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Brief vom 23. Dezember 1710

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


744.


[261]
Versaille den 23. December 1710.
Durch mons. Schulenburg will ich E. L. berichten, wie es nun hir stehet: der König ist mehr alß nie von seinem alten schätzgen charmiret, alles gehet durch sie undt alles geht, wie der alten dame taille ist, nehmblich scheff undt überzwerg; sie dencket ihre sache zu machen, zieht gelt von alles undt lehrnet das handtwerck der duchesse de Bourgogne, auch hatt sie alle secreten vom staat undt communicirt alles der duchesse de Bourgogne; drumb bleibt nichts heimblich. Mons. le dauphin ist immer verliebt von seiner Chouin[2], die er auch gar gewiß geheürahtet hatt. Dieße Chouin ist ein schlau mensch, will nie nach hoffe kommen, denn sie müste, wenn sie her käme, unter ihrer stieffschwigermutter ferule sein undt da hütet sie sich vor, weißet sich ahn niemandts, alß ahn die duchesse de Bourgogne undt ihre favoritten undt ahn made la duchesse[3], welche favoritin von mons. le dauphin ist. Es seindt große gnaden, wenn dieße mitt ihr eßen dürffen, undt das heißet man hir le parvulo. Das seindt secreten über secreten. Dieße Chouin hatt überall creaturen; der marechal d’Uxelles Albergotti, der conseiller d’estat mons, Bignon[4] das seindt ihre rahtsleütte auch. Mons. le duc de Bourgogne ist chef von den devotten, alß nehmblich seindt: der duc de Beauvilliers[5], duc de Chevreuse[6], mons. Do[7]. Dieße cabale [262] ist den anderen zweyen nicht gar geneigt, stehet offt gegen im raht; der gantze hoff ist in dieße drey cabalen zertheilt. Ich lebe gantz apart wie ein reichsstättel, lebe mitt jederman höfflich, ohne parthey zu nehmen, sehe dießem allen alß einer commedi zu. Wir haben auch eine commedi in unßerm hauß: mein sohn hatt eine solche passion (in allen ehren) vor seine dochter, daß sie ihn gouvernirt wie die Maintenon den König undt die Chouin den dauphin; meines sohns gemahlin aber, so interessirt undt ambitieux ist, auch intrigant, ist davon jaloux, dahehr auch dieße, nehmblich die duchesse de Bery, ihre fraw mutter gar nicht lieb hatt, eine trehet die andere au ridicule, welches auff beyden seytten possirlich zu höhren were, wenn es einen nicht so nahe ahngienge. Noch etwaß, das offt händel gibt, ist, daß die duchesse de Bourgogne die duchesse de Bery gar gouverniren will; dieße aber, so etwaß übel erzogen, will sich nicht gouverniren laßen, schnapt ab; aber da wirdt die andere böß undt filtzet sie auß; hatt auch nicht unrecht, denn mein enckel hatt ihr obligation, undt waß mein[8] geschweich[9] ihr sagt, ist nur vor ihr bestes, solte es also mitt danck ahnnehmen, aber es ist ein ungezogen kindt. Der duc de Bery, so seine gemahlin gar lieb hatt undt noch nicht weiß, waß ihm selber hirin dienlich, wardt gantz böß undt protzet, wenn man seine gemahlin filtzet. Das gibt also manche verwirrung.
Mein leben will ich E. L. ahnherzehlen: Montags undt Donnerstags stehe ich umb 8 uhr auff, die andern tage umb 9, bete undt wasche meine hände, ziehe mich hernach ahn. Ahn meine toillette kommen mannsleütte vom hoff, womitt ich spreche; umb 10 uhr gehe ich in mein cabinet, schreibe biß umb 12, da kommen alle meine leütte undt wer mich sonsten sehen will; ein virtel auff 1 gehe ich in die meße; höhrt mons. le dauphin die spate meß, gehe ich in die seine, höhrt er sie nicht, gehe ich in meine eygene. Das wehret nicht gar eine halbe stundt, also daß ich umb 1 wider komme, finde ordinari mein eßen auff der taffel, bin drey virtel stundt ahm