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Brief vom 29. November 1705

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


590.


[120]
Versaille den 29. Novembre 1705.
Heütte werden E. L. ohne zweyffel singen[1]:
Nun kompt der hey-hey-den heyllandt.
Der jungfrawen kindt erkandt,
Deß sich wundert alle weldt,
Gott solch geburdt ihm bestelt
.
Das zweyte gesetz wirdt I. L. dem Churprintzen ahngenehme erinerungen geben, wenn I. L. singen werden: Der jungfraw leib schwanger wardt, weillen I. L. gemahlin jetzt schwanger ist … Ich werde E. L. baldt wider waß zu blättern schicken, denn ich habe alle statuen hir abreißen[2] laßen, so im gartten sein. Die fontainen seindt lengst in kupffer gestochen, die werde ich dazu thun, da werden E. L. denn auff wenigst mitt den augen in Versaillen spatziren können. Es ist alles magnifiq undt ahngenehm, wolte Gott, E. L. könten es sehen; mitt welchen freüden wolte ich meinen dicken bauch undt hintern herumb führen, E. L. alles schönnes hir zu weißen. Aber da darff ich mich leyder nicht auff spitzen … Ich bin alß fro, wenn ich höre, daß der herr Leibenitz bey E. L. ist; bey freüllen Pelnitz[3] habe ich E. L. nicht so gern, auß forcht, daß sie trawerige erinerungen verursachet. Ich kan nicht begreiffen, wo Louisse undt Amelisse[4] die große devotion auffgefischt haben; das war gar keine mode zu Heydelberg; es muß, wie ich schon einmahl gesagt, vom cassellischen hoff kommen. Unßer herr Christus befiehlt ja selber, daß man kurtze gebett machen soll[5], drumb hatt er ja seinen jüngern das Vatter unßer gelernt … Ich finde recht impertinent von den pfarer zu Wolffenbüttel, ihrem herrn wehren zu wollen, seines sohns dochter woll zu verheürahten[6]; pfaffen wollen allezeit überall herrschen, wenn man sie gewehren lest … Solte die, so made Colone[7] zweyten sohn geheüraht, in der that oncles s[eelig] tochter sein, so were sehr zu befürchten, daß schwester undt bruder mitt einander mögten geheüraht sein, denn, wie man mir gesagt, so ist oncle auch verliebt von der connestable geweßen, wie I. L. zu Rom waren[8] … Hertzog Anthon Ulrich hatt mir geschrieben, er macht mir eine [121] große undt lange entschuldigung, weßwegen die Octavia noch nicht gantz fertig geworden, schreibt, wie seine theologen sich ihm widersetzt in seines enckels heüraht, hernach sagt er mitt dießen wortten: Die vereinigung in unßerm hauß suchet man hannoverischer seytten jetzt sehr, ich meines ohrts werde es an nichts, so bey den nachkommen verantwortlich sein wirdt, ermanglen laßen, undt solches umb so viel lieber, umb die höchstwehrte geselschafft von E. K. H. tante herwider dadurch zu genießen, deren ich nun so viele jahre müßen beraubet leben. Hirauß sehen E. L., wie leydt es dem gutten herrn ist, E. L. nicht gesehen zu haben.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 29. November 1705 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 120–121
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0590.html
Änderungsstand:
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