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Brief vom 23. Mai 1709

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


694.


[213]
Versaille den 23. May 1709.
… Mein dochter schreibt mir, sie hetten brieff von Wien bekommen, worinen stunde, daß der König in Schweden einen pasport vom Keyßer gefordert, umb mitt dem rest von seiner armée durch Ungern kommen zu können, undt daß die Moscowitter ihn so erschrecklich geschlagen hetten, daß er nicht mehr alß 5000 mann von seiner armée überig hatt. Ich habe woll allezeit gedacht, daß das detrosniren vom Czaar nicht ahngehen würde. Es war in meinem sinn ein doller einfahl. Nun der Stanislaus[1] nicht mehr durch den König in Schweden kan erhalten werden, werden ihn die Poln woll gar absetzen; mich deücht, es were billig, König Augustus wider zu nehmen … Von meinem beichtsvatter[2] laß ich mir nichts weiß machen alß was billig zu meiner seeligkeit dinlich ist. Man heist hir patron, deren nahmen man führt, aber da habe ich nichts mitt zu thun; E. L. seindt meine eintzige patronin, von der habe ich allein guts undt gnaden entpfangen.
Wenn der brodtmangel undt hungersnoht zu starck hir wirdt, soll man vielleicht alle unnöhtige maüler wegjagen undt mich auch, dan will ich [214] zu E. L. lauffen, sie werden mir kein brodt manglen laßen. Wolte Gott, ich könte E. L. auch sagen, daß hir keine hungersnoht ist, aber es ist leyder nur zu wahr. Ahn obst ist nicht gelegen, wenn man nur brodt undt wein genung hatt; es ist nun das woll eine erbarmliche zeitt …
Es geht ein geschrey unter den galopins, das ist wie bey E. L. der holtzmarckt, daß die printzes des Ursins[3] mitt dem ambassadeur mons. Amelot[4] wider auß Spanien her wirdt kommen; ist es wahr, werden die Spanier woll hertzlich erfrewet sein, denn das weib ist erschrecklich gehast in Spanien, denn sie soll greülich viel gelt gezogen haben; sie hatt große pretentionen; wie das hir ablauffen wirdt, soll die zeit lehren …
Ich sagte noch letzt zu meinem beichtsvatter[5], so mir etwaß von den heylligen persuadiren wolte: ist es nöhtig zu glauben zur seeligkeit? so sagte er: nein. Da andtwortete ich: warumb wolt ihr mich denn ohnnöhtig plagen? Er sagte, es müste so sein, umb recht catholisch zu werden. Ich sagte: ihr seidt mein dritter beichtsvatter, zwey[6] haben meinen glauben recht gutt gefunden, warumb wolt ihr mir waß neües auffbinden? Er sagte, ich müste ihn vor einfältig halten, nicht glauben zu wollen wie er. Ich sagte: das ist eben meine große verwunderung, daß mitt verstandt ihr so albere sachen glauben könt, die allein dem gemeinen popel zukommen; die aufferzucht undt impression von ewern amen[7] muß eine große macht über eüch haben, eher märger zu glauben, so man von den heyligen verzehlt, alß Gottes wort, so eüch so expresse verbiedt, keine bilder zu machen undt ahnzubetten undt ein ander vertrawen, alß auff seinen eintzigen sohn zu haben. Wenn Gott gewollt hette, daß wir unßer vertrawen auff die heyligen setzen solten, hette ers unß befohlen; das kont ihr mir aber nicht beweißen, also werde ich meine andacht nicht endern. Es ist gutt vor die, so nicht beßer wißen, aber ich, die beßer weiß, laß mich nichts weiß machen. Da kamen leütte undt verstohrten die conversation; es ist also dabey geblieben. Ich gestehe, ich kan nicht begreifen, wie ein raisonabel mensch so viel albere sachen glauben kan. Die Keyßerin[8], des Keyßers fraw mutter, muß einen wunderlichen glauben haben; es ist possirlich, daß sie sich so gar unnöhtig die discipline giebt. Es geht mir wie E. L., es kompt mir gantz heßlich vor: es ist kein vexirerey, auff erbsen knien, sie könte sich recht lahm machen. Sie muß eine schlechte opinion von der Gottheit [haben], zu glauben, daß der allweiße allmachtige Gott solche albere sachen von ihr fordert …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. Mai 1709 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 213–214
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0694.html
Änderungsstand:
Tintenfass