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Brief vom 27. April 1705

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


571.


[105]
Marly den 27. April 1705.
… Muß E. L. nun sagen, wie ich gestern ma tante die fraw abtißin von Maubuison gefunden. I. L. sehen woll auß, finden auch gantz keine schmertzen, befinden sich woll, aber gehen gar übel, einen schenckel schleppen sie gantz; der verstandt ist gutt undt sehr net, stameln aber ein wenig im reden; wenn sie aber mehr reden, stameln sie nicht; sie eßen wenig. Sie hatt zwey schöne doguen, so das hauß verwahren; sie haben mich ahn meine kindtheit machen gedencken, denn sie gleichen gantz ahn die zwey große hundt, so oncle mir einmahl auß Flandern brachte[1] undt welche einen kleinen wagen zogen, womitt ich in der Ellerey[2] spatziren fuhre … Hir ist man bludtsserieux bey der taffel undt überall, wo man mitt dem König eßen muß. Die gravitet der princes des Ursin[3] schickt sich gar woll dazu; wir haben sie hir, sicht bitter übel auß, sie ist kranck, über das so hatt sie nun weder weiß noch rodt mehr ahn, das endert sehr. Von den ungrischen rebellen[4] habe ich seyderdem nicht gehört; die Camisairs[5] aber haben wollen wider ahnfangen, man hatt aber die radelsführer ertapt undt gleich gehenckt. Wir haben seyder vorgestern das schönste wetter von der weldt, auch ißt man schon hir grüne erbsen undt ertberen. Ich hoffe, daß es bey E. L. jetzt auch schön sein möge … [106] Der fürst von Anhalt[6] muß übel erzogen sein worden, daß er so brutal ist undt cruel dabey; es muß nach Helmonts meinung eine marockische seel in dießen printzen geflogen sein, denn das seindt rechte marockische maniren. Er muß seiner fraw mutter[7] ein groß hertzenleydt sein; das macht sie vielleicht so krancklich. Man sagt im sprichwordt: Jung gewondt, alt gethan[8]. Mich wundert, daß der König in Preussen ihm nicht zugesprochen undt verwießen, daß er so ein gar unfürstlich leben führt; es ist ja dem König selber eine schandt, so einen dollen vettern zu haben … Ich glaube nicht, daß das raisoniren andern verbotten ist, wie mir. Freylich will man nicht in der catholischen religion leyden, daß man raisonirt, undt der bischoff von Maroco[9] hatt recht zu sagen, wie man von der religion hir spricht, denn eben wie er E. L. gesagt, höre ich offt hir sagen, daß, weillen die religion mitt der vernunfft nicht zu begreiffen were, müste man alles glauben, was die kirch befehlt, ohne raisoniren, undt daß unßer Herrgott den glauben schwer [ge]macht hette, damitt man desto größer meritten hette, alles zu glauben undt dadurch den himel gewinnen. Daß ich nie raisoniren darff, wirdt mich nicht stum, aber woll thum[10] machen. Mich deücht, der verstandt ist wie ein meßer: wenn er nicht durch das raisoniren gewetzt wirdt, wirdt man stumpff undt thum. Was E. L. von unßerm König sagen, da werd ich nichts auff andtworten alß daß ich persuadirt bin, daß I. M. recht von hertzen devot sein undt nicht heüchlen; es ist aber schadt, daß man I. M. in der wahren christlichen religion nicht beßer unterwießen hatt. Mein confesseur were all raisonabel genung, wenn man ihn mitt frieden ließe undt nicht allezeit in den ohren lege, daß ich hugenot bin, denn, meint er, müße er mir waß ohnnöhtiges daher schwetzen, welches aber alß mitt dem endiget, daß ich nichts tadlen solle, was ich übel findt, noch von religion sprechen. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. April 1705 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 105–106
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0571.html
Änderungsstand:
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