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Brief vom 9. März 1710

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


721.


[240]
Versaille den 9. Mertz 1710.
… Es ist gewiß, daß es der Czaar weit bringt; vor ihm wuste man kaum, was Moscovien war, undt nun hört man von nichts anderst. Die printzen müßen wollfeil in dem landt sein, daß man envoyés auß ihnen macht. Dießer Czaar ist jung genung, umb einmahl gantz Teütschlandt überrompeln zu können. Mich deücht, der Czaar hette den alten Moscowittern woll erlauben können, ihre tracht zu behalten undt ihre bart, undt nur die jungen endern; ich finde der Moscowitter kleyder schönner alß die frantzösche; alle lange röck stehen majestätischer undt geben beßere minen, alß die frantzösche tracht; daß sie aber das brandewein sauffen abgeschafft haben, da haben sie woll ahn gethan … Der Czaar hatt ursach, seinem sohn nicht ahm besten zu trawen, weillen dießer ja in seiner kindtheit schon gegen seinen herrn vatter rebellirt hatt. E. L. erinern sich woll der artigen historie, wie ihn sein herr vatter wolte umbbringen laßen undt ein großer moscowittischer herr die sach auff sich nahm, darnach wider kam undt dem Czaar versichert, daß die sach geschehen seye, da hette es dem Czaar gerewet undt hette bitterlich über seines sohns todt geweint. Wie aber der große moscowittische herr gesehen, daß die rew rechter ernst war, hette er dem Czaar seinen printzen wider gebracht, welches eine große freüde verursachet[1]. Der [241] Czaar mag woll fro sein, daß er lebt, aber das vertrawen kompt nicht so baldt wider.
Haben E. L. die memoires nicht gesehen von made de Nemour[2]? Man verkaufft sie zu Paris, sollen aber zu Cöln gedruckt sein. Sie seindt recht artig; alle leütte von qualitet, da sie von spricht, habe ich gesehen außer den printz de Conti. Ich bin gewiß, daß E. L. diß buch divertiren würde. Ich weiß nicht, ob made de Nemour es in der that gemacht, hatt es aber jemandts in ihrem namen gemacht, so muß er sie woll gekendt haben, denn es ist gantz ihre art von reden. Diß buch handelt von la fronde undt die revolte von Paris; sie beschreibt alle leütte von der zeit recht possirlich, insonderheit den cardinal de Retz[3], undt ihre eygene stiefffrawmutter made de Longueville[4], denen gibt sie traits, so incomparables sein … Es ist mir leydt, daß E. L. über nichts unartiges mehr lachen wollen, denn das erhelt den humor lustig, undt lustig sein erhelt die gesundtheit undt das leben. Ich bin woll persuadirt, daß mein einschlaffen in der commedie nicht das einzige ist, womitt man mich außlacht, aber dieß mahl war es was ich gesagt.
Es ist kein wunder, daß der duc de Bery wie ein kindt ist, er spricht mitt keine raisonable leütte, ist tag undt nacht in der duchesse de Bourgogne kammer, wo er den damen vor cammerdinner dint: eine lest ihn ein disch hollen, die ander ihre arbeydt, die dritte gibt ihm ein andere commission; er stehet oder sitzt auff ein klein tabouret unterdeßen daß alle junge damen entweder in chaise à bras in escharpen liegen oder auff ein lit de respos (lotterbett solte ich sagen). Sein leben sicht man ihn nicht weder mitt generalspersonnen oder gelehrten sprechen; er thut nichts alß im balhauß spiellen, en vollant schießen, woll eßen undt drinken, den damen auffwarten, oder landtsknecht oder papillon[5] spiellen. Das ist sein gantzes leben; wie kan er da waß von lehrnen. Mad. la duchesse zicht ihn sehr ahn, ich glaube, sie wolte ihm gerne eine von ihren dochtern ahnhencken; ich wolte nicht schwehren, daß es nicht geschehen solte. Er weiß selber so wenig wer er ist, daß, wenn er jemandts findt, so mitt respect mitt ihm umbgeht, ist er gantz verstebert undt weiß sich nicht drin zu finden, meint schir, man spott mitt ihm.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. März 1710 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 240–241
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0721.html
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