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Brief vom 11. September 1707

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


642.


[165]
Versaille den 11. Septembre 1707.
Nun komme ich, abschiedt von E. L. zu nehmen von Versaille, denn morgen brechen wir hir auff, umb nach Fontainebleau zu reißen. Wir werden nicht in einem tag hin, sondern à Petitbourg schlaffen, welches ein hauß ist, so die arme made de Montespan ihrem sohn, mons. Dantin[1], geben hatt undt recht artig ist; in dem gartten ist eine lange allée lengst der Seine wie zu St. Clou … Das liedt gegen Tesse[2] hatt glück gebracht, denn er ist nicht geschwinder von Barcelonne weg[3], alß der hertzog von Savoye von Toullon[4]. Nein, es waren keine Teütschen allein, so so übel in Provence gehaust: alle des hertzogs troupen habens gethan in seinem beysein, welches ahm meisten verwundert hatt, soll auch 3 nonen von den artigsten auff die schiff geschickt haben, damitt sie dorten auch ihr theil davon haben mögten, welches greülich ärgernuß geben hatt.
Die fraw von Rotzenhaussen[5] ist heütte in der betrübtnuß, morgen wirdt sie mich quittiren undt biß Sambstag von Paris durch Lotteringen wider zu ihren kindern undt kindtskindern nach Strasburg. Ich habe ihr von dem studenten gesprochen, so durch inspiration gepredigt hatt; sie hatt [166] ihn gar woll gekandt, sagt, daß es ein gar raisonabler feiner mann ist, hatt ihn offt im hauß gehabt; die andere pfarer aber hetten ihn gehast undt derowegen so verfolgt. Es seindt noch viel von made Guion[6] secte vorhanden hir bey hoff, sie halten es aber gar geheim. …
Es ist ein westphalischer edelman zu mir kommen, so page bey den graffen von der Lippe ist erzogen worden, sein vatter ist in brandenburgischen dinsten lang geweßen, war commandant zu Minden, sein nahm ist Kourtz, er hatt dem König in Schweden gedint vor dragoner captein undt ist von den Moscowitter gefangen worden. Er plaudert braff ins gelach ’nein undt verzehlt, daß die Moscowiter die schmutzichste leütte von der welt sein, freßen wie die seü undt tragen ihre hembter biß sie verschlißen sein, tragen nur eins, wenn diß verschlißen, laßen sie ein anders machen, gehen aber 3 mahl die woche in die badtstuben. Wenn sie aber in vollem schweiß sein, werffen sie sich in schnee oder kalt waßer, undt von dar wider in die heiße badtstuben; schlaffen in peltzen ohne leytucher. Der Zaar hatt selber nur eine banck, da er auff ligt, rolt sein just au corps zusamen, das dint ihm zum pulffen oder haubtkißen, undt schlefft ohne decke, nur ein peltz über sich. Er sagt, es were kein eintzige fraw in gantz Moscau, so nicht geschminckt sey; es seye eine schminck, so der haut nicht schadt, sondern rein helt; es wehrt 8 tag undt man kans gar nicht sehen, daß die haut geschminckt ist. Ich dacht in meinem sinn, man kan darauff nicht sagen wie in dem Empereur de la lune[7]: c’est tout comme icy. Ich müste gar zu lang plaudern, wenn ich E. L. alles verzehlen solte, so mir der Kourtz verzehlt hatt, muß nur noch sagen, daß der Czaar eine taxe auff alle knebelbart gelegt; die sie nicht abschneyden wollen, müßen des jahrs 2 thaller geben; soll ein unerhört gelt davon gezogen haben. Dießer mensch sagt, daß sich der Czaar gar zu gemein mitt knechten macht; er leydt, daß, wenn er ißt, daß sie hinter ihm in die schüßeln greiffen undt stucker fleisch auß den schüßeln mitt den handen ziehen, sogleich drin beißen. Er wolte ihn auch so mitt eßen machen, er sagte aber, daß er keinen hunger hette, denn es ekelte ihn wie sie aßen. …
Ich hatte mir das Salsdal[8] nicht so groß eingebildt, alß ich sehe, daß es ist. Ich erinere mich, die beschreibung von der hochzeit von dem Pfalzgraff mitt der printzes von Lotteringen sambt allen tourniren zu Heydelberg in der bibliotec gesehen zu haben, das beylager undt alle die fest, so man auff des Königs, E. L. herr vatter, beylager gehalten, war auch in demselben buch, undt stundt drin, daß hundert taffeln im dicken thurm gedeckt waren. Ahn den armen dicken thurm darff ich nicht mehr gedencken.
[167] Wie ist es möglich, daß eine Keyßerin, so schon 52 jahr in der welt ist, so gar einfaltig, wie dieße[9] sein kan: zu glauben, daß sie unßern Herrgott, von dem wir alles haben, dem wir undt alles was in der welt ist zugehört, beschencken können undt daß er nach bijoux oder edelgestein was fragt, oder die heyligen, so ja nichts mehr von nohten haben? Das kompt mir bludtsalbern vor, wie auch das continuirliche betten in der kutzsch. Die Keyßerin muß vergeßen haben, daß unßer herr Christus selber sagt, daß man nicht viel worte machen solle wie die heyden, noch vor sich posaunen laßen, wenn man almosen gibt, undt dieße almosen undt opffer, wie sie es heißen, geschicht mitt paucken undt trompetten, also gegen Gottes wort …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 11. September 1707 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 165–167
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0642.html
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