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Brief vom 18. Mai 1703

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


522.


[064]
[18. Mai 1703.]
… [Meine hündchen][2] bemühen sich mehr, mir zu gefahlen, alß E. L. meinen, denn sie seindt jalous von einander; also erdenckt ein jedes waß, [065] umb beßer dran zu sein: Rachille setzt sich ordinarie hinter mich auff mein stuhl, Titti legt sich neben mir auff die taffel, wo ich schreibe; Mille Millette legt sich unter meinem rock auff die füße; Charmion, ihre mutter, schreydt biß man ihr einen stuhl neben mir setzt, worauff sie ligt; Charmante liegt auff der ander seytten auff meinem rock; Stabdille sitzt auff einem stuhl gegen mir über undt macht mir minen, undt die Charmille ligt unter meinem arm; undt so seindt sie schir den gantzen tag. Ich muß lachen, daß E. L. meine hündtger vor raisonabler halten alß die pietisten. Ich zweyffle, daß man innerlich eine freüde haben kan, so nicht eüßerlich scheindt, denn mich deücht, daß die augen es gleich ahn tag geben. Solte es aber wahr sein, daß viel schläge sie erfrewen können, so können sie leicht mehr freüde haben, alß andere leütte, denn das kan man eher bekommen alß waß guts. Der abbé Testu, deßen E. L. sich erinern undt welcher ein bel esprit ist, ist nicht der, so vom schlag gerührt worden undt wider courirt ist. Der arme abbé Testu, so Monsieur s[eelig] döchter precepter geweßen, ist punay[3], undt also hatt jemandes erdacht, den unterschiedt zwischen zweyen abbéen Testus [066] zu machen: den abbé, deßen E. L. sich erinern, l’abbé Testu zu heißen undt den precepter l’abbé Taytoy, weillen er so stinckt, wenn er spricht. Alleweil verzehlt man mir eine schöne action, so ein sergent in Ittallien gethan: er war mitt 8 grenadiers; ein parthie von printz Eugene ist auff ihn gefahlen; seine 8 grenadirer seindt bey ihm ertodtet worden, er ist alleine blieben, hatt sich braff gewehrt. Zu seinem glück kam eine frantzösche parthie dazu, die starcker war, undt haben den braven sergenten errett. Der König hatt ihn zum captein gemacht undt eine pension geben…
Man sagt hir, man wolle dem printz Eugene im Keyßerlichen raht nicht accordiren was er fordert, nehmblich gelt undt troupen, undt daß er gesagt, daß, wenn man ihm nicht gebe, was ihm nöhtig seye, so wolle er nicht wider in Ittallien; finde, daß er groß recht hirin hatt. E. L. seindt mir gar zu gnädig, glauben zu wollen, daß ich verstandt hette; allein ich fürchte, daß E. L. gnade vor mich sie gar zu avantageux von mir judiciren macht. Wenn ich auch gleich ein wenig verstandt gehabt hette, were er mir durch so manchen verdruß undt zwang, so ich hir außgestanden, verschlißen, undt auch wegen meiner so großen einsambkeit, welche alles verrost. Aber wenn mir nur noch verstandt genung bleiben kan, E. L. zu gefahlen, bin ich schon mitt zufrieden. Man wirdt hir auch die trawer vor die Ertzhertzogin tragen. Der nonce wirdt dem König brieff vom Keyßer undt Keyßerin überlieffern; dem Keyßer wirdt man also singen können alß wie man vor dießem dem letzt verstorbenen ertzbischoff von Paris gesungen, wie er ertzbischoff von Rouen[4] war:
Il fait ce qu’il deffend.
L’archevesque de Rouen
,
denn er verbiedt, nach Franckreich zu schreiben undt schreibt selber hin. Es sollen mehr catholische alß reformirte bey den fanatiquern[5] sein. Man rufft mich, ich muß in kirch, denn es ist heütte himmelfahrtstag; just vor 40 jahren war ich zu Clef[6]. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 18. Mai 1703 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 64–66
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0522.html
Änderungsstand:
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