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Brief vom 31. Mai 1711

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


759.


[275]
Marly den 31. May 1711.
… Ich habe E. L. gesundtheit auff gutt teütsch gedruncken in Reinschen wein, so mir meine arme dochter vergangen jahr geschickt, undt in [276] Mayendranck, denn ich hatte kreütter in mein glaß, wie ich alß zu Heydelberg gedruncken, nehmblich Pimpernelle, Drachenbludt, Violenkraudt, Lungenkraudt undt Leberkraudt undt Erdtbeerenkraudt …
Man schreibt mir auch eine teütsche historie von Paris, die E. L. aber ahm besten wißen werden, obs wahr ist; man sagt, daß zu Quetlenburg[1] ein schloß eingefallen, undt wie man dran hatt arbeytten wollen, haben sich so viel gewölber unter der erden gefunden alß gebäu auff der erden waren, undt daß sie gantz voll allerhandt schönen sachen waren[2]. Ich bitte, E. L. thun mir doch die gnade undt laßen mir wißen, ob dieße historie wahr ist.
Es wundert mich nicht, daß der herr Leibnitz verjüngert ist; nichts ist gesunder in der welt, alß reißen, denn das hindert alle böße humoren, gibt verenderung …
Mein arme dochter ist nicht zu trösten, wünscht zu sterben, umb bey ihre kinder undt Monsieur zu sein. Ich habe ihr aber geantwortet, daß ich persuadirt were, daß man sich in jener weldt nicht kendt, also unnöhtig were, zu sterben, umb wider zu denen zu kommen, so man verlohren hatt. Wenn das were, würde jederman gern sterben, umb wider zu sehen was man verlohren, aber da ist leyder nicht die geringste aparenz, denn wenn das were, könte man nicht ohne freüdt noch leydt in jener weldt sein, denn man würde von dießer weldt alles erfahren können undt sich in guttes undt bößes interessiren, also wetter[3] im himmel völlig glückseelig sein können, noch in der höllen völlig verdampt, denn es were unmöglich, sich nicht über alles [277] guttes undt bößes zu interessiren. Daher schließe ich, daß es gantz waß anderst sein muß, also ohnnöhtig zu sterben, umb bey denen zu sein, so man verlohren, denn was unßer herr Christus vom armen Lazerus verzehlt undt vom reichen mann, seindt lautter gleichnuß undt parabolen, kan also vor nichts gewißes gehalten werden alß durch die moralle, so drinen begriffen. Mein arme dochter hatt schon 8 kinder verlohren …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 31. Mai 1711 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 275–277
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0759.html
Änderungsstand:
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