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Brief vom 28. September 1709

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


708.


[228]
Versaille den 28. Sept. 1709.
… Weillen dießes eine sichere gelegenheit ist undt nicht durch die post geht, will ich E. L. etlich lieder schicken, so ich glaube, daß sie noch nicht haben. Es ist recht wahr, daß alles noht umb dießer damen[1] willen leydt, aber was ich recht poßirlich in dießer sachen findt, ist, daß dieß weib, damitt der König alles gutt heist, ihm part von ihrem gewinst gibt, undt der duchesse de Bourgogne auch; unterdeßen bekompt kein mensch gelt, wir werden nur mitt assignationen bezahlt; das ist nur papir undt da muß man nach lauffen also, daß, was man zum exempel heütte bekommen solte, das wirdt durch die assignation auff 3, 4 oder woll 5 mont außgestelt, undt denn hatt man noch mühe, solches zu bekommen. So eine ellende zeit, wie es nun ist, ist nicht außzusprechen; die hungersnoht ist so erschrecklich, daß man ahn allen enden leütte recht von hunger niederfahlen undt sterben sicht, überall ist klag undt jammer von den grösten biß auff den kleinsten …
Der gantze hoff ist voller intriguen, etliche, umb sich bey der mächtigen damen in gnaden zu setzen, andere bey mons. le dauphin, andere bey dem duc de Bourgogne, denn der duc de Bourgogne undt sein herr vatter haben einander gar nicht lieb; der sohn veracht den herr vatter, ist ambitieux undt will regiren; der dauphin lest sich gantz von seiner bastardschwester, mad. la duchesse[2], regiren; die princes de Conti[3] hatt sich mitt mad. la duchesse vereinigt, umb mons. le dauphin nicht gantz zu verliehren; alle sein gegen meinen sohn, fürchten, er mögte bey dem König in gnaden kommen undt machen, daß sein elste dochter[4] den duc de Bery bekompt, den wolte die duchesse gern vor ihre dochter haben, drumb zicht sie den duc de Bery auch ahn sich; die duchesse de Bourgogne aber, so auch gern mons. le dauphin sowoll alß den König regiren wolte, ist jalous von mad. la duchesse, derowegen hatt sie freündtschafft mitt unßere mad. d’Orleans[5] gemacht, umb die duchesse zu contrecariren. Das ist ein poßirlich spielwerck [229] durch einander undt könte ich wie das liedt sagen: si on ne mouroit pas de faim, il en faudroit mourir de rire. Die alte hetzt alle die unter einander, umb desto beßer zu regiren. Ich bin von keiner intrigue, ich gehe meinen geraden weg fort undt laße sie machen, wie es ihnen gefelt; ich lebe so hofflich alß ich kan mitt allen undt trawe auff keines, denn sie haßen mich alle, absonderlich aber die duchesse de Bourgogne. Ich glaube undt es scheindt so, daß, wer mich ahm wenigsten haßt, das ist unßer König, undt die mich ahm meisten haßt, das ist die Maintenon. Von meinem sohn sage ich nichts, denn ich habe E. L. schon vergangen Donnerstag von ihm geschrieben; der König hatt recht inclination vor ihn; könte er über sich bringen, sich ein wenig zu zwingen undt bey dem König zu bleiben, er würde beßer in gnaden [sein], alß alle des Königs kinder selber, aber er kan sich nicht zwingen, eine eintzige woche hir zu bleiben undt steckt alß bey schlimmer compagnie. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 28. September 1709 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 228–229
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0708.html
Änderungsstand:
Tintenfass