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Brief vom 5. Januar 1710

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


716.


[234]
Versaille den 5. Januari 1710.
… Ich muß E. L. etwaß verzehlen, so mich zwar jammert, ich wolte aber nicht, daß es nicht geschehen were, nehmblich daß mein sohn mitt sein braun schätzgen[1] endtlich von sich selber gebrochen hatt undt sie nicht mehr sehen wirdt. Es kost ihm thewer, denn er hatt sie noch lieb, aber er hatt die gröste ursach von der welt, mitt ihr zu brechen, denn erstlich so war sie abscheülich interessirt, er kont ihr nie genung geben, zum andern so tractirt sie ihn wie einen sclaven, schildt ihn auß mitt den gröbsten wörttern, die keinem hundtsbuben zukommen; sie stieß ihn mitt füßen undt er muste so soumis sein, daß er alles auff den geringsten wunck verlaßen muste undt kommen auffwarten; er dorffte nichts thun ohne ihr urlaub. Wenn er jemandts von seinen leütten waß versprochen undt er nicht durch ihren canal gangen, zwang sie meinen sohn, es von ihren creaturen zu geben. Sie war in allem sehr insolent; ihr sohn müste köstlicher in allem gehalten werden, alß der duc [235] de Chartre, oder mein sohn wurde außgemacht; sie brachte ihn in die schlimbste compagnien von der welt von lautter huren undt buben met verlöff; er dorffte sonst mitt niemandts umbgehen. Gantz Paris war scandalisirt drüber. Mein sohn war über dieß dolle leben gantz mitt dem König brouillirt, also umb des Königs gnadt wider zu erlangen, hatt er gebrochen undt wirdt sie nicht mehr sehen. Ich finde, daß mein sohn mehr zu loben ist, die macht über sich selber gehabt zu haben, alß wenn er eine schlagt gewohnen hette, denn man gibt keine schlagt allein undt die andern können so woll part ahn den gewinst von einer schlagt haben, alß der general, aber seine eigene passionen zu dämpffen, da hatt man allein die ehre von undt ist schwerer alß alles was man auch in der welt thun mag. … Man kan meinem sohn singen, wie im opera von Rollandt[2] stehet:
Sortés pour jamais en ce jour
Des liens honteux de l’amour
etc.
Mein sohns braun undt gritlich schätzgen ist gestern morgendts weg zu ihrem vatter, wo sie gar woll wirdt leben können, denn mein sohn lest ihr die 42 000 livres des jahr, so er ihr geben hatt; alle mannsleütte seindt vor meinen sohn undt alle damen gegen ihn; das exempel, daß[3] man seine metres willig quittirt, mißfelt den damen sehr … Ich dachte gestern, wie ich den hoff beysammen sahe, gantz in ordnung, daß es woll zu wünschen were, daß die alten maniren wider auffkommen mögten. Wenn I. L. der Churprintz gegen den hoff were, könte man sagen, es kompt ihm von einer bößen seytten her; aber I. L. der Churfürst von Braunsweig, der so gar woll gebohren ist, wo hatt er auffgefischt, daß er nicht gebohren ist, einen hoff zu halten? Ein Churfürst ist ja kein bürger. Andere leütte haben mirs schon gesagt, daß E. L. allein das ornement undt der standt vom gantzen churbraunsweigschen hoff sein. Man weiß woll, daß der Churfürst viel verstandt hatt, drumb verdrist es einen ahm meisten, wenn I. L. nicht reden wollen; sie haben daneben auch gar verachtliche minen, daß man meinen solte, von ihm gehast zu sein, undt das macht die leütte scheü, mitt ihm zu reden …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 5. Januar 1710 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 234–235
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0716.html
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