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Brief vom 15. Februar 1705

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


563.


[099]
Versaille den 15. Februari 1705.
Man hatt mir E. L. gnädiges schreiben vom 3. Februaris tag auffgehalten, habe es erst gestern morgendts entpfangen; aber mein Gott mitt welchen schmertzen undt schrecken ersehe ich E. L. unglück[1] darin. Wolte Gott, [100] ich könte waß erdencken, so E. L. trösten könte, aber in ein solch unglück kan ich nichts anderst thun alß mich mitt E. L. zu betrüben undt mitt ihnen weinen, denn die liebe Königin s[eelig] hatt mir allezeit so viel gnadt undt freündtschafft erwießen, daß ich sie geliebt habe, alß wenn sie meine leibliche schwester were. Vor E. L. selber, ja vor der s[eeligen] Königin ist es beßer, daß E. L. sie nicht vor ihrem endt gesehen, denn sie hette nicht so ruhig sterben können, wenn E. L. dabey geweßen weren, undt E. L. hetten dieß abscheüliche spectacle nicht ohne sterben sehen können. Also sehen E. L. woll, daß, ob zwar Gott der allmächtige E. L. so gar hart heimgesucht, daß er sie, wo sie ahm entpfindlichsten waren, so zu sagen geschlagen, so will er doch E. L. noch conserviren, weillen er verhindert, daß E. L. sich nicht bey dießem unglück gefunden, welches E. L. doch nicht hetten wehren können, denn, wie E. L. woll wißen, so ist jedem seine stundt gezehlet. Die liebe s[eelige] Königin hatt es kurtz gemacht, aber I. M. haben glücklich gelebet undt seindt ruhig undt seelig verschieden. Was gar perfect ist wie dieße Königin war, bleibt selten lang auff erden. Diß jahr ist dieße kranckheit gar gefährlich, viell leütte sterben dran, drumb war mir gleich bang, wie E. L. mir schrieben, daß die liebe undt seelige Königin ein geschwer im halß hatte. Durch die schmertzen, so ich selber entpfinde, kan ich mir leicht einbilden, wie es deren herrn brüdern zu muhte ist; ich dachte aber nicht, daß der Churfürst von Braunsweig so tendre weren; ich habe ihn lieber drumb, sein gutt gemühte zu sehen. Wer solte mehr part nehmen alß ich in E. L. betrübtnuß. Ich bin noch in todesängsten vor E. L., denn nichts ist schlimmer vor den husten, alß viel weinen, undt das kan leyder nun nicht anderst sein. Es ist auch beßer, daß E. L. weinen, alß wenn sie die threnen einschluckten. Hette es bey mir stehen können, mein leben vor die liebe Königin zu laßen, hette ich es von grundt der seelen gern gethan, denn ob E. L. zwar betrübt über mich geweßen weren, so hette die liebe s[eelige] Königin E. L. doch baldt trösten können, welches ich leyder nicht thun kan in dießem unglück, denn was soll ich sagen? Daß E. L. alß eine Christin obligirt sein, vor Dero leben zu sorgen, das wißen E. L. so woll alß ich; mir ist auch Dero hoher geist undt standthafftiges gemühte genung bekandt, daß ich nicht zweyfflen kan, daß sie ihr bestes thun, aber die wundt rührt das hertz undt ist zu entpfindtlich, kan also nichts thun, alß Gott den allmächtigen bitten, E. L. beyzustehen; er hatt die wundt geben, er kan sie allein heyllen, in deßen schutz ich E. L. befehle.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 15. Februar 1705 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 99–100
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0563.html
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