komme jetzt eben auß der kirch; es waren unerhört viel leütte in der capel, aber vom Königlichen hauß niemandts alß mons. le duc de Bourgogne undt ich… Seyder Marly habe ich nicht gejagt; ich bin gern allein in der calesch, dan darff ich mir den kopff nicht brechen, meine geselschafft zu entreteniren…
P. S. In dießem augenblick bringt man mir neüe lieder, so ich E. L. schicke[7]. [064]
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 15. April 1703 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 62–65
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0521.html
Änderungsstand:
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