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Brief vom 9. Mai 1711

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


758.


[274]
Marly den 9. May 1711.
… E. L. haben woll groß recht, zu sagen, daß der König ursach hatt, mons. le dauphin zu regrettiren: vor den König war er perfect, kein sohn hatt nie größern respect undt gehorsam vor seinen herrn vattern gehabt undt kindtliche liebe, alß dießer, das muß man ihm nachsagen; das war auch sein gröstes lob. Könte ich gelegenheit finden, mitt dem König zu reden, würde ich nicht unterlaßen, E. L. befehl zu volziehen undt I. M. zu bezeügen, wie sehr E. L. ihn beklagen, allein ahn taffel ist es schwer, denn I. M. reden kein eintzig wordt undt niemandts spricht lautt, undt ahn keinem andern ort sehe ich I. M.; man benimbt mir die occasion mehr alß nie. Ich bins nicht allein, der man böße officien bey dem König leist, meiner dochter undt ihrem herrn geschicht es eben so arg, denn gestern, wie I. M. mir das leydt klagen kamen, beschwerten sie sich über beyde. Ich sagte, daß dero beyden sentimenten mir bewust weren, daß man ihnen unrecht thue, undt daß ich I. M. bette, nur durch sich selbsten zu judiciren undt nicht durch andere. Aber so ist es hir: man glaubt alles was man von den leütten sagt undt gibt ihnen nie gelegenheit, sich zu justificiren.
Mons. le dauphin s[eelig] hatt sich nie so woll zu sein gedunckt: mad. la duchesse tröst sich noch gar nicht, noch die printzes de Conti auch nicht; madlle Choin[1] soll gar betrübt sein, der König gibt ihr eine pension von 12000 francken undt sie bleibt zu Paris in ihr hauß. Der dauphin hatt eine bastardtochter von der commediantin, die hatt er nicht erkandt, ist itzunder ein mensch von 17 oder 18 jahren, schön wie ein engel von gesicht [275] undt von leib, die will verzagen, er lest sie madlle de Fleury[2] heißen, weillen ein dorf im parq de Meudon ist, so so heist. Es ist keine große freündtschafft zwischen dem itzigen dauphin[3] undt mir, aber er lebt gar hofflich mitt mir, das ist alles was ich von I. L. begehre; seine gemahlin[4] ist auch hofflicher alß sie geweßen, seyder des duc de Bery beylager hatt sie sich sehr zu ihrem avantage geendert undt lebt nun woll mitt ihrem herrn. Der gutte herr ist nicht so heßlich alß übel geschaffen, er hinckt undt ist buckelicht, aber das gesicht ist nicht gar heßlich, er hatt schönne augen, wo verstandt in ist, auch sonst nicht gar übel gebildt, hatt gar schönne haar wie eine perücke; bigot ist er ein wenig zu viel, das ist gewiß, aber er predigt doch nicht …
Viel leütte können hir die sonn nicht leyden, aber mir schadt es nie. Wolte Gott, ich könte E. L. in Dero gläßern cabinet die probe weißen. Ich weiß gar woll, wo das gläßern cabinet sein muß: zwischen dem alten eßsahl undt wo man zum stall geht …
In dießem augenblick entpfange ich die betrübte zeitung, daß meiner dochter elftes sohngen undt ihre dochter, die zweytte, auch todt sein, undt die zwey andere printzen noch nicht außer gefahr. Ich fürchte, mein dochter wirdt sterben oder närisch werden, denn solch abscheülich unglück ist nicht außzustehen, alle seine kinder auff einmahl zu verliehren. Dieße kranckheit ist wie eine pest in Lotheringen geworden; sie seindt in wenig stunden gesundt undt todt. Ich suche meinen einigen trost bey E. L. …
Von dem abt Bucqo[5] habe ich nie nichts gehört, kene ihn gar nicht …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. Mai 1711 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 274–276
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0758.html
Änderungsstand:
Tintenfass