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Brief vom 16. April 1711

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


755.


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Marly den 16. April 1711.
… Ich muß E. L. sagen, in welcher großer betrübtnuß gantz Franckreich undt wir alle hir sein durch den gantz unvermuthenen todtsfall von mons. le dauphin[1]. Ich habe E. L. schon vergangen Sontag gesagt, wie daß I. L. die kinderblattern hetten, daß sie aber woll außschlügen undt man die gutte hoffnung hette, daß I. L. gantz salvirt weren. Dieße hoffnung erhilte sich biß Dinstag morgendts, da der peuple von Paris, so mons. le dauphin auß der maßen geliebt haben, harangere[2] zu ihm schickte, die ambrassirten ihn undt sagten, sie wolten te Deum singen laßen; Mgr. antwordtete: il n’est pas encore temps, attandés, que je sois tout à fait [271] gueri. Selbigen tag fuhr ich nach Meudon, mich mitt dem König zu erfrewen, daß mons. le dauphin so woll war; ich kam umb 5 abendts ahn; weillen ich wuste, daß der König im raht war, spatzirte ich im gartten biß der raht auß war, da ging ich zum König, welcher mich gantz gnädig entpfing, war recht von guttem humor, wurff mir vor, daß ich so über die kinderblattern geklagt hette undt daß mons. le dauphin keine schmertzen litte. Ich sagte, es würde noch kommen undt daß die kinderblatter nohtwendigerweiß geschwehren müsten undt wehe thun. Umb 6, wie ich eben wider wegfahren wolte, kam man sagen, daß mons. le dauphin inquietuden hette undt daß ihm der kopff gar dick würde; jederman meinte, es were die suppuration, undt hilten es vor ein gutt zeichen. Wie ich wider nach Versaille kam, kam der gantze englische hoff zu mir, fuhren umb 8 wider nach St. Germain. Umb 9 kam wider zeittung, daß alles woll ging, umb 10 aber schrieb man, daß mons. le dauphin ahnfing, inquiet zu werden undt daß ihm das gesicht so verschwollen were, daß man ihn nicht kenen konte undt daß die kinderblattern starck auff den augen kamen. Dießes allarmirte noch nicht; ich aß wie ordinarie umb 10, umb 11 zog ich mich auß undt blautterte noch mitt der marechalle de Clerembeau[3], wolte hernach beten undt nach bett gehen. Umb 12 war ich gantz verwundert, die marechalle widerkommen zu sehen gantz verbaßert, die sagte, mons. le dauphin lege auff den todt, der König fahre in dem augenblick durch Versaille nach Marly, die duchesse de Bourgogne hette ihre kutschen hollen laßen, den König zu folgen; ein augenblick hernach sagte man, daß es gar auß were undt mons. le dauphin verschieden were. E. L. können leicht gedencken, welch einen abscheulichen schrecken dießes verursachte. Ich ließ meine kutzschen auch hollen, zog mich geschwindt wider ahn; ich lieff gleich ’nüber zur duchesse de Bourgogne, wo ich ein ellendt spectacle fandt, der duc undt die duchesse de Bourgogne waren verbaßert, bleich wie der todt, undt sagten kein eintzig wordt; der duc de Bery undt duchesse de Bery lagen auff dem boden, hatten die ellenbogen auff ein lit de repos undt schrien, daß man sie 3 kammern weit hörte; mein sohn undt mad. d’Orleans weinten heimblich undt thaten was sie konten, den duc undt die duchesse de Bery zuzusprechen; alle damen auff den boden umb die duchesse de Bourgogne herumb weinten. Ich begleitte den duc de Bery undt seine gemahlin in ihr apartement undt sie gingen nach bett, hörten aber nicht auff zu schreyen; die duchesse de Bourgogne sagte mir im weggehen, daß der König verbotten hette, daß wir die nacht nach Marly solten, sondern nur andern morgen. Es war halb 3, wie ich wider in mein cammer kam undt mich ins bett legte; ich schlieff aber nur von 5–6, umb 7 stundt ich wider auff, zog mich ahn undt fuhr umb halb 9 her. Wie ich her kam, [272] war noch alles zu bey dem König; ich ging zu mad. de Maintenon, die verzehlte mir, wie alles zugangen, sagte, daß man umb 10 noch hoffnung gehabt hette, aber umb halb 11 hette sich alles zum todt gewendt, so daß man gleich l’extreme onction hollen laßen, undt der König war ahm confect, wie mans ihm sagen kam. E. L. können leicht gedencken, wie der König erschrocken; er wolte gleich ins dauphin cammer gehen, man hilte I. M. aber ab. Darauff ließ der König gleich seine kutzschen hollen; ehe er mitt mad. de Maintenon, mad. la duchesse undt printzes de Conti in die kutzsch stieg, war der arme mons. le dauphin verschieden. Gleich nach seinem todt ist er pechschwartz worden, worauß man gesehen, daß das fleckfieber sich zu den blattern geschlagen; alles war im kopff blieben; er hatte schir keine blattern ahm leib, aber die naß gantz voll, ist eygendtlich erstickt, ist gleich so unerhört stinckend worden, daß man obligirt, seinen cörper gleich ohne ceremonien nach St. Denis zu führen. Den König habe ich gestern umb 11 gesehen, er ist in einer betrübtnuß, die ein stein erbarmen mögt, undt alebenwoll ist er gar nicht gritlich dabey, sondern spricht mitt jederman gantz sanfftmütig, gibt alle betrübte ordres mitt einer großen standthafftigkeit, aber alle augenblick kommen ihm die threnen in den augen undt seüfftzt innerlich; es ist mir todtbang, er wirdt selber kranck werden, denn er sicht sehr übel auß… Ich nehme das unglück mitt gedult undt bin nur in sorgen vor den König; mons. le dauphin jammert mich zwar, allein ich kan nicht so betrübt über jemandts sein, so mich gar nicht lieb hatte undt mich gantz verlaßen, alß über jemandts, so allezeit mein freündt geblieben. Alleweill verzehlt man mir, wie es mitt dem neüen dauphin, geweßenen duc de Bourgogne, solle gehalten werden. Er soll den tittel Monseigneur nicht gantz kurtz führen, wie sein herr vatter gethan, sondern wan man mitt ihm spricht, soll man nur Monsieur, undt wan man von ihm spricht, Mons. le dauphin sagen; schreibt man ihm aber, soll man Monseigneur in den brieff setzen. Ich wolte, daß ich offt waß poßirliches finden könte, E. L. materie zu geben, den König in Preussen zu entreteniren. Die kunst, viel in wenig wortten zu sagen, habe ich gar nicht, drumb mache ich auch so lange brieffe; die marechalle de la Motte[4] konte keine zwey wordte nach einander sagen undt schrieb gar woll; ich glaube, das kompt, weillen daß, wenn man schreibt, hatt man die zeit, nachzudencken was man sagen will, [kan] es also beßer setzen, undt daß die, so verstandt haben undt doch übel schreiben zu viel fewer haben, alle ihre gedancken auff einmahl sagen wollen, wodurch der stiehl zu schwer zu verstehen wirdt. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 16. April 1711 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 270–272
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0755.html
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