eßen. Hernach ruhe ich eine halbe stundt allein in meinem cabinet, besehe kupfferstücke; etliche mahl kommen kremer, deren wahren ich besehe undt bißweillen etwaß kauffe; darnach setze ich mich. Sobaldt ich sitze, schlaff ich ein; das wehret woll ein stündtgen; hernach schreibe ich. In sommerzeit ich abendts spazire, im herbst gleich nach dem eßen. Alle Dinstag kommen die envoyés undt abgesandten hehr; die kommen immer, wenn ich ahn der toillette bin. Alle tag umb 8 oder 9 uhr kompt mein sohn undt etlichmahl seine gemahlin. Dan gehe ich ahns Königs taffel, wo ich warten muß, dieweill der König undt gantze königliche hauß bey mad. de Maintenon seyen. Dießes warten ist langweilich, denn es wehret offt lenger alß eine gutte virtelstundt. Gleich [263] nach dem nachteßen gehen wir alle ins Königs cammer, stehen da à la rangette[10], biß alle damen, so bey dem nachteßen auffgewarttet, sich rangiret haben; dan macht der König eine große reverentz, geht mitt dem gantzen königlichen hauß in sein cabinet, undt ich muß nach hauß. Ich habe vergeßen zu sagen, daß made de Chateautier[11] nie von mir gehet, arbeydtet den gantzen tag in meinem cabinet; gegen abendt kompt die marechalle de Clerembaut[12], dan ließet man unß waß vor. Ist die fraw von Ratsamhaussen da, arbeydtet sie auch undt blaudertt unß waß vor. Im winter nach Allerheyligen haben wir Montag, Mittwoch und Samstag commedi, wo ich hingehe; die übrigen tage spiellt man bey der duchesse de Bourgogne, da gehe ich nicht hin, denn ich spielle nicht. Zweymahl die woch fähret der König auff die jagt nach Marly; made de Maintenon fährt nicht auff die jagt, sondern nur nach Marly, mitt dem König, duchesse de Bourgogne, duchesse de Bery undt den damen, so mitt ihnen gejagt, zu mittag zu eßen. Drumb darff ich nicht mitt hin, denn sie mag mich weder wißen noch sehen. Ahn der taffel spricht der König kein ander wohrt, alß wenn er einem ahn der taffel gnad erweißen will, bietet er ihm zu eßen ahn, sagt: en voulés vous? In dem cabinet soll er noch offt gar lustig sein; das kompt aber nicht biß ahn mich; es gehen offt 3 oder 4 tage vorbey, daß mir der König kein eintzig wordt saget undt nur reverentzen macht, der dauphin auch, außer etliche mahl in den commedien, sonsten darff er mir auch kein eintzig wort sagen; muß wich damitt trösten, daß ich mehr wehrt muß sein, alß ich selber weiß undt meine, weillen man so jaloux vor mir ist; also suche ich mich in alles zu schicken.
Hir schicke ich E. L. ein albern buch, aber die große einfalt macht doch lachen. Ich soll entpfangen des jahrs[13] 450 000 livres oder 150 000 thaller; davon bekomme ich nur in meine hände 250 pistollen, macht ahn argent courant 1000 thaller des monts; das übrige bekompt der tresorier, der soll davon geben:
pour gage des officiers 89 760 livr.
argenterie so man zu hauß nöhtig 5 815 livr.
depense de l’écurie 58 958 livr.
gages de l’écurie 6 584 livr.
pensions 21 120 livr.
chamb. 117 488 livr.
Dieß alles mitt menus plaisirs 342 864 livr.
299 396 livr.
[264] Also sehen E. L., daß wenig übrig bleibt, denn es seindt viel außgaben, so hir nicht gerechnet seyen, undt die einnahme ist auch in der taht kleiner, denn meines sohns leütte haben unß betrogen undt alles höher geschätzet, alß ich es entpfangen, alß insonderheit die einkommen von Montargis undt Nemours[14].
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. Dezember 1710 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 261–264
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0744.html
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Tintenfass