Brief vom 22. Mai 1710

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Versaille den 22. May 1710.

… Thomas a Kempis, so der gutte hertzog von Braunsweig nun list^[1], wirdt sein was man hir l’imitation de Jesus Christ heist; alle menschen lobens so sehr, aber, die warheit zu bekenen, so kompt mir das dialogue von unßerm herrn Christus undt der seelen doll vor. Den apostellen kan ichs gutt halten, unßers herr Christus reden zu verzehlen, denn sie haben sie gehört, aber daß andere unßern herrn Christus mitt seelen wollen reden machen, das stehet mir gantz undt gar nicht ahn, habe es nie admiriren können. Das büchelgen de la religion des dames^[2] gefelt mir hundert mahl beßer. Ich wolte lieber, daß der gutte hertzog waß lustigers leßen wolte, denn das wirdt I. L. keine lustige idéen zu seinem großen Julius^[3] geben.
Wenn es nur dem Czaarwitz undt der printzes Charlotte nicht geht alß wie in Barons commedie^[4] stehet: ils ce^[5] sont trouvés si laids si laids, welches leicht geschehen könte, wenn anderst wahr ist, daß der Czaarwitz anterwertz verliebt ist. Der gutte hertzog scheindt dießen heüraht sehr zu wünschen, ich fürcht aber sehr, weillen dießer junge herr seines herrn vattern verstandt nicht hatt, daß noch ein rest von der rauigkeit der Moscowitter in ihm steckt undt daß princes Charlotte nicht glücklich mitt ihm sein wirdt …
Wie E. L. mir das capuciner closter beschreiben, muß es sein wo vor dießem das althauß war, wo ich der altfraw ihren mägten so mitt dem palester^[6] in hintern geschoßen hatte, welches ein großen lermen verursachet, so aber mitt einem thaller gestilt wurde. Das ist nun schon eine 50jahrige geschicht; mein Gott, wie geschwindt geht die zeit vorbey undt wie endert alles! …