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Brief vom 23. September 1708

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


671.


[191]
Versaille den 23. September 1708.
… Man sagt, was ich glaube, daß alle abendt mad. de Maintenon 5 oder 6 große paquetten von den hoffspionen bekompt, alwo man ihr rechnung gibt von alles was bey hoff vorgeht. Die spionen seindt leütte von qualitet, die haben unter sich schweitzer, so nur gebraucht werden, vor alle thüren zu gehen, umb zu sehen, wer auß undt ein geht undt wo die leütte hingehen undt welche fleisch fasttags eßen; das wirdt alles der damen auff ihr toilette gelegt, die den König davon unterhelt. Gestern sprach monsieur le dauphin mitt mir ahn taffel, welches I. L. lang nicht gethan hatten, verzehlten mir, wie sie ein neü schloß zu Meudon haben bawen laßen, das taffelwerck allein ihm auff 110 000 francken kompt, ohne den bau, so dreymahl so viel kost. Da bekümmern sich I. L. mehr umb alß was in Flandern vorgeht …
Es ist so ein starck wetter ahm himmel, daß ich mein popir nicht mehr sehen kan, man kan sagen wie das liedt:
Es blizet der himmel, es donnert undt braust.
Ich komme aber wider auff Berlin, da der junge Ohr E. L. viel von verzehlt hatt. Der König in Preüssen hette sich mitt den ceremonien vom rittersorden begnügen sollen, da kan ihm kein chagrin von kommen, aber vom heüraht mögte die reü woll baldt folgen. Das ist in meinem sinn ein doller einfahl, daß der König in Preüssen seinen hoff auff spanisch will ahnziehen laßen; das bedeütt ja nichts. Ich fürcht, es geht dem König wie das teütsche sprichwort sagt: Wenns der geiß zu woll ist, so geht sie auffs eyß undt bricht ein bein[1]. Der König in Preüssen mitt seinen ceremonien, wenn ichs sagen darff, kompt mir vor wie Perrin Dandin, wenn er alß [192] richten will[2]. Der cronprintz undt die cronprintzes hetten ceremonien erdencken sollen, ihn damitt zu occupiren, damitt er ahn keinen heüraht dencken solte. Man beschreibt mir die braut von dießem König von einem so gemeinen humor, daß das ausschlaffen ihr woll nicht gefallen kan. Ich fürcht, es wirdt greülich hapern, denn solche temperament laßen sich unmöglich zwingen …
Man muß zu Hannover viel heüßer abgebrochen haben, so jenseyt die Leine waren, gegen E. L. apartement über. Von grundt der seelen ist es mir leydt, daß ich die enderung von Hannover nicht sehen kan, noch E. L. dort auffwarten; es geht mir aber wie das frantzösche sprichwordt sagt: où la chevre est liée, il faut qu’elle broutte[3] … Der Hamerstein, dem man so viel stücker auß dem leib schneydt[4], muß von dem schorbock kranck sein, das wirdt jetzt hir im landt auch gar gemein. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. September 1708 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 191–192
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0671.html
Änderungsstand:
Tintenfass